Warrior & Peace. Stella A. Tack

Warrior & Peace - Stella A. Tack


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nahm ich kaum als die Signatur eines Gottes wahr. Andere hingegen ließen meine Haut kribbeln, als liefen Hunderte Ameisen darüber. Andere Präsenzen konnte ich stattdessen gar nicht zuordnen. Die enorme Fülle an neuen Empfindungen stürmte in so kurzen Abständen auf mich ein, dass mir tatsächlich schwindelig wurde. Das Leuchten meines Körpers flackerte. Der wiederum schien immerhin zu wissen, wohin er wollte, auch wenn er dabei wie betrunken herumschlingerte. Doch der Kurs blieb. Immer tiefer ins dunkle Herz des Tartaros hinein. Oder hinaus? Ich hatte eindeutig die Orientierung verloren.

      Mit der linken Schulter streifte ich die gläserne Kante eines Hochhauses. Ich wandte den Kopf und blickte in das überraschte Gesicht einer pummligen Göttin. Sie saß in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa. Die Beine untergeschlagen. Eine blaue Decke darum gewickelt las sie in einem Buch. Die Inneneinrichtung sah aus wie die einer gewöhnlichen Wohnung, was Sinn machte, wenn man bedachte, dass auch die Götter hier unten irgendwie normal leben mussten. Trotzdem war dieses Bild verstörend. Wie aus einem Leben, das nicht hierhergehörte. Nicht in den Tartaros, ein Gefängnis.

      Kurz trafen sich unsere Blicke. Ihre braunen Bambi-Augen wurden stetig größer, während mein eigener Körper sich grell im Fenster widerspiegelte. Gerade als ich an ihr vorbeidriftete, stand sie vom Sofa auf und stürzte zu mir. Mit zittrigen Fingern öffnete sie eine der gläsernen Fronten. Es knackte, als das schwere Glas nach innen schwang und ihr Kopf mit den schulterlangen blonden Locken herauspoppte.

      »He–Hey, ist alles okay bei dir?« Ihre Stimme klang hoch und dünn. Ein süßlicher Geruch wehte mir entgegen. Ich öffnete den Mund, gab aber sofort wieder auf. Seufzend schüttelte ich den Kopf. Die junge Göttin musterte mich wachsam. Ihr Blick huschte über meine Gestalt, als würde sie Dinge sehen, die mir verborgen blieben. Hektische rote Flecken bildeten sich dabei auf ihren runden Wangen. »Ich … Ich glaube, da übt jemand einen Zauber auf dich aus!«

      Ich riss besorgt die Augen auf.

      »K-Keine Angst!«, stotterte die Göttin und lächelte kurzentschlossen. »Ich folge dir. Du bist nicht allein!« Im nächsten Moment verschwand sie aus meinem Sichtfeld.

      Ich trieb davon, zog eine Schneise durch die Dunkelheit und spürte, wie Peace in meinem Inneren nach mir suchte. Seine Verbindung zu mir zog an meiner Seele, als hielte ein straff gespanntes Seil uns zusammen. Ich packte es und zog ihn gedanklich näher zu mir. Er folgte wie ein Bluthund, der seine Fährte aufgenommen hatte. Sehr gut. Zumindest war er unterwegs. Die Anspannung in meinem Nacken ließ ein wenig nach, als ich ein Rufen hörte. Mein Blick zuckte hinab zur Straße.

      »Hey! Alles okay? Tief durchatmen! Ich glaube, es zieht dich in Richtung des Idiotendreiecks!«

      Die Blondine! Sie stand unter mir, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und brüllte zu mir hoch. Idioten wo, was, wie? Perplex schaute ich auf die mollige Göttin hinab, die ihre Arme umständlich in eine kurze Jacke zwängte und dann hopsend versuchte, ihre Turnschuhe zuzubinden. Ihre kurzen Beinchen hatten Mühe, mit mir Schritt zu halten. Warum tat sie das? Warum folgte sie einer vollkommen Fremden, die wie eine Bekloppte an ihrem Wohnzimmerfenster vorbeigedüst war? Ich würde da ganz sicher nicht hinterherlaufen! Das tat man doch nicht einfach so, oder? Aber um ehrlich zu sein, erleichterte es mich, nicht mehr allein und ohne Hilfe durch den Tartaros zu segeln. Auch wenn besagte Hilfe gerade fluchend über eine Mülltonne stolperte und auf etwas Nassem ausrutschte. Fast hätte ich gelacht, besonders als sich die junge Göttin stöhnend etwas vom Hintern wischte. Das Mädchen linste zu mir hoch und errötete.

      »Da war eine … ist dunkel!«, stotterte sie.

