Zeit zählt. Andrew Abbott
target="_blank" rel="nofollow" href="#ulink_13174093-8ada-59cf-90cc-931dfcdd9cda">34In einem späteren Aufsatz wird Abbott explizit von »linked ecologies« sprechen, um kenntlich zu machen, dass es keinen Sinn macht, eine Ökologie für sich zu betrachten; Andrew Abbott, »Linked Ecologies: States and Universities as Environments for Professions«, in: Sociological Theory 23 (2005), 3, S. 245–274. Bereits in System of Professions argumentiert er, dass die konventionellen Ansätze der Professionsforschung für gewöhnlich einfach unterstellen, dass es reiche, sich der Entwicklung je individueller Professionen zu widmen, womit sie aber übersehen, dass es ganz entscheidend auf das arbeitsteilige Zusammenspiel und Gegeneinander von Berufen ankommt, eben auf das »system of professions«. Abbott nimmt also eine dezidiert relationale Perspektive ein und argumentiert, dass sich einerseits die Jurisdiktionskonflikte nur in der wechselseitigen Konkurrenz der Professionen verstehen (Abbott, The System of Professions, S. 19–20), andererseits sich die Professionen nicht über von vornherein definierbare Wissensbestände und konkrete Techniken oder spezifisches Know-how definieren lassen, sondern nur über die Abstraktion ihres Wissens, ihr Wissenssystem (ebd., S. 9, 102). Allerdings variiert eben der Grad der Abstraktion (ebd., S. 9, 30).
35Siehe dazu Morgan Jouvenet, »Contexts and Temporalities in Andrew Abbott’s Processual Sociology«, in: Annales. Histoire Sciences Sociales 71 (2016), 3, S. 361–392, hier S. 366.
36Abbott, The System of Professions, S. 2.
37Ebd.
38Ebd., S. 3.
39Ebd., S. 10.
40In der Disziplingeschichtsschreibung – aber dies soll hier nicht weiter von Belang sein – spricht man mittlerweile von den drei Wellen der Historischen Soziologie (siehe dazu Julia Adams/Elisabeth Clemens/Ann Shola Orloff, »Introduction: Social Theory, Modernity, and the Three Waves of Historical Sociology«, in: dies. (Hg.), Remaking Modernity. Politics, History, and Sociology, Durham/London 2005, S. 1–72), wobei die oben genannten Vertreterinnen der Historischen Soziologie einer ersten Welle zugerechnet werden, die ihre Argumente zum großen Teil auf sehr einfache Kausalitätsannahmen stützten, was sie auch dazu führte, einigermaßen umstandslos – angelehnt an John Stuart Mill und dessen Wissenschaftslogik – die Methode des Vergleichs zu propagieren. Typisch ist die Argumentation von Theda Skocpol, die in ihrer Analyse sozialer Revolutionen systematisch auf Mills Argumente zurückgreift (Theda Skocpol, States and Social Revolutions. A Comparative Analysis of France, Russia, and China, Cambridge 1979).
41Andrew Abbott, »History and Sociology: The Lost Synthesis«, in: Social Science History 15 (1991), 2, S. 201–238, hier S. 227. In diesem Text macht Abbott unmissverständlich klar, gegen welche Autorinnen innerhalb der Historischen Soziologie er sich mit seinen Argumenten richtet, selbstverständlich gegen Skocpol, ebenso gegen Charles Ragin und dessen Qualitative Comparative Analysis (QCA), siehe dazu Ragin, The Comparative Method: Moving Beyond Qualitative and Quantitative Strategies, Berkeley / Los Angeles 1989.
42Siehe etwa Elisabeth S. Clemens, »Toward a Historicized Sociology: Theorizing Events, Processes, and Emergence«, in: Annual Review of Sociology 33 (2007), S. 527–549.
43Craig Calhoun, »The Rise and Domestication of Historical Sociology«, in: Terence J. McDonald (Hg.), The Historic Turn in the Human Sciences: Essays on Transformations in the Disciplines, Ann Arbor 1996, S. 305–337; ders., »Explanation in Historical Sociology: Narrative, General Theory, and Historically Specific Theory«, in: American Journal of Sociology 104 (1998), 3, S. 846–871, hier S. 850.
