Vegetarische Aroma-Bibel - eBook. Karen Page
Falafel, frittierte Bällchen aus Kichererbsen, Kräutern und Gewürzen. Und nicht zu vergessen die leckeren Sabich, Pitabrote gefüllt mit gegrillter Aubergine und Hummus.
Koschere jüdische Restaurants kochen und servieren Fleisch und Milchprodukte nicht gleichzeitig, daher kann man sicher sein, dass Gerichte mit Milchprodukten kein Fleisch enthalten (allerdings sollte man sich vergewissern, dass kein Fisch enthalten ist, das den jüdischen Speisegesetzen zufolge nicht unter Fleisch fällt). Etwa 8,5 Prozent der Bevölkerung Israels lebt vegetarisch, und der Veganismus ist stark auf dem Vormarsch.
Stellvertretend für den afrikanischen Kontinent sei hier die äthiopische Küche genannt, die durch Migranten auch bei uns eine gewisse Bekanntheit erlangt hat. Aufgrund religiöser Gebote für Zeiten des Fastens und des Verzichts auf Fleisch, Eier und Milchprodukte bietet sie verschiedene interessante vegetarische Gerichte. Typisch sind die Injera genannten dünnen, weichen Fladenbrote, die dazu verwendet werden, bei einer Mahlzeit häppchenweise geschmorte Hülsenfrüchte, Blattgemüse und andere Gemüsesorten aufzunehmen.
Pasta und Pizza stehen bei Vegetariern schon lange ganz oben auf der Liste; sie sind schon in der traditionellen italienischen Küche sehr oft vegetarisch und werden inzwischen bisweilen auch in veganer Variante angeboten. Immer mehr Menschen können sich auch damit anfreunden, Emmer, Dinkel und andere Getreide und Körner nach der allseits beliebten Art eines Risottos zuzubereiten. Damit steigt die Zahl der Möglichkeiten abwechslungsreicher Gerichte enorm an.
NEUE HERAUSFORDERUNGEN AN DIE GASTRONOMIE
Im 18. Jahrhundert beschrieb der Gastrosoph Jean-Anthelme Brillat-Savarin die Feinschmeckerei und Kochkunst als »die theoretisch begründete Kenntnis alles dessen, was auf den Menschen als nahrungnehmendes Wesen Bezug hat. Ihr Zweck ist, vermittelst der bestmöglichen Ernährung die Erhaltung der Menschheit zu sichern«. Letztlich läuft alles auf zwei Punkte hinaus: die Zutaten auf der einen Seite, die Techniken und Methoden für deren Zubereitung auf der anderen.
Seit der Zeit, als Alice Waters 1971 in Berkeley ihr Lokal Chez Panisse eröffnete und den Entschluss fasste, sich niemals mit Zutaten von minderer Qualität abzugeben, hat es in Bezug auf die Vielfalt und die Qualität der heute verfügbaren Produkte riesige Fortschritte gegeben. Mit ihrer klaren Absage an die Verwendung industriell hergestellter Nahrungsmittel leitete sie gewissermaßen eine Revolution ein – und lenkte auch die Lebensmittelwirtschaft in eine neue Richtung –, indem sie selbst den direkten Kontakt zu Bauern und anderen Erzeugern suchte und sich ihr eigenes Netz von Lieferanten aufbaute. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl von Bauernmärkten und Initiativen der gemeinschaftlichen Solidarischen Landwirtschaft sowie die Nachfrage nach regionalen Produkten enorm angestiegen. Gemüse entwickelt sich zunehmend zum neuen Highlight auf dem Teller, reine Fleischgerichte rücken zunehmend in den Hintergrund. Zahlreiche Gemüse, die noch vor zwanzig Jahren als fremd angesehen wurden, sind heute gängig. »Viele nährstoffreiche Pflanzen wie etwa Portulak oder Brennnesseln, aber auch andere Pflanzen, die bis anhin eigentlich eher zum Unkraut gezählt wurden, werden immer beliebter. Auch Wurzelgemüse wie Petersilienwurzel und Pastinake gelten schon lange nicht mehr als ungewöhnlich.«
Viele Gemüsesorten sind oft nur deshalb nicht beliebt, weil sie falsch zubereitet werden: zu lange gegart, nicht lange genug gegart oder nicht entsprechend gewürzt. Im Laufe der Zeit haben Köche gelernt, Gemüse so zu garen und zu würzen, dass sich sein Aroma optimal entfalten kann, indem sie sich auf bestimmte Prinzipien der Kompatibilität verschiedener Aromen stützen, sich klassische Kombinationen zunutze machen und gleichzeitig neue Kombinationen hervorbrachten. Gemüse sind zu ganz neuem Ansehen gelangt, indem man sich bei ihrer Zubereitung Verfahren bediente, die zuvor nur auf tierische Zutaten angewendet wurden. Nach der ersten Auszeichnung des Kopenhagener Restaurants Noma zum besten Restaurant der Welt im Jahr 2010 wurde Küchenchef René Redzepi dafür gelobt, dass er mit Gemüse so umgeht wie mit Fleisch, indem er es schmort, mit vielen Kräutern abschmeckt und mit reichlich Butter (vorzugsweise solcher aus süßer, fetter Ziegenmilch) beträufelt.
