Volk Gottes. Georg Bergner

Volk Gottes - Georg Bergner


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Kirche zum Ausdruck. 2. Damit regt der Begriff dazu an, die Binnendifferenzierung hinsichtlich des Auftrags und Apostolats der Kirchenmitglieder in Bezug auf ihren „sakramentalen Charakter“ besser zu definieren (der hiermit verbundene Begriff des „gemeinsamen Priestertums“ wird von Koster nicht ausdrücklich reflektiert). 3. Der „Volk Gottes“-Begriff ermöglicht eine differenzierte Bestimmung der gestuften Zugehörigkeit zur Kirche. 4. Der Begriff betont den Abstand zwischen Gott und der Kirche.

      Die ausführliche Darstellung von „Ekklesiologie im Werden“ zeigt das Anliegen und die vielschichtige Argumentation Kosters deutlich auf. Der Vorwurf, Koster würde in der Konzentration auf das Kirchenrecht und den Aufbau der kirchlichen „Gesellschaft“ eine juridische Sicht des Volkes Gottes entwerfen und die heilsgeschichtliche Dynamik des Begriffes vernachlässigen84, trifft nicht zu. Ebenso wenig darf man vermuten, Koster sei in Wirklichkeit ein verkappter Vertreter einer überkommenen apologetischen Ekklesiologie, da er die Kirche als „Volk Gottes“ nicht von ihrem inneren Geheimnis, sondern von ihrem durch Amt und sakramentale Charaktere aufgebauten Gesellschaftswesen betrachte.85 Beide Vorwürfe zeigen Schwächen der Argumentation Kosters auf, würdigen aber nicht die Intention seiner Schrift. Koster beansprucht, wie gesehen, nicht, eine vollständige und geschlossene Ekklesiologie vorzulegen. Es geht ihm darum, die Einseitigkeiten bestehender ekklesiologischer Ansätze aufzuzeigen: sowohl des apologetischen, des liturgisch motivierten, wie auch des systematischen einer „Leib Christi“-Theologie. Er öffnet durch den Verweis auf die Gesamttradition der Kirche, die sich in ihren biblischen, liturgischen, rechtlichen Quellen, wie auch bei den Kirchenvätern findet, das Panorama für einen umfassenden ekklesiologischen Neuansatz und kritisiert die teilweise erdrückende zeitgenössische Vorrangstellung der Augustinusrezeption als Grundlage der Lehre von der Kirche. Gegen eine Fixierung auf den geheimnishaften Charakter der Kirche dringt er auf die Einbeziehung ihrer gesellschaftlichen, sozialen und konkreten Wirklichkeit. Der Begriff „Volk Gottes“ stellt ein Gegengewicht zu einem zum Teil kritiklos und assoziativ verwendeten Begriff des „mystischen Leibes Christi“ dar, und bildet somit eine solide Ausgangsbasis für eine noch zu entwickelnde Gesamtsicht auf die Kirche.86 Kosters Schrift hat ohne Zweifel Schwächen. Sie ist polemisch, teilweise pauschalierend, wirft Themen auf, die argumentativ nicht bis zum Ende entwickelt werden und wirkt zuweilen ungeordnet. Sie ist kein abgeschlossener akademischer Traktat, sondern ein engagierter Zwischenruf, eine Streitschrift. Als solche allerdings wirkt sie mit Blick auf die ekklesiologische Standortbestimmung des II. Vatikanischen Konzils erstaunlich hellsichtig und richtungsweisend.

      Kosters „Ekklesiologie im Werden“ erntet bei seinen Zeitgenossen insgesamt Beachtung. Sein zentrales Anliegen findet jedoch wenig Anerkennung.87 Erich Przywara etwa nimmt zwar Kosters Gedanken der „sakramentalen Charaktere“ als Hinweis auf eine zu entwickelnde Ekklesiologie unter dem Leitbegriff des Sakramentes auf, würdigt die Neuentdeckung des „Volk Gottes“-Begriffs jedoch nicht.88 Ähnlich betont auch Joseph Loosen lediglich einen Teilaspekt, Kosters „wissenschaftlich überlegene“ Kritik an der theologisch oft mangelhaften Darstellung der Kirche als „Leib Christi“.89

      Mit der Enzyklika „Mystici Corporis“ erreicht die Diskussion um das Wesen der Kirche 1943 ihren vorläufigen Abschluss und Höhepunkt.90 Pius XII. richtet sich in ihr zum einen gegen einen „falschen Rationalismus“ und „Naturalismus“, der die Kirche als rein soziologische und rechtliche Größe sieht91, sowie gegen einen Mystizismus, „der die unverrückbaren Grenzen zwischen Geschöpf und Schöpfer zu beseitigen sucht und gegen die Heilige Schrift missdeutet“92. Der Papst hebt den Begriff des „mystischen Leibes Jesu Christi“ als zu bevorzugenden Ausdruck zur Erklärung des Wesens der Kirche hervor93, da in ihm sowohl die übernatürliche, als auch die gesellschaftlich-hierarchische Dimension der Kirche zum Ausdruck gebracht werden.94 Der „corpus Christi mysticum“ und die katholische Kirche sind miteinander identisch.95 Den Kritikern des Begriffs bescheinigt der Papst eine „unbegründete Furcht“ vor einer „tieferen Lehre“ von der Kirche.96 Damit vereinigt „Mystici Corporis“ die hierarchiologische Kirchenverfassung von 1870 mit dem romantisch beeinflussten Kirchenbild der Zwischenkriegszeit97 und bringt die katholische Diskussion zunächst zu einem Stillstand.98

