Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. Konrad H. Jarausch

Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert - Konrad H. Jarausch


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dass Albert EinsteinEinstein, Albert aus einem Schweizer Patentamt an die Berliner Universität wechselte.7 Internationale Preise wie jene, die der Schwede Alfred NobelNobel, Alfred 1900 stiftete, leisteten solcher Internationalisierung weiteren Vorschub.

      Die Pazifisten engagierten sich besonders nachdrücklich für die Erhaltung des Friedens. 21 einschlägige Kongresse veranstalteten sie vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam zum religiösen Impuls der Quäker für die Gewaltfreiheit die weltlichere Überzeugung hinzu, dass »Krieg unter zivilisierten Menschen ein Verbrechen« sei. In Frankreich wollten einige radikale Republikaner an das universalistische Erbe der Französischen Revolution anknüpfen, indem sie Institutionen einer internationalen Konfliktregelung forderten, während andere sogar der europäischen Integration das Wort redeten. Im deutschsprachigen Bereich profilierte sich auf diesem Gebiet namentlich die mutige Freifrau Bertha von SuttnerSuttner, Berta von, die in ihrem Bestseller Die Waffen nieder! sich der Militarisierung der Gesellschaft entgegenzuwerfen versuchte, indem sie die furchtbaren Folgen des Krieges für die Zivilbevölkerung aus weiblicher Sicht schilderte. In England äußerte der Publizist Norman AngellAngell, Norman sich ähnlich. Seine Studie The Great Illusion kommt gar zu dem Schluss, Krieg sei selbst für den potenziellen Sieger zerstörerisch und sollte daher als irrational betrachtet werden. Solche Appelle erregten zwar viel Aufmerksamkeit, Unterstützung fanden sie aber nur bei einer engagierten Minderheit – und doch trugen sie dazu bei, dass einschlägige internationale Konventionen unterzeichnet wurden, so die Haager Landkriegsordnung.8

      Die Zweite Internationale der Arbeiterbewegung stellte sich ebenfalls gegen den Krieg, getreu Karl Marx'Marx, Karl Diktum: »Die Arbeiter haben kein Vaterland«. Anfangs widmeten die Sozialisten einen Gutteil ihrer Energie der Überwindung der Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland, da die Gewerkschaften und die eigenen Parteien in diesen Ländern strukturell wie organisatorisch am besten entwickelt waren. Auf mehreren internationalen Kongressen diskutierten die politischen Führer und die theoretischen Köpfe der Bewegung – darunter Karl KautskyKautsky, Karl, Jean JaurèsJaurès, Jean, Rosa LuxemburgLuxemburg, Rosa und Wladimir I. Uljanow alias LeninLenin, Wladimir I. ihre künftige Strategie: Sollte man Revolution oder Evolution anstreben? Wozu die einzelnen Vertreter neigten, hing von der Heftigkeit der Repression in ihrem Lande ab. Man debattierte intensiv per Brief, in Theoriejournalen wie der Neuen Zeit und bei persönlichen Begegnungen, um eine marxistische Analyse der Entwicklung des Kapitalismus zu erstellen sowie auf dieser Grundlage Möglichkeiten eines gemeinsamen Handelns zu eruieren. Die Millionen, die den Gewerkschaften und den sozialdemokratischen Parteien anhingen, mochten sich jedoch nicht so recht aus ihren nationalen Kontexten herausbewegen.9 Eine ähnliche Stimme, die sich für Veränderungen zum Frieden hin einsetzte, war die internationale Frauenbewegung, die während der letzten Jahrzehnte vor dem Großen Krieg rasch anwuchs.10

      Quellen der Feindseligkeit

      Trotz all dieser positiven Zeichen registrierten kritische Kommentatoren wie die Schriftsteller Heinrich MannMann, Heinrich und Romain RollandRolland, Romain in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts eine spürbare Verschlechterung des internationalen Klimas, welche die Befürchtung nährte, das Gespenst des Krieges könne wiederkommen. Teilweise stieg die Feindseligkeit aufgrund bestimmter aktueller Interessenkonflikte, mochten sie nun strategisch oder kolonial begründet sein. Teilweise wuchsen die Spannungen aber auch durch Fehlinterpretationen der Motive der jeweils anderen und wegen nationaler Stereotype; beides erschwerte es den üblichen Mechanismen der Diplomatie immer mehr, akzeptable Kompromisse zu finden.1 Manche Kulturkritiker wiesen außerdem auf die verderbliche Wirkung der Hasspredigten hin, die eine unverantwortliche Sensationspresse unter die Massen brachte. Solche Propaganda wirkte immer dann, wenn sie, von bisher gängigen Sichtweisen abrückend, die internationale Politik als unter den Nationen ausgetragenen Kampf ums Überleben kennzeichnete. Die negative Dynamik der Modernisierung trieb diese Entwicklung voran. Das Erzeugen nationaler Animositäten und des Gefühls existenzieller Bedrohtheit war daher wesentliche kulturelle Vorbedingung dafür, dass es auf dem europäischen Kontinent wieder zu Kriegen kam.

