Praktiken professioneller Lehrpersonen (E-Book). Urban Fraefel

Praktiken professioneller Lehrpersonen (E-Book) - Urban Fraefel


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am einfachsten direkt auf hier.Überprüfen Sie Ihre Einschätzung in einigen Wochen erneut.–Klima und soziale Kontakte–Vortragen und Erklären–die Lernenden unterstützen und begleitenSo erkennen Sie, wo Sie subjektiv den grössten Entwicklungsbedarf sehen. Es ist aber wichtig, dass Sie sich darüber mit jemandem austauschen, der oder die Ihnen ein Feedback geben kann.

      Empathisches Beobachten – Hinschauen – Spuren des Denkens entdecken

      Für die meisten Studierenden und Lehrpersonen ist es eine eher anstrengende Sache: Das passive Beobachten von Klassenunterricht und kriteriengeleitetes und systematisches Beobachten und Protokollieren des Geschehens (Magnus, 2015), z. B. während des «Hospitierens» in Praktika, ist eine wenig geliebte Tätigkeit. Darum geht es aber nicht, sondern um das Gewinnen zusätzlicher Informationen über einzelne Schülerinnen und Schüler im eigenen Unterricht.

      Sich etwas Zeit nehmen

      Hat eine Lehrperson im Unterricht überhaupt Zeit, um zu beobachten? Ja, wenn sie sich Momente reserviert, in denen sie einfach hinschauen kann – und nein, wenn sie ganz darauf konzentriert ist, das Unterrichtsgeschehen im Griff zu haben. Beobachtung heisst nicht Kontrolle. Beobachtende sind hellwach, aber lassen die Dinge einen Moment laufen, um zu schauen, was passiert und welche hilfreichen Informationen sie aus dem Geschehen gewinnen können.

      Zur Erinnerung: Letztlich geht es um erfolgreiche Lern- und Entwicklungsprozesse der Schülerinnen und Schüler. Die Lehrperson sollte mit echtem Interesse erkennen und verstehen wollen, wie es den Lernenden mit der jeweiligen Sache geht. Mehr noch: Ganz ohne Empathie wird die Lehrperson kaum nachvollziehen können, was die Schülerinnen und Schüler auch emotional beschäftigt. Reusser und Fraefel (2017) formulieren es so: «… sich Zeit nehmen, um sich neben einen Schüler zu setzen und genau hinzuschauen, wie dieser denkt, was in seinem Kopf abläuft und welche Probleme er mit den Aufträgen hat. Ganz nahe an die Lernprozesse der Lernenden heranzugehen, ist … der Kern der pädagogischen Tätigkeit, auf den die Lehrpersonenbildung ohne Umschweife hinzielen sollte» (S. 27).

      Sich Gelegenheiten schaffen

      Gelegenheiten des Beobachtens kann sich eine Lehrperson bewusst schaffen:

      –Keine Unterrichtsstunde sollte so vollgepackt sein, dass die Lehrperson sich nie zurücknehmen kann. Vor allem in Schülerarbeitsphasen gibt es Gelegenheit, einfach aufzunehmen, was sich ereignet.

      –Das Wandern durch die Klasse ist eine gute Möglichkeit, Dinge zu beobachten und wahrzunehmen.

      –Die Lehrperson kann spezifisch auf eine Schülerin, einen Schüler oder eine Gruppe achten.

      –Viele zusätzliche Möglichkeiten ergeben sich, wenn – wie oft in der Lehrpersonenbildung – im Co-Teaching unterrichtet wird, d. h., wenn noch eine zweite oder dritte Person anwesend ist. So kann man sich mehr Zeit fürs Beobachten reservieren.

      Fokus auf konkrete Situation und auf Spuren des Denkens

      Der Fokus der Beobachtung ergibt sich in der Regel aus der Unterrichtssituation. Wenn z. B. Mathematikaufgaben zu lösen sind, wird die Lehrperson beobachten, wie die Schülerinnen und Schüler dabei vorankommen, was sie schreiben, wo sie irritiert scheinen, welche Signale ihre Körpersprache aussendet und was sie miteinander besprechen. Lehrpersonen sollten wenn immer möglich einen Blick auf die bereits vorliegenden schriftlichen Spuren werfen – Bildschirm, Arbeitsblätter, Notizen, Skizzen, Texte, Konstruktionen usw. Diese bieten Einblick in die Denkprozesse und die Befindlichkeit. So kann die Lehrperson bei einem Text oder einer Rechenaufgabe die Denkschritte bzw. Blockaden unter Umständen nachvollziehen, oder sie sieht, an welcher Stelle die Schülerin abbricht, oder vielleicht gibt bereits die Darstellungsform Hinweise auf die Befindlichkeit.

