Heilende Metalle - eBook. Olaf Rippe

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analog zu den sieben Planeten, die wiederum griechisch-römischen Gottheiten entsprechen. Aus der beschränkten Anzahl in der Antike bekannter Metalle hat sich erst allmählich die geläufige Reihe der sieben Metalle herausgebildet, die entsprechend ihrer kosmischen Parallele aufsteigend von Blei zu Gold aufgezählt wurden. Das Paar Gold/Sonne bestand durchgängig und von Anfang an, wie auch Silber/Mond und Blei/Saturn konsistent als Analogien auftraten; für die Planeten Jupiter, Mars, Venus und sogar Merkur kamen teilweise unterschiedliche Metalle als Entsprechung zum Einsatz. Darunter befanden sich auch vermeintliche Metalle, die später als Legierungen erkannt (wie Bronze, Messing oder Elektron, eine Gold-Silber-Legierung, die im pharaonischen Ägypten beliebt war) und durch die Metalle Eisen, Kupfer und Zinn ersetzt wurden.

      Der Mercurius-Brunnen im Zentrum der Schöpfung als Urquell der drei Naturreiche: In den Ecken die vier Elemente (Sterne); Mercurius als doppelköpfiger Drache und fünfter Stern/Quintessenz krönt zusammen mit Sonne und Mond den Brunnen.

      Am auffälligsten ist das Quecksilber, das bis ins 14. Jahrhundert wegen seiner merkwürdigen Eigenschaften oft nicht als Metall galt. Zosimos von Panopolis nannte es »kein Metall, kein ständig bewegtes Wasser und auch kein Körper, da man es nicht fassen kann« (Mertens 1995: 21). Unter den byzantinischen Alchemisten nahm es einzig Stephanos in die Reihe der sieben Metalle auf. (Vgl. dazu Gamper/Hofmeier 2002: 62–67; Lippmann 1919: 217, 517–646.)

      Es ist nicht geklärt, wann und warum genau diese Metalle und Planeten/Götter einander in Beziehung gesetzt worden sind (vgl. Karpenko 1998, Karpenko 2003), doch die eingangs gemachten Bemerkungen zur fundamentalen Rolle der Metalle in der Geschichte machen den Vorgang nachvollziehbar. Im alchemischen Reigen der Analogien – die von der modernen Forschung gelegentlich als willkürlich und sinnlos bezeichnet werden – konnten sich Farbe, Mythologie und vieles mehr entsprechen.

      Die sieben Metalle der Alchemie als reale Metalle in historischen Gefäßen: Gold, Silber, Quecksilber, Kupfer, Eisen, Zinn und Blei.7

      So ist es unmittelbar einleuchtend, dass Eisen mit Mars gleichzusetzen ist. Man erinnere sich an die Eisenzeit, die archäologisch in verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich angesetzt wird – die für die Alchemie formative griechisch-römische Epoche gehört jedenfalls dazu. Zudem ist Eisenerz rot, und Eisen rostet in rostroter Farbe, ganz so, wie der Planet Mars am Himmel erscheint.

      Die Alchemie ist wie angedeutet kein Feld für unverrückbare, ewig gültige Gleichungen nach dem Muster: Gold = Sonne, Quecksilber = Merkur oder durchaus auch möglich Gold = Mercurius. Jede Gleichung ist aus ihrem eigenen Zusammenhang zu verstehen, gilt bei diesem Autor, in jener bestimmten Epoche und sogar nur an einer bewussten Stelle innerhalb eines Textes, der wenige Zeilen daneben das Gegenteil verkündet. Widerspruchsfrei zu sein, war nie der Anspruch der Alchemie. Unter anderem, weil nach Möglichkeit kein altes Wissen aufgegeben werden sollte.

      Die Alchemie war aber, wie ihre lange Geschichte zeigt, sehr wohl für Neuerungen offen – ohne sich jedoch ständig in der Pflicht zu sehen, alte Vorstellungen zugunsten neuerer Entdeckungen aufzugeben. Die Alchemie pflegte grundlegend ein additives und nicht ein substitutives Denkmuster und hat – dem aristotelischen »tertium non datur« (es gibt kein Drittes) radikal entgegengesetzt – zwischen Ja und Nein sehr wohl ein Vielleicht als Drittes zugelassen. Die Alchemie huldigte einer eigenen Logik der Grau- Zwischentöne, ohne vor Widersprüchen zurückzuschrecken, die mit der geläufigen modernen Logik nicht kompatibel sind. Der Alchemist zog das kräftige Sowohl-als-Auch zwangsläufig, aber gerne, dem laschen Entweder-Oder der Standardlogik vor.