      Europa vor dem Weltkrieg, 1913

      Eine erste Quelle wachsender Feindseligkeit war das Wuchern eines ungezügelten Nationalismus sowohl bei den politischen Eliten als auch bei den Volksmassen. Die Idee des 18. Jahrhunderts, einen Staat aus Menschen zu bilden, welche dieselbe Sprache sprechen, durch die gleiche Geschichte verbunden sind und sich eine gemeinsame Verfassung gegeben haben, war ursprünglich ein progressives Konzept, das territorialer Zersplitterung und dynastischer Willkür entgegenwirken sollte. Die Aussicht, Handel ohne Behinderung durch Zölle zu betreiben und zu reisen, ohne dass Schranken einem den Weg verlegten, erschien besonders Geschäftsleuten und Intellektuellen attraktiv, und politische Führer konnten auf größere militärische Stärke und internationalen Einfluss hoffen. Als Bürger aber begannen, ihr eigenes Land für allen anderen überlegen zu halten, bekam die Attitüde etwas Illiberales. Chauvinisme schimpfte man eine solche Einstellung in Frankreich, jingoism in England. Trat noch biopolitischer Rassismus hinzu, verfestigte sich Stolz zu Voreingenommenheit gegenüber Andersartigem, das diskriminiert werden durfte, wo es sich im Inland zeigte, und angegriffen, wo es sich im Ausland manifestierte.2 Dank der zunehmenden Teilnahme der Massen an der Politik wurde schriller Nationalismus ein Werkzeug, mit dem sich das Volk leicht gegen imaginierte Feinde drinnen oder draußen mobilisieren ließ.

      Ein weiteres unbewusstes Ideologem, das die europäischen Eliten vor dem Krieg in ihrer Entscheidungsfindung zunehmend beeinflusste, war der Sozialdarwinismus. Grob gesagt übertrug diese populäre Sichtweise Charles DarwinsDarwin, Charles biologische Evolutionstheorie auf die Gesellschaft und auf zwischenstaatliche Verhältnisse. Intellektuelle wie Herbert SpencerSpencer, Herbert und Ernst HaeckelHaeckel, Ernst betonten, dass der Kampf zwischen Einzelwesen zu einer »natürlichen Selektion« führe, die nur den Lebenstüchtigsten erlaube, sich fortzupflanzen und die weitere Existenz der Art sicherzustellen. Die Theorie ging aber über inländische Eugenik hinaus, weshalb sich ihr Denkschema auf die internationalen Beziehungen anwenden ließ. Somit konstruierte sie die Welt als einen Ort gnadenlosen Wettbewerbs, in dem nur die stärksten Nationen zur Blüte gelangten, während schwächere Länder unvermeidlich untergingen. Einer solchen Philosophie erschien der Krieg folgerichtig als ein Härtetest zwischen Nationen, weshalb sie logischerweise für ihn plädierte.3 Leider verbreitete sich diese Sicht zeitgleich mit dem Übergang von der im eingeschränkten kontinentalen Rahmen agierenden »Realpolitik« zu der weiter ausgreifenden, ja perspektivisch den ganzen Globus umspannenden »Weltpolitik«. Diese unselige Kombination gab dem internationalen Wettbewerb einen rabiateren Charakter.

      Bereits etablierten Nationen wie den Briten erschien das sich rasch entwickelnde Deutschland als drängelnder und penetranter Konkurrent, der ihren komfortablen ökonomischen Vorsprung bedrohte. Zwar behauptete das Mutterland der Industrialisierung in Produktion und Handel lange Zeit eine Spitzenposition, doch 1913 hatte das imperiale Deutschland im Handelsvolumen gewaltig aufgeholt, sowohl beim Import (659 gegenüber 525 Millionen Pfund) als auch beim Export (525 gegenüber 505 Millionen Pfund). Die Deutschen produzierten bereits mehr industrielle Güter, und ihre Handelsbilanz fiel im Vergleich mit dem Vereinigten Königreich zunehmend zu ihren Gunsten aus. England fürchtete, im ökonomischen Wettbewerb zu verlieren, zumal BerlinBerlin die neuen Technologien gezielt förderte und Inlandsmärkte protegierte; so entstand in LondonLondon das Bewusstsein, dass da ein gefährlicher Handelsrivale heranwuchs. Man ersann Mittel, die England die Führungsposition bewahren sollten, etwa die Vorschrift, die Waren des Konkurrenten mit dem Siegel »Made in Germany« zu versehen. Britische Konsumenten sollten diese Importe von vornherein als minderwertige Billigprodukte einstufen, aber der Schuss ging nach hinten los. Andere Sperrmaßnahmen wie das Verbot der Einfuhr von Rübenzucker aus dem Kontinent schürten bei den Deutschen Groll gegen den »Handelsneid« der Briten.4 Während der Handel zwischen den beiden Ländern weiter wuchs, trugen solche Differenzen, die von der Populärpresse weidlich ausgeschlachtet wurden, zur gegenseitigen politischen Entfremdung bei.

      Der verspätete Eintritt des imperialen Deutschlands in den Kolonialismus war eine weitere Provokation, denn er brachte die etablierte Aufteilung der Welt durcheinander. Solange die politische Fragmentierung


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