Studienbuch Theaterpädagogik (E-Book, Neuausgabe). Marcel Felder

Studienbuch Theaterpädagogik (E-Book, Neuausgabe) - Marcel Felder


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wie Josef Elias, der neue Formen und ästhetische Ansätze ins Schultheater einbrachte, oder Max Huwyler, bekannt für seine witzig-skurrilen sprachspielerischen Minidialoge.

      Die SADS lancierte auch thematische Publikationen wie ‹Kleider-Klamotten-Kostüme› oder ‹Musik.Theater. Musik›. Für viele Theaterpädagogen und -pädagoginnen war die SADS erstes und lange Zeit einziges Gefäss des Austauschs, der Weiterentwicklung und der beruflichen Lobbyarbeit.

      2004 erschien die letzte Nummer der ‹Spielpost› und die Arbeitsgemeinschaft löste sich auf, u. a. wegen mangelnder finanzieller Unterstützung durch den Bund, sicher aber auch infolge sich verändernder Arbeitsfelder, neuer Strukturen und einem höheren Anspruch an eine berufspolitische Ausrichtung: Gefragt war ein Berufsverband.

      assitej (Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche)

      Vor der Gründung des tps war die assitej, der Verband der professionellen Kinder- und Jugendtheaterschaffenden der Schweiz, für viele Theaterpädagoginnen und -pädagogen die berufliche Heimat, denn etliche arbeiteten sowohl als Schauspieler im Kinder- und Jugendtheaterbereich als auch als Theaterpädagogen.

      Die assitej organisiert alle zwei Jahre das Theaterfestival ‹Spot›, dient als Job-Plattform und Austausch-Netz, lanciert Aktionen zum Tag des Kindes am 20. November und ist eine bewährte Anlaufstelle für gutes, altersadäquates, professionelles Theater für Kinder und Jugendliche. Mehr über ihre Aktivitäten unter: www.assitej.ch

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      Nicht nur die übergeordneten Zielsetzungen sind unterschiedlich und machen wohl auch die Unverwechselbarkeit jedes einzelnen Theaterpädagogen/jeder einzelnen Theaterpädagogin aus. Genauso unterschiedlich sind die ästhetischen Ansätze und theatralen Formen, die zum Tragen kommen. So vielfältig die inszenatorischen Zugänge auf der Profi-Bühne sind, so vielfältig sind sie auch im theaterpädagogischen Bereich: Vom Klassiker zum Zeitstück, von der selbstentwickelten Geschichte zur szenischen Collage, vom Stationenspiel über theatrale Installationen bis zu performativen Formen ist alles zu finden und erlaubt.

      Theaterpädagoginnen und -pädagogen arbeiten in einem breiten Segment, mit einer breit gestreuten Klientel und mit unterschiedlichen Ziel- und Prioritätensetzungen. Grundsätzlich ist man sich aber einig, dass theaterpädagogische Arbeit aus pädagogischen und theatralen/künstlerischen Dimensionen besteht, wobei die Gewichtung der beiden Pole recht unterschiedlich sein kann und auch immer wieder Anlass zu Diskussionen und Abgrenzungen gibt. Es sind denn auch meist Behauptungen oder ‹Weltanschauungen›, die aufeinander prallen, denn auf fundiertes ‹Beweismaterial› ist kaum zurückzugreifen. Dazu trägt bei, dass Theaterpädagogik eine junge Disziplin ist, wenn es um Empirie und Forschungsresultate geht. Es gibt erst wenige Untersuchungen etwa zur Nachhaltigkeit oder Wirkung des Spielprozesses. Theaterpädagogik ist noch kaum wissenschaftlich aufbereitet und untersucht.

      So basieren die ‹Erfolgsmeldungen› über die ‹Chance Theaterspiel› denn in der Regel auch auf Erfahrungen einzelner Macherinnen und Macher, auf mündlichen Rückmeldungen von Klassen und Lehrpersonen, auf Interviews und Kurzevaluationen mit Beteiligten.

