Vegetarische Aroma-Bibel - eBook. Karen Page
Möglichkeiten kombinieren lassen, der Gaumen jedoch lediglich fünf Grundgeschmacksrichtungen wahrnehmen kann. In einem rundum guten Essen sind all diese Geschmacksrichtungen in ausgewogener Mischung vorhanden. Wirklich gut kochen heißt, die Fähigkeit zu haben, zu kosten, zu erkennen, was fehlt, und dann entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Hat man erst einmal ein Gefühl für das Würzen und das Abrunden der Geschmacksrichtungen entwickelt, eröffnet sich beim Kochen eine ganz neue Welt. Gut zu kochen, beschränkt sich niemals darauf, einfach nur ein Rezept zu befolgen. Man braucht einen feinen Gaumen, um zu erkennen, wann ein Gericht etwas hiervon oder etwas davon benötigt – und was man noch hinzufügen oder unternehmen könnte, um das Geschmackserlebnis zu verbessern.
WAS DER MUND ERKENNT
Geschmacksrichtungen
Süß. Salzig. Sauer. Bitter. Umami. Alles, was Ihnen bisher an Leckerbissen begegnet ist, war das Ergebnis des Zusammenspiels dieser fünf Geschmacksrichtungen auf Ihren Geschmacksknospen. Man nimmt diese Geschmacksrichtungen sowohl einzeln als auch im Zusammenspiel wahr, und jede von ihnen wirkt sich wiederum auf die anderen aus. So wird beispielsweise die Wahrnehmung Süß durch Bitter verdrängt. Unterschiedliche Geschmacksrichtungen beeinflussen uns auf unterschiedliche Weise. Salziges wirkt appetitanregend, Süßes stillt den Appetit. Nehmen Sie sich Zeit, um die fünf Grundgeschmacksrichtungen zu erkunden, Sie werden feststellen, dass diese häufig auch durch Faktoren wie die Frische und den Reifegrad des Nahrungsmittels beeinflusst werden, was für die Verwendung regionaler Produkte in der Küche spricht und diesen Trend unterstützt.
Süß Damit die Geschmacksknospen Süße registrieren können, benötigen sie eine relativ große Menge einer süßen Substanz, ganz anders als es bei den Geschmacksrichtungen salzig, sauer, bitter oder umami der Fall ist. Dennoch kann eine eigentlich gar nicht wahrnehmbare Süße in einem salzigen Gericht dafür sorgen, dass es als harmonisch und abgerundet wahrgenommen wird. Süß verträgt sich mit bitter, mit sauer und sogar mit salzig. Die Geschmacksrichtung Süß kann, egal ob sie aus Honig, Ahornsirup, Melasse, Zucker oder einer anderen Zutat stammt, den Geschmack anderer Lebensmittel unterstreichen, so beispielsweise bei Obst, bestimmten Gemüsesorten (z. B. Tomaten), Getreide und Körnern (z. B. Hafer).
Salzig Als wir einmal in einem Gedankenspiel dreißig Topköche befragten, welche zehn Kochzutaten sie mit auf die einsame Insel nehmen würden, stand ausnahmslos bei allen Salz ganz oben auf der Liste. Salz ist der natürliche Geschmacksverstärker par excellence. Salzig ist die wichtigste Geschmacksrichtung überhaupt für gelungene herzhafte Speisen (es hat dieselbe tragende Rolle, die in Desserts der Geschmacksrichtung Süß zukommt). Spezielle, mit Rauch oder Trüffeln aromatisierte Salze bieten sogar noch mehr Möglichkeiten, Suppen oder Risottos geschmacklich abzurunden. Abgesehen vom Salz als solchem dienen in verschiedenen Länderküchen noch weitere salzige Zutaten zum Abschmecken der Mahlzeiten. Ein Beispiel ist Parmesan zu Gerichten wie Pasta, Pizza und Risotto sowie Shoyu- und Tamari-Sojasauce zu Wokgerichten und Sushi.
Sauer Säure spielt als Geschmacksverstärker die zweitwichtigste Rolle nach Salz in herzhaften Gerichten beziehungsweise nach Süßungsmitteln in Süßspeisen. Säuerliche Noten – ob ein Spritzer Zitronen- oder Limettensaft oder ein paar Tropfen Essig – verleihen einem Gericht eine gewisse Frische und Leichtigkeit. Besonders gute Ergebnisse erreicht man mit einer sorgfältigen und überlegten Auswahl der jeweiligen Säure, beispielsweise indem man Apfelessig für Obstsalat, Reisessig für Nori-Rollen oder Sherryessig für Gazpacho nimmt. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Säure eines Gerichts und den übrigen Geschmacksrichtungen ist ausschlaggebend für ein abgerundetes Ergebnis.