44Ebenso ist es kein Wunder, dass Abbott in den 1980er und 1990er Jahren auch in der deutschsprachigen Forschung keine nennenswerte Rezeption erfährt – wo die Historische Soziologie nach 1945 ohnehin immer randständig geblieben ist und wo man aus der Soziologie heraus bis auf wenige Ausnahmen (in diesem Zusammenhang ist natürlich Rainer M. Lepsius zu nennen) auch den Anschluss an die Geschichtswissenschaft gar nicht erst suchte. Warum dies der Fall war, hatte viel mit einer bestimmten disziplinären Matrix in Deutschland zu tun, vor allem mit der Tatsache, dass spätestens seit den 1960er Jahren die Sozialgeschichte dominant zu werden begann (siehe dazu Thomas Welskopp, »Die Sozialgeschichte der Väter. Grenzen und Perspektiven der Historischen Sozialwissenschaft«, in: Geschichte und Gesellschaft 24 (1998), 2, S. 173–198; Bettina Hitzer/Thomas Welskopp (Hg.), Die Bielefelder Sozialgeschichte. Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen, Bielefeld 2010). Herausragende Figuren wie Hans-Ulrich Wehler oder Jürgen Kocka waren in der Lage, auf ambitionierte Weise allseits anerkannte und – wenn man so will – orthodoxe soziologische Theoreme in ihre Forschungen einzubauen und damit den Eindruck zu vermitteln, dass es die Geschichtswissenschaft und nicht die Soziologie sei, die am ehesten eine gelungene Synthese zwischen beiden Disziplinen herzustellen vermöge. Die von diesen deutschen Historikern gepflegte Rede von einer »historischen Sozialwissenschaft« machte immer klar, dass es bei diesem Unterfangen zuallererst um Geschichtswissenschaft gehe, nicht um eine historische Soziologie. Insofern kann es dann auch wenig verwundern, dass die Arbeiten von Abbott in der damaligen Zeit in Deutschland wenig zur Kenntnis genommen wurden, weder in der Geschichtswissenschaft noch in der Soziologie – sieht man vielleicht ab von den wenigen Soziologen, die sich wie etwa Rudolf Stichweh in Deutschland überhaupt mit Professionen beschäftigten.
45Andrew Abbott, »Losing Faith«, in: Alan Sica/Stephen Turner (Hg.), The Disobedient Generation: Social Theorists in the Sixties, Chicago/London 2005, S. 21–36.
46Ebd., S. 34.
47Andrew Abbott, Department & Discipline. Chicago Sociology at One Hundred, Chicago/London 1999.
48Siehe dazu etwa J. David Lewis/Richard L. Smith, American Sociology and Pragmatism. Mead, Chicago Sociology, and Symbolic Interaction, Chicago/London 1980; Martin Bulmer, The Chicago School of Sociology. Institutionalization, Diversity, and the Rise of Sociological Research, Chicago/London 1984; Rolf Lindner, Die Entdeckung der Stadtkultur aus der Erfahrung der Reportage, Frankfurt am Main 1990; Hans Joas, »Von der Philosophie des Pragmatismus zu einer soziologischen Forschungstradition«, in: ders., Pragmatismus und Gesellschaftstheorie, Frankfurt am Main 1992, S. 23–65; Sighart Neckel, »Zwischen Robert E. Park und Pierre Bourdieu: Eine dritte ›Chicago School‹? Soziologische Perspektiven einer amerikanischen Forschungstradition«, in: Soziale Welt 48 (1997), 1, S. 71–83; Christian Topalov, »Les usages stratégiques de l’histoire des disciplines. Le cas de l’école de Chicago en sociologie«, in: Johan Heilbron (Hg.), Pour une histoire des sciences sociales, Hommage à Pierre Bourdieu. Paris 2004, S. 127–157; Hans-Joachim Schubert, »The Chicago School of Sociology. Theorie, Empirie und Methode«, in: Carsten Klingemann (Hg.): Jahrbuch für Soziologiegeschichte 2007, Wiesbaden 2007, S. 119–166.
49Andrew Abbott, »Of Time and Space: The Contemporary Relevance of the Chicago School«, in: Social Forces 75 (1997), 4, S. 1149–1182, hier S. 1154.
50So fällt dann seine Kritik