Studienbuch Theaterpädagogik (E-Book, Neuausgabe). Marcel Felder

Studienbuch Theaterpädagogik (E-Book, Neuausgabe) - Marcel Felder


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Formen. Die Einflüsse wurden mehr und mehr wechselseitig, ebenso die Durchmischung von Profis und Laien, von Theater und Nicht-Theater, von Theater und Performance.

      Mehr und mehr wurden denn auch Bereiche wie die schulische Theaterarbeit wieder unter den Fokus von Theater und Ästhetik gestellt, die Auseinandersetzung mit Formen und Darstellungsweisen wieder zentraler, die Aufführung wichtiger als der Gruppenprozess, die pädagogische Einflussnahme zweitrangig bis verpönt.

      Theaterpädagogen und -pädagoginnen wollen also ästhetisch ansprechende, eigene, den Möglichkeiten der Mitspielenden entsprechende Wege beschreiten und eigene Formen einbringen. Wenn dabei auch Persönlichkeitsentwicklung und Gruppendynamik eine positive Einflussnahme haben, so wird dies als ‹Nebenprodukt› gerne in Kauf genommen. (Hentschel (2007), S. 5; vgl. auch Lenakakis (2004), S. 40 ff. und Weintz (2008), S. 284 ff.)

      Theaterpädagogik entspringt nicht stammbaumgleich einer Wurzel, aus der sie sich linear entwickelt hat. Vielmehr sind etliche Ursprünge auszumachen, die z. T. weit in die humanistische Schulspieltradition genauso wie in die religiös-christliche (Fest-)Spieltradition und das damit eng verknüpfte Laienspiel zurückreichen. In ihrer Begrifflichkeit eingeengt hat sich Theaterpädagogik zu Beginn des 20. Jh. im Rahmen reformpädagogischer Bestrebungen und der Nutzbarmachung des Spiels als moralische Instanz und Medium der Tradierung ‹höherer Werte›.

      Bis in die 1960er-Jahre wurden Spiel und Theater als Chance und Teil einer musischen Bildung proklamiert – je nach Standpunkt mehr oder weniger stark im Sinne einer aktiv-gestalterischen Nachahmung der Kunstform oder als Eigenerfahrung mit kreativkünstlerischer Ausrichtung; in beiden Fällen aber doch mit der übergeordneten Tendenz, Theater als Kunstform und Kunst als Wertschöpfung im Sinne eines Traditionsaufbaus und einer Wertschätzung zu etablieren.

      Nach Jahren einer Schulspieltradition, die sich stark an einem klassikerorientierten Theater ausgerichtet und für das Schulspiel die sterile Imitation von professionellen Produktionen zur Folge hatte, verselbstständigte sich die Theaterpädagogik gegen Ende der 1970er-Jahre: Im Zuge der Entwicklung des emanzipatorischen Kindertheaters etablierte sich eine Spiel- und Interaktionspädagogik, die sich vom Theater als Form abkehrte und sich mehr dem Spiel als politischem und persönlichem Bildungsmittel zuwandte und dabei den Prozess und die im Prozess gemachten Erfahrungen ins Zentrum stellte.

      Erst in den 1980er-Jahren kam es wieder zu einer Hinwendung zu ästhetischen Fragen und formalen Aspekten auch des Schultheaters. Im Rahmen von szenischen Erzählungen, der Suche des Eigenen und der Unverwechselbarkeit, wurden zugleich die Darstellungsformen und die experimentellen Versuche vielfältiger; auch darin spiegelte sich die Entwicklung im Regietheater bzw. in der Suche nach eigenen Formen im Bereich der Freien Szene; dies u. a. auch mit der Auflösung von Grenzen bezüglich Aufführungsräumen oder der Vermischung von Aktion und Spiel, von Realität und szenischer Behauptung. Statt von Darstellendem Spiel wird nun von Theaterpädagogik gesprochen; das Theater rückt wieder verstärkt in den Fokus. Daran nicht unbeteiligt sind sicher auch die inzwischen entstandenen Ausbildungsstätten für theatervermittelnde Berufe.

      Seit Beginn des neuen Jahrtausends steht eine grosse Vielfalt von Formen und Herangehensweisen nebeneinander. Mehr und mehr etabliert haben sich auch in der Theaterpädagogik performative Formen wie Installationen, partizipative Formen, Performing Acts etc. Neu wird also Bedeutung nicht über ein ‹als ob› erreicht, sondern durch den konkreten und unmittelbaren Vollzug von Handlungen und die damit verbundene Konstituierung von Bühnenwirklichkeit (vgl. Hentschel (2007), S. 5). Nach Schulspiel und musischer Bildung, nach emanzipatorischer Bildung und Darstellendem Spiel ist heute der Begriff der ‹ästhetischen Bildung› gebräuchlich.

