Wilderer und Jäger Staffel 2. M. Bachmann
wollte.
Sie suchte die Umgebung der Hütte ab, doch vergeblich. Es mußte sich verlaufen haben!
Sie warf einen besorgten Blick zum Himmel. Dort braute sich etwas zusammen! Noch konnte sie nicht sagen, wann das Unwetter losbrechen würde, doch manchmal ging das heroben in den Bergen sehr schnell. Es war also höchste Zeit, daß sie sich nach dem verlorenen Tier umschaute.
Sie zog die Tür der Almhütte hinter sich zu. Es war nicht nötig, sie zu verriegeln, denn hier oben gab es keine Eindringlinge, und sie hoffte auch, bald wieder zurück zu sein.
Ein schmerzlicher Gedanke streifte Johann, in dem sie sich so sehr getäuscht hatte. Immer wieder mußte sie an ihn denken, obwohl sie verzweifelt versuchte, ihn aus ihrem Herzen zu verbannen.
Jetzt richtete sie krampfhaft ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Umgebung, suchte an Abhängen und hinter Felsbrocken nach dem Kalbl. Hätte sie nur geahnt, wie nah ihr Johann in diesem Augenblick war!
Nach einer Weile war Marthl recht mutlos und verzweifelt. Der Himmel verfinsterte sich zusehends, und noch immer hatte sie das versprengte Tier nicht gefunden.
Es kam vor, daß ein Kalb auf der Alm verlorenging, doch Marthl war so pflichtbewußt, daß sie den Gedanken nicht ertragen konnte.
So suchte sie weiter. Plötzlich entdeckte sie das Tier. Es hatte sich mit zwei Beinen in einer Felsspalte verfangen und konnte sich aus eigener Kraft nicht befreien. Kläglich blökte es, als Marthl es herauszog. Gottlob war es nicht verletzt.
Froh und erleichtert machte sich das Madl mit dem Tier auf den Rückweg.
Fast hatte sie die Almhütte erreicht, da krachte oben an den Felshängen des Raffen ein Schuß!
Das Madl fuhr zusammen und ließ das Kalb laufen, das sofort zu seiner Mutter sprang.
Was war das? Der Jager? Der Wildschütz? Ohne Zweifel war der Schuß droben an der Murmeltierkolonie gefallen!
Zorn erfüllte die junge Sennerin.
»Die Murmeltiere sind geschützt!« stieß sie hervor. »Es ist eine Schande, sie zu jagen. Auch wenn’s gefährlich sein mag, so muß ich es verhindern!«
Ohne zu zögern, begann sie mit dem Aufstieg. Der Sommer auf der Alm hatte sie kräftig und ausdauernd gemacht. Und so stand sie schon nach kurzer Zeit an den Felsabhängen des Raffen.
Hier zögerte sie einen Moment, weiterzugehen. Nein, es war nicht die Furcht um ihre eigene Sicherheit, die sie innehalten ließ! Sie hatte Angst vor dem, was sie entdecken würde.
Vielleicht würde sie noch einen Blick auf den Wildfrevler erhaschen. Doch wer war es? Einer aus dem Dorf? Oder, wie Sepp angedeutet hatte, wirklich der Jäger?
Entschlossen stieg Marthl weiter. Sie wollte die Wahrheit wissen! Es galt, die Murmeltiere, die ihr am Herzen lagen, zu schützen. Und auch um ihrer selbst willen und um ihres Seelenfriedens war ihr daran gelegen, den frechen Wildschützen zu entlarven.
Über dem Raffen war es still, drückend still. Die Murmeltiere hatten sich erschrocken in ihre Höhlen geflüchtet. Auch sonst sah sie keine Bewegung.
Aufmerksam ging Marthl weiter. Keinen Gedanken verschwendete sie daran, daß sie sich selbst in Gefahr begab.
Plötzlich zuckte sie zurück wie von einem Faustschlag getroffen.
Unten am Fuß eines Felsbrockens lag eine zusammengekrümmte menschliche Gestalt!
Marthls Augen weiteten sich vor Entsetzen. Der Mann trug einen grünen Lodenanzug. Es war der Jäger!
So schnell sie konnte, eilte die Sennerin um den Felsbrocken herum zu der Unglücksstelle. Atemlos beugte sie sich über den reglos Daliegenden. Ihr Herz krampfte sich zusammen.
