Partnerschaftliche Rollenteilung - ein Erfolgsmodell. Margret Bürgisser
oft der Fall – einiges mehr. Wie begründet Eleonora, dass sie ihr Pensum aufgestockt hat? »Die Kinder haben nicht mehr die komplette Betreuungszeit in Anspruch genommen, wodurch Freiräume entstanden sind. Es hat auch viel mit dem Ziel ›Verantwortung übernehmen‹ zu tun. Ich empfinde es als sehr befriedigend, wenn ich im Betrieb merke, dass ich Dinge erreichen kann und einen guten Bezug zu den Leuten habe.«
Ueli Bürgi hat seine selbstständige Tätigkeit 2006 wieder aufgegeben und ist jetzt – ebenfalls mit Vollzeitpensum – an der Akademie für Erwachsenenbildung (AEB) in Luzern tätig. »Nun arbeite ich zum ersten Mal in meinem Leben 100 Prozent. Zu 50 Prozent meines Pensums bin ich Angebotsleiter, und zu 50 Prozent mache ich Ausbildungen im Bereich ›Ausbildung von Ausbildenden‹. Die Mischung von Führung und eigener Praxis finde ich sehr interessant.«
Die Kinder reagierten auf die Erhöhung der Arbeitspensen unterschiedlich. »Gian fand damals, dass das für ihn in Ordnung sei«, berichtet die Mutter. »Sina hingegen hatte gar keine Freude daran. Sie hat das zu Beginn nicht akzeptiert. Später war sie der Ansicht, dass ich zu viel arbeite und dass das nicht gut sei.« – »Sie hat manchmal den Spruch ›die Rabeneltern‹ gebracht«, ergänzt Ueli. »Ein kleines bisschen Wahrheit steckt dahinter – es ist nicht nur ein Spruch.«
Karriereziele erreicht Beide Partner sind der Meinung, Karriere gemacht zu haben. »Es war uns wichtig, dass beide die Möglichkeit hatten, weiterzukommen«, berichtet Eleonora. »Alles andere wäre nicht gut gewesen. Ich habe vor zwanzig Jahren gesagt, dass ich unglücklich wäre und alle verrückt machen würde, wenn ich nur zu Hause wäre.« Auch Ueli wünschte sich Verantwortung. »Dies war unter anderem der Grund, weshalb ich eine Anstellung eingegangen bin. Ich bin heute stellvertretender Geschäftsleiter und in der Leitung der AEB im engsten Führungskreis.«
Teilzeitarbeit als Voraussetzung egalitärer Rollenteilung Im Arbeitsfeld von Ueli arbeiten sehr viele Leute Teilzeit. »Es gibt jene, die andernorts noch Aufträge und Jobs haben, und es gibt auch jene, die Kinder haben – sowohl Männer wie Frauen. Wir versuchen, Teilzeit zu ermöglichen. Auch wenn man ein relativ kleines Pensum arbeitet, kommt man bei uns in die Pensionskasse rein.«
Eleonora bezeichnet Spitäler als »Paradebeispiele von Teilzeitarbeit«. Sie ist überzeugt, dass diese ohne Teilzeitpensen gar nicht mehr funktionieren könnten. »Die Arbeit ist für die Menschen teilweise so belastend, dass sie es nur bewältigen können, wenn sie Teilzeit arbeiten.« Die Akzeptanz von Teilzeitarbeit scheint je nach Fachrichtung und Person zu variieren. Eleonoras Erfahrung zeigt, dass sie »sehr von der Haltung der jeweiligen Chefärztin oder des jeweiligen Chefarztes abhängt. Ich erlebe es immer öfter, dass Assistenzärztinnen und -ärzte – aber auch Oberärzte – kommen und sagen, dass sie nicht mehr achtzig Stunden in der Woche arbeiten möchten.« Diskussionen um die Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeiten seien immer häufiger, und sie versuche jeweils, eine pragmatische Haltung einzunehmen. »Wenn Diskussionen um die Höhe der Pensen aufkommen, versuchen wir, die betriebliche Seite und die Seite der Einzelperson wahrzunehmen und es zu ermöglichen.« Schon länger gefördert werden jegliche Formen des unbezahlten Urlaubs oder des Mutterschaftsurlaubs. »Es ist selbstverständlich, dass man nicht zwei Monate nach der Geburt bereits wieder da sein muss – zumindest in meinem Bereich nicht. Die Frauen können den Urlaub auch wirklich in Anspruch nehmen. Doch die Arbeitgeber stehen auch in der Pflicht, Entlastung in der Kinderbetreuung zu bieten. Wir haben im Universitätsspital ein Angebot an Kinderbetreuung, das über die letzten Jahre stark ausgebaut wurde. Es ist für mich das A und O, dass man in einem Betrieb ein solches Angebot hat und dass man es flexibel handhabt.«
Weitere berufliche Perspektiven Beide Partner arbeiten gerne und genießen es, neue Erfahrungen zu machen. Eleonora Riz à Porta hofft, in den verbleibenden zehn Jahren ihre Arbeitsbelastung einschränken und damit ihren Energiehaushalt besser im Gleichgewicht halten zu können. »Ich merke, dass ich älter werde und länger brauche, um mich zu erholen. Die Freude am Arbeiten habe ich – aber es braucht meine Kräfte. Ich bin heute 55 Jahre alt. Wenn ich mir vorstelle, dass es in fünf Jahren immer noch so intensiv läuft, denke ich, dass es ›too much‹ wäre.«
