Lehren kompakt II (E-Book). Ruth Meyer

Lehren kompakt II (E-Book) - Ruth Meyer


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unterschiedlichen Rollen in der Gesellschaft und in Gruppen ein zentraler Lernfaktor ist, soll hier kurz auch auf die beliebten elektronischen Rollenspiele eingegangen werden. Sehr viele Jugendliche spielen sie; oft länger, als ihnen gut tut und auf Kosten von Schlaf und Bewegung. In einer aktuellen Bachelor-Arbeit kommt Bernadette Schaffner zum Schluss, «dass exzessives Spielen sich nicht nur psychisch äussert, sondern sich auch biologisch auf das Gehirn und dessen Struktur auswirkt.» (13a) Offenbar kann exzessives Spielen (mehr als 30 Stunden pro Woche) zu ungesunden Bewältigungsstrategien wie z. B. Flucht ins Spiel führen (statt reale Alltagssituationen zu bewältigen). Andererseits können die Spielenden verschiedene Rollen ausprobieren und sich so an die eigene Identität herantasten. Die Spielgemeinschaften tragen dazu bei, dass Jugendliche ein Gefühl der Zugehörigkeit erleben und kooperieren lernen.

      Lob und Kritik wirken wesentlich stärker auf die Jugendlichen, als wir gemeinhin annehmen. Auch wenn sie gut gemeint sind, kommen sie nicht immer in diesem Sinne an. Da Jugendliche sehr empfindlich sind, können sie sehr gekränkt reagieren, und sie erinnern sich oft Jahrzehnte später noch daran, wie sie verletzt worden sind. Mit Lob kann ein Jugendlicher in eine Richtung gelenkt werden, ohne dass die Lehrperson das selbst merkt. Als Lehrperson sollte man sich deshalb auch der prägenden Wirkung von Lob bewusst sein und ehrlich und angemessen loben. Falsches Lob, aber auch übersteigerte Kritik oder abwertendes Verurteilen erschweren es dem Jugendlichen massiv, zu einer realistischen Selbsteinschätzung zu kommen. Und eine realistische Selbsteinschätzung der eigenen Stärken und Schwächen macht eine starke Identität aus.

       Selbstvertrauen

      Mit der eigenen Identität wächst das Selbstvertrauen. Selbstvertrauen heisst: Ich kann mich auf mich selbst verlassen. Ich traue mir zu, mit vielen Situationen umgehen zu können. Selbstvertrauen wächst an Erfolgserlebnissen, an der Wertschätzung, am Überwinden von Problemen und am Bestehen von Abenteuern. Da, wo der Jugendliche Erfolg erntet, traut er sich immer mehr zu, egal, ob das eine positive Leistung ist (ein Instrument spielen, etwas zu lernen, im Online-Spiel einen Level weiterzukommen, eine erfolgreiche Strategie zu entwickeln) oder eine negative (andere einschüchtern, rauchen, grosse Risiken eingehen).

       Selbstbehauptung

      Selbstbehauptung heisst, sich selbst zu mögen und sich abgrenzen und durchsetzen zu können. In ihrem Bedürfnis nach Wertschätzung und Erfolg sind Jugendliche verführbar. Sie müssen lernen, Nein zu sagen zu dem, was nicht zu ihnen passt, und sich einzusetzen für das, was sie brauchen. Das erfordert Mut und Selbstvertrauen.

      Der Druck auf die Jugendlichen ist enorm, jeder muss eine interessante Persönlichkeit sein. In einem Interview sagte eine Jugendliche: «Es ist schon ein Problem, weil man immer denkt: Die anderen sind viel schöner, gescheiter, beliebter …», und ein Jugendlicher: «Wegen dieses Leistungsstresses tauchen viele Jugendliche am Wochenende in eine andere Welt ab – weil sie die Realität nicht mehr ertragen.» Und: «Ich spüre den Perfektionsanspruch enorm» und: «Mich stresst ausserdem, dass man ständig glücklich sein muss».

      Jugendliche messen sich an den idealen Bildern der Werbung und an den Influencern und Stars von Social Media und YouTube – und bekommen ständig gesagt, dass ihnen die Welt offenstehe, wenn sie bloss ebenso interessant, schön oder beliebt seien wie die Vorbilder. Aber diese Vorbilder sind unerreichbar; der berufliche Alltag mit seinen Anforderungen und die Freizeitgesellschaft halten oft mehr Misserfolge bereit als Situationen, die das Selbstvertrauen stärken. Selbstbehauptung besteht dann vordergründig darin, «abzutauchen», Drogen zu nehmen, sich die tollen Dinge auf Pump zu kaufen oder zu klauen oder andere einzuschüchtern. Dass ein beträchtlicher Teil der Jugendlichen bereits an Wohlstand und Luxus teilhaben kann, ohne sich die dafür nötigen Mittel selbst erarbeiten zu müssen und zuerst selbstständig zu werden, erhöht den Druck für die Gleichaltrigen.

