Lehren kompakt II (E-Book). Ruth Meyer
(z. B. Vokabeln, Geschichten, eigene Erlebnisse) verfestigt, und während der aktiven Phasen, die auch die Traumphasen sind, werden Fertigkeiten (wie Schwimmen, Radfahren usw.) verfestigt. Das heisst: Genügend Schlaf zur richtigen Zeit und in der richtigen Qualität ermöglicht es dem Gehirn, das Gelernte zu festigen. Offenbar hilft bereits eine kurze Tiefschlafphase über Mittag, um in einem Gedächtnistest besser abzuschneiden.
Umgang mit Sexualität lernen
Jugendliche entdecken zwischen 15 und 18 die ausgelebte Sexualität mit Geschlechtsverkehr. 66 Prozent der 17-jährigen Mädchen deutscher Herkunft sind bereits sexuell erfahren, bei den Mädchen mit Migrationshintergrund sind es 44 Prozent. (15) Lehrpersonen haben es also mit jungen Menschen zu tun, die Sexualität leben – und dies meistens in treuen Beziehungen. Innerhalb einer Generation hat zwischen 1970 und 1990 eine starke Veränderung in der Einstellung zur Sexualität stattgefunden. Treue ist wichtiger geworden, die Selbstbestimmung der Mädchen gegenüber den Jungen ist gewachsen. Die Zustimmung der Eltern zu gelebter Sexualität ist in diesem Zeitraum entsprechend grösser geworden, mehr Jugendliche als früher können ihre Sexualität zu Hause leben. Rund die Hälfte der jungen Frauen und ein Drittel der jungen Männer geben an, in einer festen Partnerschaft zu leben. (15a) Der Anteil der jungen Männer, die ihren ersten Geschlechtsverkehr mit einer festen Partnerin erleben, nimmt deutlich zu. (15b)
Verändert hat sich die Thematik der sexuellen Orientierung (homosexuell, bisexuell, heterosexuell, trans, queer, pansexuell, asexuell). Darüber wird aktuell sehr viel offener und häufiger gesprochen als noch vor 10 Jahren.
Was sich nicht verändert hat: Jugendliche reden über ihre Sexualität nicht so gerne mit Erwachsenen. Sie orientieren sich im Internet und in Jugendzeitschriften. Barbara Sichtermann (16) schreibt dazu: «Es gehört zu den unglücklichsten Missverständnissen im Verhältnis der Generationen, Eltern unter den Verdacht mangelnder Aufklärung und Anleitung zu stellen, sobald die heranwachsenden Kinder mit ihrer Sexualität in Konflikte geraten. In Wahrheit sind die Eltern auf diesem Felde weitgehend einflusslos.» Und persönlich würde ich anfügen: «Ebenso die Lehrpersonen.»
Denn Sexualität ist ein Thema, das Jugendliche für sich selbst und untereinander entdecken wollen und müssen. Im Rahmen der immer wieder geforderten sexuellen Aufklärung sollten wohlmeinende und unverkrampfte Erwachsene Themen rund um Sexualität ansprechen: Verhütung, Krankheiten und die Legalität (Pädophilie, Gewaltdarstellungen, vor allem auch im Zusammenhang mit dem Internet). Moralische und ethische Fragen liessen sich wohl, falls gleichberechtigt möglich, am ehesten im Zusammenhang mit ethischen und moralischen Fragen ganz allgemein diskutieren – aber Fragen zur Sexualpraktik und Einstellung zur Sexualität an sich gehören ganz klar den Jugendlichen unter sich und haben im Schulzimmer nichts zu suchen. Ausser natürlich in Form von Informationsmaterialien, die frei zugänglich sein sollten, damit die Jugendlichen sich bei Bedarf und unbeobachtet informieren können. Wichtige Webseiten in diesem Zusammenhang sind: www.feel-ok.ch und www.147.ch.
Sozial- und Selbstkompetenzen entwickeln
Die Eltern-Kind-Beziehung ändert sich im Laufe der Entwicklung ständig. Von der vollständigen Abhängigkeit als Säugling bis zur Selbstverantwortung des Erwachsenen führt ein weiter und schwieriger Weg, der sich aus der Sicht des Kindes als Selbstwerdungsprozess und aus der Sicht der Eltern als Prozess des Los- und Überlassens und des Zutrauens präsentiert. Im Idealfall wird dieser Weg in kontinuierlichem Aufeinanderbezogensein und in kleinen, ebenmässigen Schritten begangen. Kommt es zu unterschiedlich grossen Schritten, zu massiven Verzögerungen oder Beschleunigungen auf der einen oder anderen Seite, führen diese zu Spannungen und eventuell zu grösseren Entladungen.