Bitter Der Mensch reagiert sehr sensibel auf einen bitteren Geschmack und ist in der Lage, diesen schon bei einer sehr geringen Konzentration wahrzunehmen, eine Fähigkeit, die zurückzuführen ist auf einen angeborenen Überlebensmechanismus. Bitternoten liefern in Gerichten ein Gegengewicht zu Süße und tragen außerdem dazu bei, ein üppiges Gericht leichter wirken zu lassen. So runden die in Walnusskernen enthaltenen Bitterstoffe die natürliche Süße eines Rote-Bete-Salats ab und nehmen gleichzeitig dem häufig ebenfalls darin verwendeten Ziegenkäse die Schwere. Die Bitternote der Schokolade bildet in üppigen Desserts ein natürliches Gegengewicht. Die Vorliebe für Bitteres kann bei verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. Viele Köche schreiben dieser Geschmacksrichtung eine unverzichtbare »reinigende« Wirkung zu – die sich auch darin äußert, dass man Lust auf mehr bekommt.
Umami Über die vier ursprünglichen Geschmacksrichtungen hinaus besteht heute weitgehend Einigkeit über eine fünfte Geschmacksrichtung, dem sogenannten Umamigeschmack, der bereits 1908 von einem japanischen Wissenschaftler entdeckt, bei uns aber erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts bekannt wurde. Gemeint ist damit ein vollmundiger, herzhafter, intensiver und/oder fleischiger Geschmack, wie er etwa beim Essen von Nahrungsmitteln wie reifem Käse (z. B. Blauschimmelkäse oder Parmesan), fermentierten Speisen (z. B. Miso oder Sauerkraut), Pilzen und Meeresalgen wahrnehmbar ist. Vermittelt wird dieser Geschmackseindruck vor allem durch Glutaminsäure (eine Aminosäure), die auch als Geschmacksverstärker dient und ein wichtiger Bestandteil vieler Würzmittel ist. Beispiele für stark durch Umami geprägte vegetarische Gerichte reichen von Misosuppe mit Shiitake, Tofu und Wakame bis hin zu Nudeln mit Tomatensauce, Pilzen und Parmesan.
Mundgefühl
Abgesehen vom Geschmackssinn verfügt der Mund auch über einen »Tast«-Sinn, mit dessen Hilfe Eindrücke wie Temperatur und Konsistenz wahrgenommen werden, die für den Gesamtgeschmack ebenfalls eine Rolle spielen. Diese Aspekte der Nahrung, im Allgemeinen als Mundgefühl bezeichnet, tragen dazu bei, dass Gerichte für uns auch körperlich »greifbar« sind; sie machen einen Großteil des Reizes und des Genusses eines Gerichts aus. Ist eine Speise knackig und knusprig, liefert sie nicht nur ein bestimmtes haptisches Gefühl im Mund, sondern auch eine akustische Wahrnehmung.
Temperatur Die Temperatur ist von allen im Mundraum wahrnehmbaren Empfindungen eine der unmittelbarsten. Der Wärmegrad einer Speise hat einen Einfluss darauf, wie der Geschmack wahrgenommen wird, zum Beispiel reduziert Kälte die Wahrnehmung von Süß. Durch die Temperatur der Nahrung kann aber neben der Wahrnehmung auch der Genuss eines Gerichts beeinflusst werden. Eine gekühlte Karottensuppe an einem heißen Sommertag – genau wie heiße Ofenkarotten an einem kalten Wintertag – wirken dank ihrer Eigenschaft, den Körper besser an die Umwelt anzupassen, gewissermaßen heilsam.
Textur und Konsistenz Genuss und Reiz einer Speise sind in hohem Maße mit deren haptischem Eindruck verbunden. Wir stufen Püree und/oder sahnige Gerichte (wie Cremesuppen und Kartoffelbrei) als wohltuendes »Comfort-Food« ein, knackig-knuspriges Essen dagegen (wie Nachos oder Chips) als gesellig-vergnügliches Essen. Ein durch die Textur einer Speise ausgelöster haptischer Eindruck ruft angenehme Empfindungen hervor, denn dadurch werden auch die anderen Sinne angesprochen, nämlich Sehsinn, Tastsinn und Hörsinn.
Während Babys zwangsläufig auf weiche oder pürierte Nahrung angewiesen sind, ist für die meisten Erwachsenen gerade die Vielfalt an Texturen reizvoll. Besonders gilt dies für knusprige und knackige Lebensmittel, die einer sämigen Speise das gewisse Etwas verleihen oder sogar einer gewissen Monotonie entgegenwirken.
Der Geschmack von Fleisch wird zu einem großen Teil durch seine Textur vermittelt, jenes besondere Gefühl beim Zerkauen von Hähnchenbrust oder knusprig gebratenem Speck. Eine ähnliche Textur lässt sich auch mit fleischlosen oder mit pflanzlichen Zutaten erreichen (z. B. kommen gebratene Provolone-Scheiben knusprigem Speck im Sandwich recht nahe; Linsen, ganze Getreidekörner, Pilze oder gefrorener und dann gegarter und zerkrümelter Tofu können Hackfleisch ersetzen, und in feine Scheiben geschnittener, knusprig angebratener Tempeh ist ein guter Ersatz für Frühstücksspeck). In der Molekularküche wird Kaviar durch das Sphärisieren nachgeahmt, ein von Ferran Adrià im spanischen Restaurant El Bulli entwickeltes chemisches Verfahren, durch das mit Kalziumlaktat und Natriumalginat aus den verschiedensten Zutaten, von Meeresalgen bis zur Wassermelone, an Kaviar erinnernde Kügelchen erzeugt werden.
Viele Menschen lieben die sämige Textur von Milch und Rahm. Diese lässt