      Nur weil beispielsweise ein Alchemist wie der unbekannte Autor des Rosarium Philosophorum die reine Quecksilber-Theorie bevorzugte, musste er noch lange nicht das althergebrachte Gegensatzpaar Schwefel und Quecksilber aus seinem wissenschaftlichen Weltbild streichen. Vielmehr suchte er nach einem die beiden vereinenden Dritten und kam fast zwangsläufig auf die Figur des Hermaphroditen. Er schuf ein Werk zur Metalltransmutation, bestehend aus 337 lateinischen Zitaten von 88 Autoritäten aus etwa zweitausend Jahren, einem darin eingebetteten deutschen Bildgedicht von 136 Versen und einem Zyklus von zwanzig atemberaubend allegorischen Bildern (vgl. Hofmeier 2014).

      Der Hermaphrodit steht im Rosarium für den Mercurius, für reales und philosophisches Quecksilber gleichermaßen, sowie für das mercuriale Prinzip, dessen Manipulation über verschiedene Stufen des alchemischen Prozesses schließlich zum ebenfalls androgynen Stein der Weisen führt. Die sexuelle Allegorie des alchemischen Werks kulminiert im Rosarium im Hermaphroditen, dem Symbol der vereinigten Gegensätze schlechthin, und wird in der Schöpfungskraft der Natur verdichtet. Unterscheidbar werden die zehn Hermaphroditen in den Bildern des Rosariums durch die sie umgebende Szenerie, ihre Position, durch ihre Attribute wie Kleidung oder Flügel sowie die Ausrichtung ihrer beiden Geschlechterhälften.

      Nur ein Motiv ist im Rosarium noch dominanter als der Hermaphrodit, nämlich der oft mit ihm identifizierte Mercurius. Beinahe alle Tiersymbole der Alchemie, welche für je verschiedene Prozessphasen stehen, werden auch Mercurius zugewiesen. In menschliche Gestalt schlüpft er als nacktes Weib und Luna, auch Königin oder Kaiserin genannt, sowie als Hermaphrodit. In der Zahlensymbolik steht Mercurius für 1, 2, 3, 4 und 5. Mercurius ist die Einheit am Anfang, aus ihm entsteht die Zweiheit, die er vereint. Aus den Zweien wird die Drei(ein)heit, triunus oder terunus. Er ist die Basis der vier Elemente und er ist deren fünftes, die Quinta Essentia. Dadurch ist er mehr oder weniger alle Einheiten, Paare und Trinitäten in Wort und Bild im Rosarium.

      Um alle schillernden und funkelnden, dunklen und verborgenen Facetten des philosophischen Mercurius darzustellen, reicht das Monströse knapp aus. Einen beachtlichen Versuch, mercurius philosophorum in einem Wesen zusammenzufassen, unternahm Giovanni Battista Nazari, dessen dreiköpfigen, viergesichtigen, verschlungenen Mercurius-Drachen man als Meisterleistung der symbolischen Synthese bewundern muss (vgl. Nazari 1572).

      Dem Einzelbild mangelt die Dynamik, welche der Bilderzyklus des Rosariums zu vermitteln vermag, in dem der Mercurius-Hermaphrodit in immer neuen Variationen gezeigt wird – dafür ist die Gefährlichkeit des Mercurius bei Nazari umso eindringlicher vor Augen geführt.

      Erscheinungsformen des Hermaphroditen im Rosarium, weibliche Hälfte markiert. In den Originalbildern sind nur RosPhil 10 und 17 stehend, die anderen liegend, um neunzig Grad im Gegenuhrzeigersinn gedreht. (Hofmeier 2014: 111)

      Mehrköpfiges Mercurius-Monster mit Flügelschuhen und Fledermausflügeln. (Nazari, Della tramutiatione, 1599)

      Wie wenig inspiriert wirkt dagegen die Darstellungsweise der modernen Chemie, die ihre Elemente zwar noch immer mit den lateinischen (alchemischen) Namen versieht, ihre Eigenschaften jedoch durch nüchterne Zahlen ausdrückt.

      Aber ist es Zufall, dass Gold und Blei, als Anfang und Ende der alchemischen Metallreifung im Periodensystem der Chemie nebeneinander stehen? Trotz geradezu allergischer Abwehr gegen sie kann die Chemie ihre Herkunft von der Alchemie nicht leugnen.

      Mercurius ist auch reales Quecksilber, dessen auffällige chemisch-physikalischen Eigenschaften Anlass für manches alchemische Symbol und letztlich für die Wahl dieses Metalls als grundlegenden Werkstoff im Laboratorium, ja gar als Bezeichnung eines alles durchdringenden Prinzips gaben. Seit den Tagen, als Zosimos die Theorie vom Körper und Geist der Metalle in die Alchemie einbrachte, wonach allen Metallen ein identischer Körper eigen ist, während der Geist ihnen unterschiedliche Eigenschaften wie Farbe, Härte und so weiter verleiht, kommt Quecksilber eine Sonderrolle zu. Schwer wie Blei, flüchtiger als Wasser und äußerst verbindungsfreudig ist Quecksilber das perfekte Beispiel für die Theorie des Zosimos, der auch erstmals die Bezeichnung Hermaphrodit für Quecksilber oder wohl eher »mercurius philosophorum«, »unser Quecksilber«


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