Drachensonne. Thomas Strehl

Drachensonne - Thomas Strehl


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Augen bot, hatte mit all dem nichts mehr zu tun. Dieses hier war nur noch eine heruntergekommene Ansammlung verlassener Hütten, dreckig und verkommen.

      Und doch sollte es noch einen König geben und damit eine kleine Hoffnung, an die sich der Junge klammern konnte. Wenn es auch die große Armee, die er sich als Unterstützung gewünscht hatte, nicht gab, so konnte er vielleicht doch noch Hilfe erwarten, in welcher Form auch immer.

      Sie verließen ein weiteres Gässchen und erreichten eine breitere Straße, die etwas bergan führte und auf ein großes Gebäude in der Mitte eines runden Platzes zulief.

      Hier gab es deutlich mehr beleuchtete Fenster, und die Häuser waren weniger verfallen.

      Trotzdem, oder gerade deswegen, türmte sich der Müll in den Straßen noch höher, und der Gestank raubte Jonaas fast den Atem.

      Den Soldaten schien es nicht zu stören, er brummte einige unzusammenhängende Worte und schleifte den Jungen erbarmungslos weiter.

      Jonaas hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Er wehrte sich anfangs nach Leibeskräften, doch der Griff des Mannes kam einer Eisenklammer gleich.

      Schließlich ergab er sich seinem Schicksal und versuchte nur, nicht zu stolpern.

      Hier und da, wenn sie besonders viel Lärm machten, erschienen Köpfe hinter schmutzigen Scheiben, Fenster wurden geöffnet, und man blickte ihnen neugierig nach, doch niemand unternahm etwas oder wunderte sich auch nur über den Soldaten und sein Verhalten dem Jungen gegenüber.

      Sie stolperten ohne Unterbrechung die Hauptstraße entlang, überquerten den Platz, auf dem ein verfallener Brunnen mit einer kopflosen Statue stand, und erreichten das Gebäude in der Mitte.

      Einige Stufen führten zu einem großen Portal, ein Säulengang umgab das große Bauwerk an jeder Seite, und Verzierungen und Stuckwerk zeigten, das es einst prachtvoll und schön gewesen sein musste.

      Nun befand es sich jedoch in ähnlich schlechtem Zustand wie der Rest der Stadt, und sie mussten über umgestürzte Säulen steigen, um das Portal zu erreichen.

      Der Soldat schleifte den Jungen näher, und als sie das große Tor, das halb offen stand, durchschritten, erreichten sie einen Saal, in dem ein riesiger Marmortisch und einige Stühle standen. Mehrere Türen gingen von der Kopfseite des Raumes ab, und der Dicke schleppte sie auf eine davon zu.

      Die Füße des Jungen scharrten über bunte Mosaike, die früher wohl herrliche Bilder gezeigt hatten. Nun jedoch waren sie verdreckt oder nur noch zur Hälfte vorhanden.

      »Ich kann allein laufen«, protestierte Jonaas zum hundertsten Mal, doch der Soldat lockerte erst den Griff, als sie den Saal durchschritten hatten.

      Aus der Dunkelheit im Hintergrund des Raumes schälte sich nun, im spärlichen Licht von zwei Fackeln eine Tür, auf deren verwittertem Holz eine Krone zu erkennen war.

      Vor ihr stand ein Mann. Sein Kinn lehnte auf einem langen Zweihänder, seine Augen waren geschlossen, sein Atem ging gleichmäßig und ruhig.

      »König Fadh wird begeistert sein, wenn er erfährt dass seine Palastwache schläft«, brüllte der Dicke plötzlich, und der Mann mit dem Schwert riss angsterfüllt die Augen auf.

      Er wollte den Zweihänder packen, doch der Dicke trat ihm das Schwert aus den Händen und die Waffe rutschte scheppernd über den Boden.

      Die Wache stolperte und prallte mit dem Rücken krachend gegen die Tür. Erst jetzt erkannte der Mann den Eindringling.

      »Kort«, stammelte er fassungslos. »Sag mal, du spinnst wohl. Wie kannst du mich so erschrecken.«

      Der Dicke baute sich vor der Wache auf. »Ich bringe wichtige Kunde für König Fadh«, sagte er. »Ich habe die erwarteten Eindringlinge geschnappt.«

      »Die Eindringlinge?« fragte die Wache.