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      Geblieben aber sind die drei Grundmotivationen theaterpädagogischer Arbeit, die mit unterschiedlicher Gewichtung in dieselbe einfliessen: «Entsprechend ihrem Begründungszusammenhang lassen sich drei Arten theoretischer Legitimation unterscheiden (vgl. Kaiser 1984), die in den diskutierten Ansätzen nicht immer isoliert, in «Reinform» und überschneidungsfrei auftreten. Es handelt sich vielmehr um den Versuch, eine operationale Unterscheidung zu treffen:

      1.Die anthropologische Begründung, die davon ausgeht, dass der Bereich Spiel und Theater wesensmässig zum Dasein des Menschen gehöre und damit als unverzichtbarer Bestandteil bzw. Inbegriff der menschlichen Bildung anzusehen sei.

      2.Die kulturpädagogische Begründung, wobei der Begriff «kulturpädagogisch» hier im Sinne der geisteswissenschaftlichen Pädagogik als Weitergabe der in den Bildungsgütern bewahrten kulturellen Werte an die nächste Generation verstanden wird. Nach diesem Verständnis geht es um eine Erziehung zur Kunst, konkret zum Verständnis der dramatischen und theatralen Kunst.

      3.Die sozialisationstheoretische Begründung, die das Subjekt des Bildungsprozesses und seine für zukünftiges gesellschaftliches Handeln notwendigen Qualifikationen in den Mittelpunkt stellt und theaterpädagogische Methoden als Mittel ansieht, den Menschen mit diesen Qualifikationen auszustatten. Diese Auffassung lässt sich auf die Formel der «Erziehung bzw. Bildung mittels Theater» bringen.»

      (Hentschel (2010), S. 123)

      LITERATUR

      Assies, Michael (2008): Grundschultheater: Vom Kopf auf die Füsse. Grundlagenbildung, Struktur und Verankerung. In: Jurké, Volker; Linck, Dieter & Reiss, Joachim (Hrsg.): Zukunft Schultheater. Das Fach Theater in der Bildungsdebatte. Hamburg: edition Körber-Stiftung, S. 156 – 160.

      Ehlert; Dietmar (1986): Theaterpädagogik. Lese- und Arbeitsbuch für Spielleiter und Laienspielgruppen. München: Verlag J. Pfeiffer.

      Genossenschaft Schauspiel-Akademie Zürich (Hrsg.) (1987): 50 Jahre Schauspiel-Akademie Zürich; 1937 bis 1987. Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Schauspiel-Akademie Zürich (SAZ). Wädenswil: Stutz und Co.

      Göhmann, Lars (2003): Drama in Education. In: Koch, Gerd & Streisand, Marianne (Hrsg.): Wörterbuch der Theaterpädagogik. Berlin, Milow, Strasburg: Schibri-Verlag, S. 80 – 82.

      Grotowski, Jerzy (1970): Das arme Theater. Velber: Friedrich Verlag.

      Hentig, Hartmut von (2004); Bildung. Ein Essay. Weinheim: Beltz Verlag.

      Hentschel, Ulrike (2010): Theaterspielen als ästhetische Bildung. Über einen Beitrag produktiven künstlerischen Gestaltens zur Selbstbildung, Berlin, Milow, Strasburg: Schibri-Verlag.

      Hentschel, Ulrike (2007): «Theater» in der Schule gibt es nicht! In: Siemens Arts Program (Hrsg.): kiss. Kultur in Schule und Studium. Theater und Neue Dramatik in der Schule. München: Siemens Arts Program, S. 5.

      Hesse, Eckart (2008): Wer die Vergangenheit kennt, hat Zukunft. Die Entwicklung des Darstellenden Spiels zum Unterrichtsfach. In: Jurké, Volker; Linck, Dieter & Reiss, Joachim (Hrsg.) (2008): Zukunft Schultheater. Das Fach in der Bildungsdebatte. Hamburg: edition Körber-Stiftung, S. 39 – 50.

      Johnstone, Keith (2000): Improvisation und Theater; die Kunst, spontan und kreativ zu agieren. Berlin: Alexander Verlag.

      Jurké, Volker; Linck, Dieter & Reiss, Joachim (Hrsg.) (2008): Zukunft Schultheater. Das Fach Theater in der Bildungsdebatte. Hamburg: edition Körber-Stiftung.

      Koch, Gerd & Streisand, Marianne (Hrsg.) (2007): Wörterbuch der Theaterpädagogik. Berlin, Milow, Strasburg: Schibri-Verlag.

      Lenakakis, Antonios (2004): Paedagogus Ludens. Erweiterte Handlungskompetenz von Lehrer(inne)n durch Spiel- und Theaterpädagogik. Berlin, Milow, Strasburg: Schibri-Verlag.

      Liebau, Eckhart (2008): Was Schultheater für die Schüler und die Schule leistet. Dimensionen theatraler Bildung. In: Jurké, Volker;Linck, Dieter & Reiss, Joachim (Hrsg.): Zukunft Schultheater. Das Fach in der Bildungsdebatte. Hamburg: edition Körber-Stiftung, S. 19 – 25.

      Lille, Roger (2009): Fundus. Das TheaterWörterBlätterBuch. Aarau: BKS.

      Naumann, Gabriela (2003): Brecht,


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