Ueli Bürgi sieht den kommenden Jahren zuversichtlich entgegen. »Ich werde mich aber nicht vor 65 Jahren pensionieren lassen können. Ich hatte als Selbstständigerwerbender stellenweise keine Pensionskasse, nur eine Lebensversicherung. Vielleicht werde ich ab 65 in einem kleineren Pensum weiterarbeiten, bevor ich schließlich ganz aufhöre.«
Hausarbeitsteilung Wie Eleonora erzählt, hat sich die Hausarbeitsteilung so verändert, »dass Ueli unter der Woche mehr kocht, weil ich häufig erst sehr spät nach Hause komme. Einkaufen gehe ich heute noch am Wochenende, auch das Bügeln übernehme ich. Aber gekocht habe ich früher deutlich mehr.« Ueli betont, Eleonora störe sich schneller daran, wenn nicht aufgeräumt sei. (Zu ihr) »Wenn Zeugs rumliegt, räumst du schneller auf. Ich mache es auch irgendwann, aber für mich ist es jeweils nicht so dringend.« Eine Putzfrau sorgt alle zwei Wochen für Entlastung. Eleonora betont, es gebe im Haushalt heute »weniger Konflikte, die täglich anfallen«. – »Das heißt nicht, dass wir nicht mehr streiten«, relativiert Ueli. »Aber wir wissen, worum es geht, und können es wieder auflösen.«
Geteilte Kinderbetreuung – auch mit Nachbarn Mit der seit über zwei Jahrzehnten praktizierten partnerschaftlichen Rollenteilung ist das Paar sehr zufrieden. Dank dem Kindertausch mit Nachbarn und ergänzender Kinderbetreuung im Tagesheim haben sie es geschafft, Familie und Beruf gut unter einen Hut zu bringen. Ueli betont: »Wir waren auch darauf angewiesen, mit Freunden und Freundinnen Lösungen zu finden, weil unsere Eltern zu weit weg wohnten und auch nicht mehr in der Lage waren, die Kinder zu betreuen. Wir brauchten folglich diese Ergänzung, damit wir die Kinder nicht nur in einen Kindergarten oder eine Kinderkrippe geben mussten.« Das Elternpaar teilte die Kinderbetreuung mit anderen im Haus wohnenden Eltern. Eleonora äußert sich darüber sehr zufrieden. »Die Form der gemeinsamen Betreuung mit Freunden hat für mich die schöne Konsequenz, dass die Kinder heute wie Geschwister sind.«
Beurteilung der eigenen Rollenteilung Wie zufrieden ist das Paar mit der von ihm praktizierten Rollenteilung? Für Ueli ist klar: »Ich würde es wieder machen. Es war unser Wunsch, dass wir sowohl ein Berufsleben als auch ein Leben mit den Kindern haben. Ich kann heute sagen, dass ich diesbezüglich reich bin. Ich spüre es durch die Beziehungen, die ich zu meinen Kindern habe. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass ich im Berufsleben nur verzichtet hätte und keine Karriere machen konnte. Es hat vielleicht ein wenig länger gedauert – aber es ging gut.«
Auch Eleonora betont, sie würde die egalitäre Rollenteilung wieder wählen. »Doch das Modell – mit dem ständigen Absprechen, dem kontinuierlichen Rücksichtnehmen und dem Aufeinanderschauen – war auch anstrengend. Ich habe immer wieder gemerkt, wie ich an den Rand meiner Geduld gestoßen bin.« Trotzdem findet auch Eleonora, es habe sich gelohnt. Das Modell habe mitgeholfen, eine gute Beziehung zu den Kindern aufzubauen, und es habe auch die Beziehung zwischen den Partnern gestärkt. Ueli bestätigt: »Durch die beruflichen Felder gab es viele Austauschmöglichkeiten und interessante Begegnungen.« Er weist allerdings auch auf eine Schwierigkeit hin: »In diesem Modell besteht die Gefahr – und die haben wir auch real gespürt –, dass man zu schnell zu viel arbeitet und dadurch in der Familie nicht mehr so präsent ist.«
Was ist aus den Kindern geworden? Die Kinder Gian und Sina sind erwachsen. Gian (24) hat sein Jus-Studium in Basel mit dem Bachelor abgeschlossen und macht nun noch den Master. Er ist vor drei Jahren zu Hause ausgezogen und wohnt nun im selben Quartier in einer Männerwohngemeinschaft. Sina (20) hat nach der Matura ein Zwischenjahr eingelegt. Sie weilt aktuell in Peru und will nachher ein Architekturstudium an der ETH in Angriff nehmen. Die Mutter geht davon aus, »dass sie sich eine Wohnung in Zürich suchen wird. Weil sie jedoch immer am Reisen ist, kann sie sich gar keine Wohnung suchen.«[7]
Die Eltern sind glücklich, dass sich die Beziehungen zu ihren Kindern trotz pubertärer Turbulenzen gut entwickelt haben. Ueli bezeichnet dies als »Riesengeschenk« und ergänzt: »Sie sind sehr offen. Wir sind erstaunt darüber, was sie uns alles erzählen. Sie erzählen uns auch von ihren Beziehungen und so weiter. Das ist sehr eindrücklich.«