Volk Gottes. Georg Bergner

Volk Gottes - Georg Bergner


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er ihn „an die vorderste Front der theologischen Diskussion, wie ein angemessener Kirchenbegriff formuliert werden könne“118. Die von Söhngen gestellte Aufgabe „Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche“ ist bewusst gewählt. Ratzinger berichtet, Söhngen, der wie Koster in den dreißiger Jahren Schüler von Arnold Rademacher war119, sei ein aufmerksamer Leser von Kosters „Ekklesiologie im Werden“ gewesen: „Dieses Buch hat meinem Lehrer Gottlieb Söhngen großen Eindruck gemacht. Er erinnerte sich dabei daran, dass der Katechismus des Trienter Konzils einen Satz des Hl. Augustinus zitiert: ‚Die Kirche ist das über den ganzen Erdkreis verbreitete gläubige Volk‘“.120 Hiervon ausgehend habe Söhngen laut Ratzinger die Frage beschäftigt, ob der Begriff „Leib Christi“ bei Augustinus wirklich so zentral sei, wie es die zeitgenössische Augustinusforschung behauptete, oder ob die Kirchenauffassung des Bischofs von Hippo nicht vielmehr auf dem Begriff „Volk Gottes“ gründe.121 Auch wenn Ratzingers Dissertation diese Annahme so später nicht bestätigen wird122, zeigen sich in der Doktorarbeit deutlich der veränderte Horizont ekklesiologischer Forschung und das Interesse an einem neu zu gewinnenden Zentralbegriff für die Lehre von der Kirche.123

      Hierzu genügt ein kurzer Blick auf die von Fritz Hofmann, einem Schüler Karl Adams, 1933 veröffentlichte Studie „Der Kirchenbegriff des Hl. Augustinus“, die dieser im Geist seiner Zeit als Beitrag auf der Suche nach dem „eigentlichen Wesen der Kirche“ verfasst hatte.124 Hofmann nähert sich der Lehre Augustins, indem er dessen biografische Entwicklung nachzeichnet: Auf seinem Bekehrungsweg ist der junge Augustinus mit dem neuplatonischen Denken und seinem schrittweisen Aufsteigen zur Weisheit der individuellen Wahrheitssuche verpflichtet (23–35).125 Durch die in Folge der Sündenverfallenheit getrübte Fähigkeit zur wahren Erkenntnis ist der Mensch für diesen Aufstieg auf die Autorität Christi und der kirchlichen Lehre angewiesen (34, 58), so dass ihm die Kirche zunächst als „autoritative Lehrkirche“ (VIII) erscheint. Nach seiner Priesterweihe und in der zunehmenden Auseinandersetzung mit den Donatisten entwickelt Augustinus seine Lehre von der Kirche entscheidend weiter. Sie wird von ihm zunehmend als Gnadengemeinschaft verstanden, die aus der Sündengemeinschaft der Menschheit durch das Erlösungswerk Christi herausgehoben ist (121ff, 422f). Gegen den Donatismus unterscheidet Augustinus zwischen der durch die Sakramente gebildeten Kirchengemeinschaft der Vielen und der in ihr bestehenden unsichtbaren Gnadengemeinschaft oder Geistkirche der Wenigen (131, 237, 243f). Aufgrund des Wirkens des Heiligen Geistes ist die Kirche in ihrem Innersten „communio sanctorum“, Heilsgemeinschaft, aufgebaut auf den Glauben, die Hoffnung und die Nächstenliebe (136, 168f, 180, 188, 421). Christus als Mittler zwischen Gott und Menschen ermöglicht als Haupt der Kirche die Teilhabe am „göttlichen Liebesstrom“(142), so dass ein „organisches Ganzes“ (158) der Gläubigen mit Christus und der Gläubigen untereinander entstehen kann. Somit ist das Bild des Leibes Christi für Augustinus das zentrale Bild für die Kirche (148).126 Augustinus übernimmt dabei die Lehre vom Leib Christi nicht einfach aus der Hl. Schrift,

      „sondern durchformte und durchblutete sie mit seiner eigenen Geistigkeit: er lebte sich in sie hinein und gestaltete sie mit dem Geist des Mystikers; er analysierte ihre bildliche Einkleidung mit dem Tiefblick des Psychologen […] er unterbaute sie mit einer Metaphysik, die in der Einheit und zwar viel mehr in der geistigen als in der körperlich-sinnlichen Einheit das Wesen des Seins selbst erblickte und von der aus die Termini des Völkerapostels für ihn erst ihre eigenartige Farbe und Fülle erhielten.“(149)

      Hofmann verweist auf die besondere Rolle der Eucharistie bei Augustinus: Sie bringt die Gemeinschaft der Gläubigen mit Christus und der Gläubigen untereinander in besonderer Weise zum Ausdruck (390f) und stellt sowohl die Menschheit als auch den mystischen Leib sakramental dar (397). Im Bild des so in der Liebe geeinten „Leibes Christi“ wird die Kirche bei Augustinus in Hofmanns Lesart „nichts anderes als die erweiterte Menschheit Christi“ (396).