»Johann!« schluchzte sie. »Lieber Johann! Was ist dir geschehen?«
In diesem Augenblick wußte sie, daß ihm ihr Herz gehörte, ganz gleich, ob er Unrecht getan hatte oder nicht. Die Angst, ihn für immer verloren zu haben, ließ sie ihre Liebe zu dem jungen Jäger klar und unzweifelhaft erkennen.
Ihr Kopf sank auf seine Brust, ängstlich lauschte sie auf seinen Herzschlag, während sie bang in sein totenblasses Gesicht mit den festgeschlossenen Augen sah.
»Er lebt!« jubelte sie, als sie sich wieder aufrichtete. »Er lebt, und das ist das Wichtigste!«
Erst jetzt gestattete sie sich, sich weiter umzuschauen.
Neben dem Jäger lag sein Stutzen, der wohl seiner Hand beim Absturz entfallen sein mußte.
Als Marthl ihn sah, durchzuckte sie ein eisiger Schreck. Also war er es, der geschossen hatte? Oder hatte er hier oben den Wildschützen auf frischer Tat ertappt?
Ihre Augen glitten über die Felshänge.
Da!
Ein Stück weiter bergauf lag reglos etwas Pelziges!
Fast widerwillig erhob sich das Madl von der Seite des Jägers. Kaum wollten ihm die Füße gehorchen, doch sie mußte nachschauen. Sie mußte Gewißheit haben, auch wenn die Entdeckung nichts mehr an ihrer Liebe zu dem Jäger ändern würde!
Ekel packte sie, als sie den toten, steifen Körper des Murmeltieres berührte. Es war von einer Kugel getroffen worden. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr! Was sollte sie tun?
Marthls Gedanken rasten.
Sie war die einzige, die wußte, was Johann getan hatte. Auch wenn vielleicht Sepp etwas ahnte, so hatte er gewiß keine Beweise.
War es ihre Pflicht, den Mann, den sie liebte, anzuzeigen und auszuliefern? Nein, das ging über ihre Kräfte. Sie konnte Johann um nichts in der Welt verraten!
Doch sie durfte es auch nicht zulassen, daß er mit seinen frevelhaften Werken fortfuhr, daß er seine Stellung als Jäger schändlich mißbrauchte!
»Heilige Maria, gib mir die Kraft, die richtige Entscheidung zu treffen!« flehte sie und rang in innerer Qual die Hände, während der Mann neben ihr noch immer kein Lebenszeichen von sich gab.
Plötzlich erhellte ein Hoffnungsfünkchen ihr Gesicht.
»Ich weiß, was ich tun muß. Meine Liebe wird Johann abbringen von seinem unrechten Tun. Ich bin ganz sicher, daß ich die Kraft habe, ihn auf den rechten Weg zu bringen. Die Gottesmutter wird mir dabei helfen. Sie hat uns zusammengeführt, und gewiß ist es mir bestimmt, dem Mann, den ich liebe, zu helfen!«
Wie im Traum erhob sich das Madl, hob das tote Murmeltier auf, trug es zu einer weit entfernten Stelle und begann, Steinbrocken darüber zu häufen.
Plötzlich erschrak sie zu Tode, als sie hinter ihrem Rücken das Knirschen von Schritten hörte.
»Du willst wohl alle Spuren beseitigen?« höhnte der StirnthalerSepp. »Glaubst du jetzt endlich, daß dein feiner Jager ein Lump ist? Aber du hast ja net hören wollen. Und jetzt machst du dich gar mitschuldig und willst die Beweise vernichten! Aber daraus wird nix!«
»Sepp!« Marthls Augen weiteten sich. »Ich will ihm eine Chance geben, auf den rechten Weg zurückzukehren«, stammelte sie tonlos.
»Nix da! Die Lumperei gehört streng bestraft. Und wenn’s gar ein Jager ist, dann doppelt. Schande über ihn.«
»Was willst du tun?« stieß Marthl voller Verzweiflung hervor, denn sie erkannte, daß sie Sepp nicht umstimmen konnte.
»Was ein rechtschaffener Bürger in einem solchen Fall tun muß. Er hat ja net nur das eine Tier geschossen. Schau dich nur um! Überall hat er Schlingen gelegt. Pfui Teufel!«
»Schlingen? Das kann ich net glauben. Dazu ist er gar net fähig.«
»Da siehst, wie er dich getäuscht hat. Ich hab’s dir vorausgesagt. Du wirst jetzt ins Dorf absteigen und die Gendarmen holen, damit sie ihn dorthin schaffen wo er hingehört. Hinter Gitter!«
»Aber er ist verletzt!«
»Schad,