      Was Theaterspielen in der Schule bringt:

      Auch wenn empirisch nicht belegt, ist sich die ‹Szene› trotzdem einig, dass Theaterpädagogik

      –das soziale Gefüge einer Klasse oder Gruppe positiv beeinflussen kann;

      –die Chance bietet, sich mit anderem und anderen, mit Fremdem und Fremden, auseinanderzusetzen;

      –die Selbst- und Fremdwahrnehmung fördert;

      –die Wahrnehmung sensibilisiert und Wachheit und Aufnahmebereitschaft unterstützt;

      –teamfähiger macht;

      –die Fantasie und die Kreativität anregt;

      –Vertrauen in eigene Ideen geben kann und Selbstvertrauen fördert;

      –die Auftrittskompetenz und die stimmliche und körperliche Präsenz stärkt;

      –die Chance, sich von einer andern Seite zu zeigen, eröffnet;

      –Gelegenheit ist, über sich selbst hinaus zu wachsen und Neues zu wagen;

      –die Kritikfähigkeit – im Geben und im Nehmen – fördert;

      –den sprachlichen Ausdruck schult;

      –Empathie ermöglicht;

      –Wege der Erprobung von Leben eröffnet;

      –immer Spiel bleibt;

      –Selbsterfahrung ermöglicht und die Chance birgt, sich auszuprobieren;

      –das ästhetische Bewusstsein fördert;

      –eine intensive Auseinandersetzung mit sich und der Welt, die einen umgibt, sein kann;

      –Menschen an die Kunstform ‹Theater› heranführen kann;

      –offener macht, sich dem Leben zu stellen und Courage zu beweisen;

      –zu Standpunkten und zum Stellung beziehen herausfordert;

      –dazu führt, sich – aktiv und passiv – mit zeitgenössischen Theaterformen auseinander zu setzen. Selbstverständlich soll dieser bunt gemischte Katalog nicht den Eindruck erwecken, als kämen alle aufgeführten Dimensionen der Wirkung stets gleichwertig und im selben Masse zum Tragen.

      Die Gewichtung der unterschiedlichen Chancen, die sich mit der Theaterpädagogik verbinden, war und ist von der theaterpädagogischen ‹Epoche› und dem theaterpädagogischen Mainstream bzw. der Entwicklung abhängig. Ziele und Absichten haben sich in den vierzig Jahren, seit Theaterpädagogik ein Beruf ist, verändert und sind ein Stück weit auch Spiegelbild der Entwicklung von Pädagogik und Theater gemeinhin.

      Dabei waren die Texte von Hartmut von Hentig für die Theaterpädagogik wichtig – und so sehr seine Thesen nach den Vorkommnissen in der Odenwaldschule heute kritisch reflektiert und wahrgenommen werden müssen, waren sie für die Entwicklung des theaterpädagogischen (Selbst-)Verständnisses in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wegleitend. In diesem historischen Kontext sollen sie hier Erwähnung finden.

      Hartmut von Hentig hat in seinem Aufsatz zur Bedeutung von Spiel und Theater in der Erziehung die Chancen des Spiels umfassend beschrieben. Deutlich werden die vielfachen Wirkungsmöglichkeiten von Spiel im ‹Verstehenden› und im ‹Gestaltenden› und das Umfassende von Theater, wenn von Hentig von ‹Aneignung der Welt› spricht: «Ich traue mir die Einrichtung einer alle Bildungsansprüche befriedigenden Schule zu, in der es nur zwei Sparten von Tätigkeiten gibt: Theater und Science. Es sind die beiden Grundformen, in denen der Mensch sich die Welt aneignet: subjektive Anverwandlung und objektivierende Feststellung.» (von Hentig (2004), S. 118)

      Theater

      Das geläufigste Mittel zur Aneignung der Welt ist die Benennung, ist Sprache. Das wirksamste ist es nicht, es ist nicht einmal das ursprünglichste. Ich habe einmal einen Film über Kinder und Kunst gedreht. Ein kleiner Abschnitt davon war einem Experiment gewidmet: Ich habe ein halbes Dutzend Kinder zwischen vier und fünf, im Vorschulalter also, in einen Raum eines Museums gelassen, in dem grosse Renaissance-Bilder mit Darstellungen von mythologischen Begebenheiten, höfischen Szenen und dramatischen Schlachten hingen. Die Kinder wurden gleichsam mit «versteckter Kamera» beobachtet – und allein gelassen. Sie verstreuten sich sofort über den ganzen Raum, betrachteten hin- und hergehend das eine und das andere Bild, und dann, plötzlich, ging dieses Kind auf vier Beinen, reckte sich jenes zum Riesen, zog ein drittes eine schreckliche Grimasse. Wenn man genau hinsah, erkannte man, dass sie ein Tier oder einen Menschen auf dem Bild nachahmten. Ich habe das als ihre Art, sich mit dem Bild bekanntzumachen, als ihre Aneignung des Gegenstandes verstanden, da, wo wir Erwachsenen Zuweisungen vornehmen,


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