Partnerschaftliche Rollenteilung - ein Erfolgsmodell. Margret Bürgisser
Betreuungsmöglichkeiten ganz andere Möglichkeiten gibt, als wir sie hatten. Bei uns hat es die noch nicht gegeben, und die Organisation war jeweils stressig. Ich musste mich immer rechtfertigen, wer sich um mein Kind kümmert, wenn ich an der Arbeit bin.« In der heutigen Zeit würde Jeannette »beruflich nicht mehr so stark reduzieren und mehr auf Fremdbetreuung setzen. Für mich wären 80 Prozent eine Lösung.« René betont, er würde nicht ganz auf Fremdbetreuung setzen. »Aus meiner persönlichen Erfahrung würde ich sagen, dass eine 40-prozentige Stellenprozentreduktion – auf ein 60-Prozent-Pensum – spannend ist. Diese Reduktion ist natürlich abhängig von der Realisierbarkeit und den beruflichen Möglichkeiten. Ich würde mindestens um 20 Prozent reduzieren, ansonsten fehlt Zeit für die Familienarbeit.«
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen Zur gesellschaftlichen Akzeptanz neuer Rollenmodelle meint René: »Für meine jüngeren Kollegen, die Kinder haben, ist es ein Thema, dass sie ihr Arbeitspensum reduzieren können. Für viele ist es selbstverständlich oder erstrebenswert, in der Haus- und Familienarbeit eine Rolle zu übernehmen. Es ist zumindest ein Thema – vor 25 Jahren war es das für die meisten noch nicht.« René vermutet, dass die Diskussion um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel noch an Bedeutung gewinnen wird.
In früheren Jahren war René auch Co-Präsident des Vereins Fachstelle UND, die sich genau für dieses Thema einsetzt. Wie denkt er über die Voraussetzungen der egalitären Rollenteilung? »Ich denke, dass die Lohnfrage eine wesentliche Rahmenbedingung ist. Wenn es große Lohndifferenzen zwischen dem einen und dem anderen Einkommen gibt, ist diese Rollenteilung viel schwieriger zu organisieren, als wenn die Unterschiede relativ gering sind.« Auch die beruflichen Ambitionen beeinflussen seines Erachtens die Realisierbarkeit. »Die Karrierechancen sind größer, wenn man 100 Prozent arbeitet. Aber es ist nicht unmöglich, auch sonst Karriere zu machen. Letztlich muss der oder die direkte Vorgesetzte davon überzeugt werden, dass man mit 60 oder 80 Prozent einen guten Job macht.«
René wünscht sich auch den Ausbau des familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots – zu angemessenen Preisen. »Neben diesen Varianten gibt es immer noch die Möglichkeit, sich mit anderen Eltern und den Großeltern zu vernetzen. Wir hatten ein größeres Netzwerk, um so etwas zu organisieren.«
HILDEGARD UND ADRIAN KAUFMANN
»Beziehungspflege ist das Zentrale in unserem Leben«
Mein Gespräch mit den Kaufmanns findet nicht in ihrer Wohnung statt, sondern in der Praxis von Adrian Kaufmann, der beim Bahnhof Zug als Psychotherapeut tätig ist. Er und seine Frau Hildegard haben über Mittag zum Arbeitslunch geladen. Die beiden sind eben sechzig geworden, wirken aber viel jünger und außerordentlich vital. Sonnengebräunt auch, denn sie sind eben von einem Aufenthalt bei ihrem Sohn in Südfrankreich zurückgekommen.
Berufliche Entwicklungen Adrian hat in den letzten fünfzehn Jahren sukzessive seine Praxis auf- und ausgebaut. Er ist jetzt so gut ausgelastet, dass er keine neuen Patienten mehr annehmen kann. Seine Arbeit gefällt ihm nach wie vor, und er kann sich gut vorstellen, übers offizielle Rentenalter hinaus tätig zu bleiben. »Grundsätzlich sehe ich es als Option, bis siebzig weiterzuarbeiten.«
Hildegard ist in einem Pensum zwischen 62 und 70 Prozent als Sekundarlehrerin tätig, daneben auch als Supervisorin und Coach. Sie unterrichtet Sprachen und Lebenskunde. Seit Langem ist sie auch Klassenlehrerin, was sie immer mehr beansprucht. Selbst mit einem Teilzeitpensum stößt sie in dieser Funktion manchmal an ihre Belastungsgrenzen. Trotzdem hat sie nach wie vor das Bedürfnis, mitzuwirken. »Ich bin nicht jemand, der nur am Spielfeldrand steht und zuschaut. Mir ist es wichtig, die Arbeit mitzugestalten. Es ist aber der letzte Klassenzug, den ich als Klassenlehrerin betreuen werde. Ich bin kontinuierlich daran, mich von dieser Rolle zu verabschieden.« Andere Aufgaben wird sie aber beibehalten. »Ich könnte mir vorstellen, die Supervisions- und Beratungsarbeit bis siebzig weiterzuführen – wenn ich so fit bleibe, wie ich mich fühle, oder wenn es noch realisierbar bleibt.«