Wer vegetarisch kocht, bedient sich seit jeher der verschiedensten Mix-, Pürier-, Dörr- und Räuchergeräte ebenso wie Entsafter und Spiralschneider. Und nach einem durch Ferran Adrià, den Küchenchef des »El Bulli« in Spanien, inspirierten Jahrzehnt des intensiven kulinarischen Experimentierens in Form von Schäumen, Gelieren und Sphärisieren entwickelt sich nun ein ganz neues Arsenal kulinarischer Verfahren zur Steigerung des Geschmackserlebnisses.
In den Gerichten der Rohkostpioniere geht es nicht einfach darum, Karotten übereinanderzuschichten. Mal sind es sous-vide-gegarte Karotten, mal rohe, dann wieder sauer eingelegte. Jedes Gericht weist eine Bandbreite von Variationen einer Zutat auf, wobei stets frische Zutaten die Basis darstellen und Saucen lediglich der Verfeinerung dienen.
In Institutionen wie der international renommierten Kochschule Le Cordon Bleu werden inzwischen vegetarische und vegane Kochkurse angeboten, in denen beispielsweise vegane Varianten der fünf klassischen französischen Grundsaucen (Béchamel, Espagnole, Hollandaise, Velouté und Tomatensauce) vermittelt werden. »Das bedeutet, dass so buchstäblich Hunderte zukünftiger Köche damit in Berührung kommen, die sich sonst nie ernsthaft mit veganer Küche befasst hätten.«
Die vegane Restauranterfahrung wird dadurch auf ein nie dagewesenes Level gehoben. Und da immer mehr der besten Küchenchefs der Welt ihre Aufmerksamkeit, ihr Talent und ihre Kreativität auf ein vegetarisches und sogar veganes Speiseangebot richten, gelingt es, das wahre Potenzial einer auf pflanzlicher Ernährung basierenden Küche aufzuzeigen.
DIE FLAVOUR-GLEICHUNG: GESCHMACK ALS UMFASSENDES KONZEPT
Der Geschmack als ein Gesamtkonzept bildet den Schnittpunkt, an dem alle Trends zusammenlaufen. Egal welche weiteren Faktoren hinzukommen, letztlich ist es das Geschmackserlebnis, das die Köche antreibt, neue, fleischlose Wege zu erkunden, die den Geschmack ins Rampenlicht rücken. Es gibt bei all den Überlegungen zum Geschmack Aspekte, die zutiefst persönlich sind – und zudem eine Spiegelung eigener Erfahrungen, Vorlieben und Werte.
SENSORISCHES PROFIL (Flavour, Gesamtgeschmack) =
GRUNDGESCHMACK + MUNDGEFÜHL + AROMA + FAKTOR X (das »gewisse Etwas«)
Grundgeschmack = Was über die Geschmacksknospen wahrgenommen wird.
Mundgefühl = Was über den übrigen Mundraum wahrgenommen wird.
Aroma = Was über die Nase wahrgenommen wird.
Faktor X = Was über die übrigen Sinne wahrgenommen wird – einschließlich Herz, Verstand und Seele.
Die Bedeutung des Geschmacks im umfassendsten Sinn zu erfassen, ist bei der vegetarischen und veganen Küche genauso wichtig, wie bei jeder anderen Art zu kochen.
Unsere Geschmacksknospen nehmen fünf Grundgeschmacksrichtungen wahr: süß, salzig, sauer, bitter und umami. Das Wesentliche einer guten Küche besteht darin, diese fünf Geschmacksrichtungen harmonisch aufeinander abzustimmen, um so wahren Genuss zu schaffen. So einfach ist das – und dabei doch so schwierig. Denn der geschmackliche Gesamteindruck entsteht letztlich nicht allein durch die gustatorische Wahrnehmung, also das Schmecken, sondern ebenso durch die Mitwirkung von Geruchs-, Tast-, Seh- und Hörsinn. Und schließlich spielen beim Menschen auch weitere, nicht-körperliche Faktoren mit hinein wie Emotionen, Gedanken und Stimmungen. Wem es gelingt, sowohl die offensichtlichen als auch die subtilen Komponenten eines Geschmackprofils nicht nur zu erkennen, sondern auch zu beeinflussen, der wird als Koch oder Köchin einen entscheidenden Schritt nach vorne machen. Dieses Buch wird Sie dabei unterstützen.
»Das eigentliche Profil eines Geschmackseindrucks liegt in den Kräutern oder dem Gemüse, nicht im Proteinanteil. Das ist es, was den Charakter eines Gerichts ausmacht.«
Tom Colicchio, »Hamptons«, November 2012
Alle, die kochen – oder auch nur ihr Essen würzen, bevor sie es verzehren –, können davon profitieren, sich grundlegendes Wissen darüber anzueignen, wie