Aus diesem Prozess der Ablösung und des emotionalen Rückzugs aus der elterlichen Familie ergibt sich notwendigerweise die Hinwendung zu Gleichaltrigen. Während die Familie eine nicht selbst gewählte Zwangsgemeinschaft darstellt, bieten die Cliquen und Gruppen, in denen sich Jugendliche so gerne bewegen, freiwillige Kontakte. Hier können sie Beziehungen unter ihresgleichen pflegen und ihre Wirkung auf andere immer wieder testen. Dabei ist das Zusammensein wichtiger, als gemeinsam etwas zu unternehmen. Auch einfach nur rumzuhängen und zu chillen ist beliebt, leider finden sich dafür an vielen Orten wenige öffentliche Räume ohne Konsumzwang. Meistens ist die Clique das Übergangsstadium zwischen der familiären Beziehung und der Paarbeziehung. Die Gleichaltrigen bilden ein wichtiges Lernfeld, um soziale Beziehungen einzuüben. Hier werden Freundschaften gepflegt, Rücksichtnahme und Toleranz geübt. Aber auch Isolation, Ausgrenzung und Konkurrenz oder Intrigen gehören zum sozialen Leben, sie sind inzwischen auch in den Social Media angekommen und führen im Extrem zu Cybermobbing. Erwachsene sollten sich in dieses Gruppenleben nicht einmischen. Hingegen kann ein Gespräch darüber, was die Gruppe (analog oder digital als Community) so wichtig macht und warum gewisse Individuen darin eine stärkere oder schwächere Stellung einnehmen, die Jugendlichen dabei unterstützen, dass sie ihren eigenen Platz finden.
Werte wie Freundschaft, Partnerschaft und Familie stehen bei Jugendlichen an erster Stelle. 89 Prozent finden es besonders wichtig, gute Freunde zu haben, 85 Prozent, einen Partner zu haben, dem sie vertrauen können, und 72 Prozent, ein gutes Familienleben zu führen.
Fast zwei Drittel der Jugendlichen legen großen Wert auf den Respekt vor Gesetz und Ordnung, und viele wollen fleißig und ehrgeizig sein. Wichtiger als in den vorigen Studien ist ihnen die Bereitschaft zum umwelt- und gesundheitsbewussten Verhalten. Dagegen haben materielle Dinge wie Macht oder ein hoher Lebensstandard eher an Bedeutung verloren. Sehr viele Jugendliche finden es wichtig, «die Vielfalt der Menschen anzuerkennen und zu respektieren». (17a) Während junge Männer eher lockere Freundschaftsnetze pflegen und bei ihnen die gemeinsamen Aktivitäten (auch Gamen) im Vordergrund stehen, suchen sich junge Frauen Gesellschaft zum Reden, Shoppen und Chatten. Zu einer stärkeren Verweigerungshaltung gegenüber der Erwachsenenwelt führen die Kontakte mit Gleichaltrigen nur dann, wenn die Eltern für die Jugendlichen bedeutungslos geworden sind. (18a) Jugendliche können demnach erst dann von Gleichaltrigen negativ beeinflusst werden, wenn ihr Verhältnis zu den Eltern beschädigt ist. Dieser empirische Befund dünkt mich äusserst wichtig für Lehrpersonen. Er bedeutet, dass Jugendliche, die sich von einer Gleichaltrigengruppe zu kriminellem oder gewalttätigem Handeln verleiten lassen, ein Vakuum in der Beziehung zu vertrauenswürdigen Erwachsenen haben. Und dies bedeutet für die Lehrpersonen, dass sie möglicherweise die Einzigen sind, die imstande wären, diese Leerstelle zu füllen, wenn sie eine Vertrauensbeziehung aufbauen könnten.
In der Ausbildung und im Berufsleben werden die Jugendlichen intensiv mit dem Thema Teamarbeit und Zusammenarbeit konfrontiert. Häufig stehen sie zum ersten Mal vor der Aufgabe, mit Erwachsenen und anderen Jugendlichen verbindlich und professionell zusammenzuarbeiten. Da das berufliche Selbstvertrauen oft noch klein und das Bedürfnis nach Abgrenzung und Unabhängigkeit gross ist, gelingt das nicht auf Anhieb. Um das nötige Selbstvertrauen zu entwickeln, brauchen Jugendliche wiederholt das Erlebnis, dass sie zu einem gemeinsamen Werk einen wesentlichen Beitrag leisten und einer Sache zum Erfolg verhelfen können. Rückschläge und Fehlverhalten müssen dabei in Kauf genommen werden. Die Aufgabe der Lehrperson ist es, die Jugendlichen im Bereich Sozial- und Selbstkompetenzen zu fördern.
Sozial- und Selbstkompetenzen
Zu den Sozial- und Selbstkompetenzen werden diejenigen Fähigkeiten gezählt, die es Menschen ermöglichen, den Umgang mit sich selbst und mit anderen positiv zu gestalten. Je nach Kontext werden in diesem Zusammenhang häufig und primär Kommunikations-, Konflikt- oder Teamfähigkeit oder Belastbarkeit genannt.
Um aufzuzeigen, welche Bandbreite Sozial- und Selbstkompetenzen umfassen, habe ich sie in meinem Buch «Soft Skills fördern» (19) in sechs Bereiche unterteilt (1 Entwicklungsfähigkeit, 2 Emotionale Kompetenz, 3 Wirkung, 4 Kommunikative Kompetenz, 5 Beziehungskompetenz und 6 Gruppenkompetenz). Aus diesen 6 Bereichen sind im Zusammenhang mit den Entwicklungsaufgaben Jugendlicher die folgenden acht Soft Skills besonders relevant.
Identität (2.1 aus dem Kapitel emotionale Kompetenz)
•Sich selbst kennen mit den eigenen Stärken und Schwächen
•Sich