      Dies bedeutet jedoch nicht, dass der von Koster gegebene Anstoß zu einer Weiterentwicklung der Ekklesiologie anhand des „Volk Gottes“-Begriffs ungehört verhallt. So hält etwa der Kirchenrechtler Klaus Mörsdorf in dem von ihm herausgegeben „Lehrbuch des Kirchenrechtes“ mit Verweis auf Kosters Werk fest, der Begriff „ecclesia“, sowie der liturgisch verwendete Ausdruck „Volk Gottes“ haben den Vorzug, „die einzigen Sachbezeichnungen“, und damit Grundbegriffe zur Kennzeichnung der Kirche zu sein.99 „Die Kirche ist das in hierarchischer Ordnung lebende neue Gottesvolk zur Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden.“100 Ebenso knüpfen der Patristiker Josef Eger101 und der Liturgiewissenschaftler Ambrosius Schaut102 in ihrer Forschung direkt an Koster an.103 Für Ulrich Valeske wird daher 1962 im Rückblick deutlich, wie die katholische Ekklesiologie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Entwicklung nimmt, die „im Wesentlichen nicht in den von der Enzyklika ‚Mystici Corporis‘ vorgezeichneten Linien verlief, sondern die von Pater Koster und L. Cerfaux angegebene Richtung einschlug und sich dann um eine Synthese beider Betrachtungsweisen bemühte.“104

      Der belgische Bibelwissenschaftler Lucien Cerfaux legt 1942 eine umfangreiche Studie zur Theologie der Kirche bei Paulus vor, in der er nachweist, dass die jüdische Idee des „Volkes Gottes“ auch für Paulus’ Verständnis der Kirche, mindestens für seine frühe Phase, prägend war.105 Israel, das nicht mehr als nationales, sondern als geistiges messianisches Volk verstanden wird, bleibt Träger der göttlichen Verheißungen.106 Aus dem heiligen Rest der Juden, sowie den hinzukommenden Heiden bildet sich das neue „Volk Gottes“.107 Der „Leib Christi“, von Paulus auf die Eucharistiegemeinschaft hin gedeutet, erhält seine symbolische Bedeutung für die Kirche als Ausdruck der geistgewirkten Gemeinschaft108 und wird in den Deuteropaulinen zunehmend hellenistisch im Sinne eines „corpus magnum“, der die Welt mit Christus als Haupt überformt, verstanden.109 „Volk Gottes“ ist für Paulus die ursprüngliche, heilsgeschichtlich konnotierte Bezeichnung, aus der sich der Begriff der „Kirche“ erst entwickelt.110 Ähnlich wie Koster im Bereich der systematischen Theologie geht es Cerfaux, gegen die Engführung auf den „Leib Christi“-Begriff, um die Gewinnung eines weiteren exegetischen Horizonts, von dem er sich einen Beitrag für die ekklesiologische Forschung seiner Zeit verspricht.111

      Von den umfassenden exegetischen und systematischen Forschungen im protestantischen Bereich, die ebenfalls zu einer Neubelebung des „Volk Gottes“ als Grundkategorie biblischer Theologie beitragen112, sei hier exemplarisch nur auf die Studie von Nils Alstrup Dahl, „Das Volk Gottes“, von 1941 hingewiesen.113 In einem großen geschichtlichen Bogen stellt Dahl die Entwicklung des Begriffs bis in die Spätschriften des Neuen Testaments dar und sieht im „Volk Gottes“ bei Paulus die konsequenteste Weiterführung des Erwählungsgedankens Israels in der jungen Kirche, die nicht im Gegensatz, sondern als Grundlage für die spätere Bestimmung der Kirche als „Leib Christi“ zu sehen ist.114 Jesus erscheint bei Dahl als personale Verkörperung des Gottesvolkes, seine Jünger als die Vertreter des wahren Israel.115

      Insgesamt deutet sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein langsamer Wandel in der katholischen Theologie an, an dessen Ausgangspunkt das Werk Kosters steht.116 Einen Meilenstein auf diesem Weg zu einem neuen ekklesiologischen Grundverständnis stellt die Dissertation Joseph Ratzingers zum Kirchenverständnis bei Augustinus dar. An ihr lässt sich der eingetretene Wandel in besonderer Weise illustrieren. Ihr Entstehen kann direkt auf den Einfluss der koster’schen Streitschrift zurückgeführt werden.

      Als


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