      Als dritte biografische Etappe Augustins schildert Hofmann den Kampf gegen den Pelagianismus, der sich u.a. im Kirchenbild von „De civitate Dei“ zeigt. Hier beschreibt Augustinus die Kirche als Werkzeug der göttlichen Gnade und Vorherbestimmung (459, 481, 485ff.). Sie wird, so Hofmann, für Augustinus zur „heilsanstaltlichen Gnadenkirche“ (VIII).

      Joseph Ratzinger steht vor der Aufgabe, die Forschungsarbeit Hofmanns auf der einen Seite fortzusetzen, sie auf der anderen Seite aus ihrer Engführung auf den Begriff „Leib Christi“ herauszuführen. Ratzinger bescheinigt, „dass jene Fragestellung, unter der das Kirchenproblem bei Augustinus durch Hermann Reuters Augustinische Studien behandelt wurde, durch Hofmanns grundlegendes Werk im Wesentlichen ausgeschöpft ist. Aber das heißt nach dem Gesagten nicht, dass damit auch Augustins Kirchengedanke ausgeschöpft ist.“127 Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse von Ratzingers Formulierung der Ekklesiologie Augustins dargestellt werden.128

      Ähnlich wie Hofmann vor ihm wählt Joseph Ratzinger für seine Augustinusstudie einen biographischen Ansatz. Ausgehend vom jungen Augustinus stellt Ratzinger zunächst das philosophische Weltbild des Kirchenvaters in den Vordergrund: Dem Neuplatonismus verpflichtet, strebt Augustinus nach höherer Erkenntnis und Weisheit, um sich aus der Sinnenwelt in die intelligible Geistes- und Ideenwelt und damit immer näher auf Gott hin zu bewegen.129 Als biblische Parallele für diese beiden Welten dient Augustinus die paulinische Gegenüberstellung von „sarx“ und „pneuma“(19). Während die wahrhaft geistliche Erkenntnis nur einem kleinen Kreis vorbehalten ist, verharrt die große Masse der Gläubigen auf der Seite der Sinnenwelt.130 Ein Ausweg aus diesem Dilemma kann nur durch Gott selbst geschaffen werden, indem er in seiner Erniedrigung („humilitas“) in den „mundus sensibilis“ eingeht. So lässt er den Menschen aus seiner erbarmenswürdigen Situation langsam zum Sehen emporsteigen (21ff, 25f). Augustinus rechnet in der Kirche zunächst mit einer kleinen Zahl von „Gereinigten“ innerhalb einer großen Menge von „Nicht-Sehenden“ (8). Im Glauben und in der Unterwerfung unter die Autorität der Kirche steht dem Gläubigen somit der Weg zur wahren Erkenntnis Gottes offen (33f).131 Je weiter die innere Gotteserkenntnis fortschreitet, desto weniger kirchliche Autorität ist notwendig (33f). Das Wunder, dass sich in der sündigen Menge das Wissen von Gott verbreiten kann, macht die weltweite Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden zum Zeichen, zur sinnenhaften Gestalt der Gegenwart Gottes (33, 35). Mit der Kennzeichnung der großen Menge als „Volk“ und ihrer zeichenhaften Bestimmung, erreicht Augustinus eine erste Annäherung an den Begriff des „Volk Gottes“ (26f, 35).132

      Nach seiner Priesterweihe im Jahr 391 beginnt für Augustinus, angeregt durch seine eigene seelsorgliche Tätigkeit und in Auseinandersetzung mit den theologischen Strömungen seiner Zeit (Pelagianismus, Donatismus), eine neue Phase intensiven Nachdenkens über die Kirche (46). Ratzinger verweist auf die solide theologische Grundlage und die ekklesiologische Argumentation anderer nordafrikanischer Kirchenväter, die den geistlichen Boden für Augustins eigene Synthese bereiten.133 Zu deren Darstellung konzentriert sich Ratzinger auf zwei Kontroversen, denen sich Augustinus stellen muss: die Auseinandersetzungen mit dem Donatismus und mit dem griechisch-römischen Heidentum.134

      In der Auseinandersetzung mit den Donatisten steht Augustinus vor dem besonderen Problem, dass sich zwei Kirchen gegenüberstehen. Hatte Augustinus zuvor die Interpretation der Schrift eng an den Glauben der Kirche gebunden, löst er nun diese Verbindung, um aus der Interpretation der Schrift den Erweis für den wahren kirchlichen Glauben zu finden (127–131). Das zentrale Schriftargument des Kirchenvaters ist die real bestehende Katholizität, die weltweite Verbreitung der Kirche aus den Völkern. Die donatistische Kirche ist dagegen nur auf den nordafrikanischen Raum beschränkt (131). Augustinus stützt sich hier u.a. auf die Sendung der Jünger (Lk 24,47) und die Abrahamsverheißung (Gen 22, 18, Gal 3,16). Die Vielzahl der Völker der Erde werden durch Christus zu dem einen Volk in der Nachkommenschaft Abrahams vereinigt (133ff). Auch wenn Augustinus hier noch nicht vom „Volk Gottes“ spricht, ist, so Ratzinger, dieser Begriff inhaltlich bereits durch den alttestamentlichen Bezug zu Abraham vorbereitet (134f). Ein weiteres Argument gegen die Donatisten sieht Augustinus im Fehlen der „caritas“. Diese wird von ihm weniger als subjektive ethische Praxis, sondern vielmehr von ihrer ekklesiologischen Dimension


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