      Einordnen in einen Entwicklungsprozess

      Beobachtungen sind auf den Moment ausgerichtet: Was sehe ich jetzt? Was ist beobachtbar? Das «Jetzt» liefert viele Informationen, wenn man bereit ist, sie zu lesen. Aber jedes Tun hat auch eine Vorgeschichte; es hat Gründe, warum sich die Schülerinnen und Schüler gerade so verhalten. Das können wir nur verstehen, wenn wir eine Ahnung von der Entwicklung haben, in der sie stehen, und zwar auf jeder Ebene. Die Lehrperson weiss zum Beispiel, mit welchen schulischen Problemen das Kind zu kämpfen gehabt hat, oder sie weiss, dass die Schülerin offene Aufgaben ohne klar ersichtlichen Lösungsweg hasst, oder die Lehrperson weiss, dass dieser Junge Mühe hat, seine Zeit gut einzuteilen usw.

      Wenn die momentane Beobachtung in einen grösseren Kontext gestellt werden kann, eröffnen sich neue Möglichkeiten des Verstehens.

       Weiterführende Informationen und Materialien

       Das Beobachten mit Hilfe von Videos trainieren

      Beobachten mittels Videos ist sehr wirkungsvoll: Wo sonst im realen Berufsalltag kann man einfach stoppen und zurückscrollen? Videos helfen, ausserhalb des Unterrichts die eigene Wahrnehmung zu schärfen, die Interpretation und Entscheidung zu überprüfen und allenfalls bessere Varianten durchzudenken.

      Seit digitale Videos so leicht zugänglich sind und deren Herstellung und Verbreitung sehr einfach geworden ist, ist die Schwelle für deren Nutzung in der Lehrpersonenbildung tiefer. Während die analogen Videos des letzten Jahrhunderts noch sehr schwerfällig in der Handhabung waren und vor allem in der Forschung eingesetzt wurden, finden Unterrichtsvideos immer mehr Verbreitung und Anwendung in Seminaren und Workshops der Aus- und Weiterbildung. Man kann für Schulungszwecke fertige («fremde») Videos verwenden, die zumeist schon gut ausgewählt sind und etwas hergeben. Oder Videos des eigenen Unterrichtens können analysiert werden, was am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig ist, aber insgesamt sehr produktiv, weil man auch viele Hintergrundinformationen hat, die im Video nicht sichtbar werden.

      Seit etwa 2000 finden sich zunehmend Erfahrungsberichte, Empfehlungen und auch Forschungsergebnisse zur Verwendung von Unterrichtsvideos in der Lehrpersonenbildung. So hat sich z. B. eine Gruppe der PH Luzern in Anlehnung an Santagata & Guarino (2011) eingehend mit den Verfahren der Videonutzung befasst. Sie schlagen vier Schritte vor (vgl. Biaggi, Krammer & Hugener, 2013), die hier summarisch zusammengefasst sind.

       Schritt 1: Unterrichtssituation und Erwartungen an die Schülerinnen und Schüler klären

      Zuerst wird geklärt, worum es in der Szene geht, und was die Schülerinnen und Schüler tun und lernen sollen. Idealerweise bearbeiten die Studierenden die Aufgaben und Aufträge, die an die Schülerinnen und Schüler gestellt werden, zuerst selbst, um dann verschiedene Lösungswege zu diskutieren.

       Schritt 2: Schülerinnen und Schüler beobachten (Verhalten, Lern- und Denkprozesse)

      Entscheidend ist, zuerst den Blick von der Lehrperson zu lösen und einen Perspektivenwechsel in Richtung der Lernenden zu vollziehen. Der Fokus der Aufmerksamkeit soll sich auf das Verhalten der Schülerinnen und Schüler richten. Man muss versuchen zu verstehen, was sich bei den Schülerinnen und Schülern abspielt, was sie eigentlich tun, wie es ihnen geht und was sie wohl denken mögen.

       Schritt 3: Handlungen der Lehrperson und deren Wirkungen analysieren

      Anschliessend ist die Lehrperson im Blick, insbesondere wie sie die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler beeinflusst oder auch nicht. Man kann Vermutungen anstellen, ob es zwischen den Aktionen der Lehrperson und den Lernaktivitäten der Schülerinnen und Schüler Zusammenhänge gibt. Wenn möglich werden auch Verbindungen zu theoretischem Wissen hergestellt, z. B. zu didaktischen Konzepten oder zu Wissen über das Lernen.

       Schritt 4: Alternativen vorschlagen und begründen

      Ziel des letzten Schrittes ist es, dass


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