      Meine Mundwinkel zuckten und ich bog scharf ein. Wenn ich geglaubt hatte, dass es in den Straßen dunkel gewesen war, die bisher nur von mir selbst beleuchtet worden waren, überkam mich hier eine völlig neue Dimension davon. Außerdem änderte sich der Geruch. Es roch nass, feucht und alt, müffelte nach Stein und schwarzer Magie. Das pulsierende Leben in den Straßen hatte sich in Stille verwandelt, war vorsichtiger und gleichzeitig wilder geworden. Wie ein Hunderudel, das warnend die Zähne fletschte. Wenige Lichter erhellten die Wege und die Gebäude waren baufällig und so brüchig, als wäre ich in einer Dystopie gelandet. Wer hier lebte, war eindeutig nicht reich. Meine Füße streiften die Antenne eines halb zerstörten Masts, als es auf einmal passierte. Mein Magen machte einen Salto. Es knackte in meinen Ohren und mein Hintern mimte einen Meteoriten, als er samt mir wie ein Stein vom Himmel fiel. Ohne Vorwarnung. Puff. Das Leuchten um mich herum flackerte wie bei einer kaputten Glühbirne. Ich kreischte. Das Haar peitschte mir ums Gesicht. Der Flugwind riss an meiner Haut und den Klamotten und ich starrte dem Abgrund entsetzt entgegen. Der Boden war nah. Viel zu nah. Mayday! Captain, wir haben ein Problem! Verzweifelt rief ich meine Flügel. Fühlte das Hervorbrechen der Federn und schlug hektisch aus. Zu spät.

      Mit voller Wucht krachte ich auf den betonierten Boden. Staub und Asphaltbrocken flogen mir um die Ohren. Mein rechter Flügel knickte ein und ich stöhnte. Schwindel packte mich. Wie schon einen Tag – oder waren es bereits zwei? – zuvor schien mein Körper den Naturgesetzen zu trotzen. Ich blieb heil. Zumindest stachen keine Knochen oder ähnlich ekelhaftes Anatomiezeug heraus. Ich spuckte außerdem kein Blut oder meine Leber aus, was ich als gutes Zeichen wertete. Unter mir knirschten die Betonsplitter, die sich wie ein Nagelbett in meinen Rücken bohrten.

      »Ist sie bei Bewusstsein?« Eine schrille Stimme ließ mich orientierungslos aufsehen. Staub wirbelte um mich herum. Ein paar abgerissene Federn flatterten zu Boden. Ich lag in der Kuhle, die mein Körper gewaltvoll in den Boden gerissen hatte. Die Umgebung war nur ein vager Schemen. Ich vermutete allerdings, dass ich in einem Hinterhof gelandet war. Häuserzeilen zogen sich vor und neben mir in die Höhe. Genau wie die Schatten zweier Gestalten, die in einigen Metern Entfernung standen und misstrauisch Abstand zu mir hielten. Ihre bohrenden Blicke jagten mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ächzend setzte ich mich auf und versuchte, das schwindelerregende Karussell in meinem Kopf anzuhalten.

      »Sie ist wach!«, kreischte die weibliche Stimme erneut. »Mach was, Virus! Ich kann den Schwebzauber nicht länger aufrechterhalten, die ist wirklich verdammt schwer!«

      »Nerv nicht rum, Karma! Ich muss sie mir erst mal ansehen«, gab Schemen Nummer zwei mit tiefer und angepisster Stimme zurück. Beide waren in etwa gleich groß, die Schultern des zweiten eindeutig männlich. Breit. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt, während die hohe Stimme, aka Schemen eins, mit Absätzen auf dem zersprungenen Asphalt klackerte. Das scharfe Klacken wirkte nervös.

      »Du sollst sie nicht ansehen. Sie wird schon wieder! Der Zauber hat nur kurzzeitig ihre Struktur verflüssigt. Zwei Minuten und sie ist wieder wie vorher. Jetzt komm!«, motzte sie. »Hast du nicht gehört, was mit Shame passiert ist? Die Olle ist durchgeknallt. Schnapp sie dir und wir verschwinden. Wenn Peace uns mit ihr erwischt, sind wir am Arsch.«

      »Halt die Klappe! Ich weiß, was ich tue und es hilft uns nichts, wenn sie Gelee ist«, zischte Mr. dunkle Stimme genervt. Wie hatte ihn die Frau genannt? Virus? Sagte mir nichts. Klang außerdem dämlich. Wie eine Geschlechtskrankheit. Oh, hast du auch Virus? Brennt wie Sau, oder?

      Ich krächzte und hustete rasselnd, was die beiden zusammenzucken ließ.

      »Mach hinne!«

      Virus knurrte und fluchte dumpf, kam auf mich zu. Ich blinzelte zu ihm hoch. Zumindest versuchte ich es. Unter meinen geschwollenen Lidern erkannte ich helle Haut und ein kantiges Gesicht, das sich vor meines schob. Es dauerte ein paar Sekunden, in denen ich den Blick scharfstellte, um endlich mehr erkennen zu können. Seltsamerweise fiel mir sein Haar als Erstes auf. Es war von einem satten Dunkelgrün, dessen Farbe an Waldmoos erinnerte. Schräg. Eine Reihe von kleinen Drähten und Lämpchen zogen sich über die Hälfte seiner Stirn und scharfen Wangenknochen. Das Technikzeug ähnelte dem von Hack, nur waren die von Geschlechtskrankheit … äh, Virus aggressiver. Das Metall stach beinahe gewaltvoll in seine Haut und bohrte sich am anderen Ende wieder heraus. Fasziniert starrte ich ihn an. Seine Augenfarbe kam einer gelbäugigen Katze gleich. Gold und leuchtend. Verschlagen und hungrig.

      Virus musterte mich ebenfalls. Mit fast greifbarer Intensität huschte sein Blick über meine Haut. Registrierte die Maske in meinem Gesicht und das lange goldene Haar, das auf dem Boden ausgebreitet


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