      »Na gut«, gab Kort zu. »Es war nur einer.«

      Jonaas wunderte sich über das Gespräch der Männer. Die erwarteten Eindringlinge? dachte er. Wie konnten sie mit ihm gerechnet haben? Oder wartete man auf jemand ganz anderen?

      Für Jonaas war klar, das man ihn verwechselt hatte, und er wollte es sofort richtig stellen.

      »Ich bin ...«

      »Schnauze«, brüllte Kort. »Du redest erst, wenn du gefragt wirst.«

      Jonaas wollte trotzdem etwas erwidern, doch er schwieg, als die Tür mit der Krone geöffnet wurde und eine weitere Person die Halle des »Palastes» betrat.

      Jonaas hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit.

      Mit offenem Mund stand er stumm da und bestaunte das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte.

      Sie war ein wenig kleiner als er, ihre Haut war makellos, nur wenig von der Sonne gebräunt, und ihre feuerroten, gelockten Haare fielen ihr bis auf die Schultern.

      Ihr schlanker Körper steckte in schwarzen Hosen, Stiefeln und einem weiten, weißen Hemd mit großem Rüschenkragen.

      Ihre Nase war klein und spitz, hohe Wangenknochen gaben ihrem Gesicht ein edles Aussehen.

      Nur ihre vor Wut funkelnden, grünen Augen passten nicht zu ihrem herrschaftlichen Aussehen.

      »Was zum Henker ist hier los?«, fragte sie in befehlsgewohntem Ton.

      Jonaas rechnete für einen Moment damit, dass der Dicke zurück giften würde, doch er versuchte, Haltung anzunehmen, und wurde plötzlich ganz friedlich.

      »Verzeiht die nächtliche Störung, Prinzessin«, murmelte er und schob Jonaas auf das Mädchen zu. »Aber euer Vater gab den Befehl, jeden Eindringling sofort zu melden.«

      »Ich kenne die Befehle«, sagte das Mädchen barsch. »Trotzdem braucht ihr nicht einen solchen Lärm zu machen, dass man Angst haben muss, dass der Palast zusammenbricht.«

      Jonaas musste trotz seiner misslichen Lage lächeln.

      Wahrscheinlich bedarf es wirklich nicht viel mehr als etwas Lärm, um die Mauern zum Einsturz zu bringen, dachte er.

      Dem Mädchen war die plötzliche Fröhlichkeit des Jungen nicht entgangen. »Und du«, herrschte sie ihn an. »Dir wird das Grinsen schon noch vergehen.«

      Jonaas entwand sich dem Griff des Soldaten, der, beeindruckt vom Auftreten der Prinzessin, für einen Moment nicht achtgab.

      Der Junge zupfte sein Hemd zurecht und blickte das Mädchen an.

      »Werden in Kandelar alle Gäste so empfangen?«, fragte er ruhig.

      »Gäste nicht«, antwortete die Prinzessin kühl. »Eindringlinge schon.«

      Jonaas störte sich nicht daran als Eindringling bezeichnet zu werden. Er wollte nur seine Bitte vortragen.

      »Ich benötige Hilfe«, sagte er. »Und hoffe, diese in Kandelar zu erhalten.«

      »Hilfe?« Das Mädchen runzelte die Stirn. Sie schien ein, vielleicht zwei Jahre jünger als Jonaas zu sein. Ihre anfängliche Wut hatte sich gelegt, und nun sah sie den Jungen mit unverhohlener Neugierde an.

      »Soll ich ihn wegsperren?«, fragte der Soldat, der Jonaas zum Palast geschleift hatte.

      »Ja, ja, wegschließen«, meldete sich nun auch der zweite Soldat. Er kniete unweit von den anderen Personen und sammelte seine Waffe ein. Er versuchte, einen interessierten und beschäftigten Eindruck zu machen, doch sein Blick flog ängstlich zwischen Kort und der Prinzessin hin und her, als rechnete er mit einer augenblicklichen Strafe.

      »Mein Vater ist noch wach und wünscht den Besucher sofort zu sehen«, sagte das Mädchen. »Seit der Ankündigung neuer Eindringlinge schläft er nicht mehr.«

      Ihr Ton wurde ein wenig wärmer, und Jonaas war nicht entgangen, das sie ihn als Besucher bezeichnet hatte.

      Vielleicht wurde doch noch alles gut.

      Kort packte ihn wieder am Genick, doch die Prinzessin


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