Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
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Beschränkte Rationalität beschreibt den Umstand, dass ein außerhalb der beobachteten Welt Stehender objektive Situationselemente erkennt, die ein Entscheidender nicht sieht. Vgl. Schneider in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 1 (7) und die Ausführungen ab Rn. 195.
Schmidtchen in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 31 (35).
Dies ist aus systemtheoretischer Sicht eine der wichtigsten gesellschaftlichen Funktionen; vgl. Luhmann Organisation und Entscheidung, S. 185 ff.
Ein weiterer Gedanke, den die „Theorie der Unternehmung bei ungleicher Wissensverteilung“ in den Vordergrund ihres Erklärungsmodells stellt, ist die Einkommensunsicherheit und Ungleichverteilung von Wissen, die durch Bildung von Institutionen zu verringern ist. Unter „Institutionen“ werden allerdings sowohl Regelsysteme als auch Handlungssysteme verstanden. Institutionen im Sinne von Regelsystemen sind beispielsweise das Privateigentum an Produktionsmitteln. Als Handlungssysteme werden die durch Regelsysteme geordneten Handlungsabläufe verstanden, z. B. das Unternehmen. Das Unterscheidungsmerkmal beider Institutionen ist, dass nur die Handlungssysteme – im Sinne von Organisationen – Mitglieder haben. Siehe hierzu ausführlich Schneider in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 1 (10, 14 ff.).
b) Das Unternehmen als „Nexus of contracts“
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Das Unternehmen ist nicht nur als bewusste – weil vorteilhafte – Ausnahme des Marktprinzips, sondern auch seiner inneren Struktur wegen Gegenstand institutionenökonomischer Forschung gewesen. Coases gedanklicher Ausgangspunkt der – von ihm als v. a. hierarchisch beschriebenen – Struktur des Unternehmens ist der Vertrag. Unternehmen sind hiernach Vertragsbündel, die einzelne Personen unter dem Ziel ihrer Nutzenmaximierung anbieten oder nachfragen.[1]
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Aktuellere Ansätze greifen diesen Gedanken nun auf und qualifizieren das Wesen des Unternehmens als einen „Nexus von Verträgen“.[2] Auf allen Ebenen des Unternehmens herrsche die Vertragssituation vor, wenn auch zwischen verschiedenen Verträgen wie dem „hierarchischen Arbeitsvertrag“, kurzfristigen Einmalverträgen, „symbiotischen“[3] oder „relationalen“[4] Verträgen zu unterscheiden sei.
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Auf den ersten Blick scheinen diese Aspekte für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand irrelevant. Es werden weder Aussagen darüber getroffen, was denn nun die Identität des Unternehmens sein mag und auch nicht darüber, wer „Mitglied“ und wer nur „Vertragspartner“ des Unternehmens ist. Das Unternehmen verliert als „Nexus von Verträgen“ also eher an Konturen, als dass es abgrenzbar wird. Es wird dadurch kaum mehr als ein „Kontinuum verschiedener Verträge“,[5] das nicht mehr nur Führungskräfte, Financiers und Arbeitnehmer, sondern auch Lieferanten, Kreditgeber und Langfristkunden einbezieht. Außerdem geht dieser Ansatz nicht auf die „reasons of organizations“[6] ein und löst die Vorstellung einer Körperschaft in ihre Bestandteile dadurch auf, dass auf ein „Innen“ und ein „Außen“ verzichtet wird.[7]
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Dennoch ist in Anbetracht neuer institutioneller Arrangements, wie der „hybriden Organisationsform“ dezentralisierter Konzerne,[8] zur Kenntnis zu nehmen, dass das „Entweder-oder-Schema“ der Transaktionskostentheorie und ähnlicher Erklärungskonzepte der neuen Institutionenökonomie, die den Markt und die Unternehmung als Alternativen institutioneller Formen der Ressourcenallokation gegenüberstellen, nur bedingt geeignet ist, umfassende Erklärungen zu liefern. Nimmt man den weit verbreiteten Typus des dezentralen Konzerns, kommt man nicht umhin die Unternehmensvorteile zu sehen und skeptisch zu betrachten: diese neue – auf Langzeitverträgen in Form von „relational contracts“ und symbiotischen Verträgen fußende – Organisationsform scheint der Bündelung von Ressourcen und Wissen in einer hierarchischen Struktur wie dem Einheitsunternehmen überlegen.[9] So scheint der Kostenvorteil von Informationsströmen im Unternehmen gegenüber dem in marktlichen Informationssystemen immer geringer und die Attraktivität eines dezentralen Konzerns durch ein Vertragsnetz rechtlich nicht verbundener Unternehmen immer höher.[10] Diese neue Entwicklung hat auch rechtliche Konsequenzen: aufgrund der festgestellten Attraktivität des Vertragsnetzes einer dezentralen Konzernstruktur könnte ein rechtliches Konzept, das im Kern die „Vollhaftung“ der Konzernkonstruktion für das fehlerhafte Verhalten einzelner Konzernunternehmen vorsieht, die Folge haben, dass in ein System konzernfreier Vertragsnetze geflohen würde und scheinbar ähnlich effiziente Informationsströme ohne Verantwortungsrisiko etabliert würden.
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Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Vorstellung einer Dichotomie von Kontrakt und Organisation nicht weiterführend ist und vielmehr mit Williamson, institutionsneutrale Anreiz-, Beherrschungs- und Kontrollmechanismen herausgearbeitet werden sollten, die womöglich die Einflussmöglichkeiten des Rechts auf das Unternehmen hindern oder fördern.[11]
Anmerkungen
Vgl. Coase in: The Nature of the Firm: Origins, Evolution and Development S. 34 und Köndgen in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 128 (145).
Vgl. eine gelungene Darstellung von Coases Ansatz bei Köndgen in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 128 (139 ff.) m. w. N.
Hier könnte man wohl an das Franchising denken. Franchising ist nach Definition des deutschen Franchising-Verbands ein auf Partnerschaft basierendes Absatzsystem mit dem Ziel der Verkaufsförderung. Der so genannte Franchisegeber übernimmt die Planung, Durchführung und Kontrolle eines erfolgreichen Betriebstyps. Er erstellt ein unternehmerisches Gesamtkonzept, das von seinen Geschäftspartnern, den Franchisenehmern, selbstständig an ihrem Standort umgesetzt wird. Der Franchisenehmer ist rechtmäßig Händler im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Je nach Branche ist allerdings auch ein dem Handelsvertreter ähnliches Geschäftsmodell denkbar. Allerdings müsste hier überlegt werden, ob wir uns dann noch in den Grenzen des „Unternehmens“ bewegen.
Ein relationaler Vertrag ist eine auf einen längeren Zeitraum abzielende Vereinbarung, die Lücken für zukünftige Kontingenzen enthält, um auf mögliche, unerwartete Entwicklungen flexibel reagieren zu können. Bei Vertragsschluss wird entsprechend nur ein Rahmen vereinbart – die Details werden während der Vertragsdauer näher konkretisiert, womit letztlich hohe Transaktionskosten bei Vertragsschluss eingespart werden. Typisches Beispiel dieser Vertragsform ist der Arbeitsvertrag.
Köndgen in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 128 (139).
So der treffende Vorwurf von Waldkirch Unternehmen