      Echte Selbstbehauptung wächst durch liebevolle Unterstützung, durch Reflexion, durch die Pflege von Wertvorstellungen und das Respektieren der Privatsphäre. Diskussionsanstösse wie: «Du bist stark, du brauchst nicht jeden Blödsinn mitzumachen, das finde ich toll an dir» – «Du willst doch später eine Stelle bei einer Bank finden, glaubst du, dass dir eine schlechte Abschlussnote förderlich sein wird? Was hindert dich daran, zu lernen? Wie könntest du eine gute Prüfung schaffen?» und echte Gesprächsangebote helfen den Jugendlichen, sich abzugrenzen und ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, statt andern nachzueifern. Selbstbehauptung lernen Jugendliche ausschliesslich in der liebevollen, aber harten Auseinandersetzung mit Autoritätspersonen, die sich nicht entziehen, sondern Stellung beziehen und immer wieder Angriffsflächen bieten und Diskussions- und Reflexionsanstösse geben.

      Den eigenen Körper bewohnen lernen

      Mit 16 Jahren ist bei den meisten Jugendlichen die körperliche Entwicklung weit fortgeschritten. Sie haben jetzt die körperliche Erscheinung von Erwachsenen, aber das Verhältnis zu diesem veränderten Körper ist noch keineswegs ein versöhnliches. Und die Sorge für den eigenen Körper bezieht sich auf Äusserlichkeiten, kaum je auf die gesunde Ernährung oder genügend Schlaf oder Bewegung. Oft essen die Jugendlichen jetzt regelmässig auswärts, verpflegen sich möglichst günstig und trendig, schlafen zu wenig, treiben wenig Sport und beschäftigen sich stundenlang mit Computer und Smartphone, was zu Übergewicht und Haltungsschäden führen kann.

      Zugenommen hat in den letzten Jahren der Anteil Jugendlicher, die einen definierten Körper wollen und dafür hart und diszipliniert trainieren, bis zur Muskelsucht. (7a)

       Ernährung

      Etwa jeder dritte Jugendliche ist übergewichtig. Immer mehr Mädchen und auch Jungen leiden an Essstörungen. (7b) Gleichzeitig nehmen die körperlichen Aktivitäten der jungen Menschen dramatisch ab. Die Folge: Es wächst eine Generation mit gravierenden Gesundheitsproblemen heran. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen in der veränderten Ernährung in der Kindheit und dem Freizeitverhalten. Fettleibigkeit im Jugendalter hat grosse Auswirkungen auf die Gesundheit und das Selbstwertgefühl. In einer Gesellschaft, in der Schönheit Schlanksein bedeutet, ist jede dicke Person und jeder schmächtige Junge ein Verlierer. Die Stigmatisierung der Übergewichtigen führt nicht dazu, dass die schlechten Essgewohnheiten aufgegeben werden, aber das Selbstwertgefühl schrumpft mit jedem Kilo mehr, und je mehr es schrumpft, desto mehr stopft man in sich rein – ein Teufelskreis von schlechter Ernährung, Übergewicht und Minderwertigkeitsgefühlen.

      Je älter Kinder werden, desto geringer ist der Einfluss der Eltern auf das Ernährungsverhalten. Die Schulzeit und die ausser Haus verbrachte Freizeit werden länger. Da Taschengeld verfügbar ist, macht es Spass, aus dem reichhaltigen Lebensmittelangebot selbst auszuwählen. Die Einstellung zum Essen wird häufig vom Umfeld sowie von der Meinung der Freundinnen und Freunde geprägt und wechselt rasch. Ausserdem haben viele Menschen keine Ahnung mehr, woher die Lebensmittel kommen und wie sie hergestellt werden. Die Diskussionen um den Klimawandel bringen aktuell vermehrt Themen wie Foodwaste, Saisonalität, Regionalität, Bio-Nahrungsmittel und Vegetarismus in die Medien, hier gibt es Anknüpfungspunkte, um den Informationsbedarf der Jugendlichen zu decken.

       Schlaf

      Jeder Mensch braucht eine andere Menge Schlaf, und jeder Mensch hat einen anderen Tag-Nacht-Rhythmus. Während die einen besser am Morgen arbeiten und die andern besser am Abend, haben die Dritten ihr Leistungshoch am Nachmittag. Je nach Alter verändert sich dies tendenziell. Kinder stehen gerne früh auf, während der Pubertät verschiebt sich der optimale Zeitpunkt des Schlafengehens tiefer in die Nacht und die des Aufstehens immer weiter in den Tag hinein. Im Alter von ungefähr 20 Jahren ist der Höhepunkt des Daseins als «Eule» (die Eule geht spät ins Bett und steht spät auf), im Erwachsenenalter erfolgt überwiegend wieder eine Entwicklung in Richtung «Lerche» (die Lerche geht früh ins Bett und steht früh auf). Die neuesten Ergebnisse der Schlafforschung lassen die Schlussfolgerung zu, dass der tägliche Schulbeginn für Jugendliche besser später angesetzt würde.

      Während man schläft, ist das Gehirn nicht ausgeschaltet, sondern verarbeitet Informationen aktiv weiter. Es konnte nachgewiesen werden, dass das Gehirn nach genügend Schlaf besser arbeitet als nach Schlafmangel. Ebenso gibt es in der Lernforschung deutliche Hinweise darauf, dass Schlafen unmittelbar nach dem Lernen die Behaltensquote signifikant erhöht.


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