Weiterbildung als Grundlage beruflicher Entwicklung 2007 bis 2010 hat Hildegard Kaufmann noch die Ausbildung zur Supervisorin und Coachin absolviert. »Durch diese Ausbildung wurden mir meine Fähigkeiten, die ich in der Schule zu wenig ausleben kann, bestätigt.« Soweit dies neben ihrer Erwerbstätigkeit möglich ist, arbeitet nun auch sie in einer eigenen Praxis. Auch für Adrian ist Weiterbildung ein Thema. »Ich absolviere laufend Weiterbildungen, die das, was ich bereits an Grundlagen besitze, ergänzen.« Vieles lernt er auch »on the job«. »Meine Arbeit ist sehr vielseitig und in sich eine laufende Weiterbildung. Mit jedem persönlichen Kontakt, den ich aufbauen und begleiten kann, lerne ich weiter dazu. Das ist für mich das Schöne an dieser Arbeit.«
Karriere gemacht? Betrachten die beiden ihren beruflichen Werdegang als »Karriere«? Adrian hat diesbezüglich eine eigene Definition. »Wenn ich die Gemeinschaftspraxis als meinen Arbeitsbereich betrachte, kann ich Karriere so definieren, dass ich gefragt bin. Ich bin eigentlich immer ausgebucht. Mehr kann man sich in einem solchen Feld gar nicht wünschen.« Hildegard hingegen verneint, Karriere gemacht zu haben: »Das war für mich nie erstrebenswert.«
Vorgeschichte der partnerschaftlichen Rollenteilung Warum hat sich das Paar seinerzeit für die partnerschaftliche Rollenteilung entschieden? »Für mich stand die Beziehung im Zentrum«, erklärt Adrian. »Beziehungen erfüllen das Leben. Ich habe deshalb bewusst auf vieles verzichtet, was ich als weniger wichtig empfunden habe.« Im Zentrum von Hildegards Interesse »standen die Kinderbetreuung und das Leben mit den Kindern«. Sie war in einer Familie mit traditioneller Rollenteilung aufgewachsen. Selbst so zu leben, war für sie eine »Horrorvorstellung«: »Ich hatte lange gearbeitet und wollte das auch weiterhin tun. Ich wusste auch, dass Adrian diese Praxis aufbauen möchte und dass er das Talent dazu besaß, sich als Psychotherapeut durchzusetzen.«
Hausarbeitsteilung Seit die Kinder ausgeflogen sind, lebt das Paar wieder zu zweit. Da Adrian 100 Prozent arbeitet, kann er nicht mehr so viel wie früher zum Haushalt beitragen. »Aber ich erledige den Einkauf, mache die Wäsche, bügle und staubsauge. Ich bereite das Mittagessen zu – das sind meine Jobs. Die Zubereitung des Nachtessens haben wir etwa 50:50 aufgeteilt.« Hildegard anerkennt, dass ihr Mann sehr viel macht und dass sie sich im Haushalt gut ergänzen. »Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie wir die Sachen ohne viele Absprachen erledigen können. Er beginnt, und ich mache weiter, oder umgekehrt. Es ist ein Hand-in-Hand-Arbeiten.« Nach wie vor hat Hildegard einen Wunsch. »Ich hätte sehr gerne eine Putzfrau.«
Die Kinder stehen auf eigenen Beinen Die Kinder der Kaufmanns sind vor einigen Jahren zu Hause ausgezogen und längst selbstständig. Nuria (30) hat Psychologie studiert, den Master gemacht und auch doktoriert. Aktuell arbeitet sie in der psychiatrischen Klinik Kilchberg. Sie ist mit einem Informatiker verheiratet und wünscht sich bald eine Familie. Illias (28) hat dieselbe Berufswahl getroffen wie seine Schwester und ebenfalls einen Master erworben. Er arbeitet aktuell als Psychologe an einer Institution für Suchtkranke in Montpellier. »Bei Ilias habe ich nie damit gerechnet, dass er irgendwann im Ausland leben wird«, erzählt die Mutter. »Das war ein weiterer Schritt des Loslassens.« Ihr Sohn ist mit einer Französin liiert und hat mit ihr den PACS[6] vereinbart, eine Art Heirat, die aber weniger verbindlich ist als eine Ehe.
Was den Eltern an ihren Kindern besonders auffällt, ist deren hohe Sozialkompetenz. »Sie zeigen viel Fürsorglichkeit«, erzählt die Mutter. »Nuria ist wie eine Insel in Zürich. Alle übernachten immer wieder bei ihr. Ich weiß manchmal fast nicht, wie sie neben dem hohen Arbeitspensum und der Weiterbildung noch ihren Freundeskreis pflegen kann.« Auch die Kinder und ihre Partner haben im Übrigen eine partnerschaftliche Rollenauffassung. »Es ist bei den Jungen selbstverständlich, dass man die Aufgaben teilt. Das haben sie auch schon früher in ihren Wohngemeinschaften erlebt.«
Dass die Kinder sich entschieden haben, Psychologen zu werden, war ihr freier Entscheid. Vater Adrian hat seinen Kindern von dieser Berufswahl eher abgeraten. »Die Arbeitsbedingungen von Psychotherapeuten im Schweizer Gesundheitswesen sind alles andere als rosig«, hält er fest. »Sie können sich keine goldene Nase damit verdienen, sondern es ist immer noch ein