Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
Coleman Grundlagen der Sozialtheorie, S. 332.
Kirchner in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 196 (196).
Die Figur des „offenen Vertrages mit einseitigem Weisungsrecht“ bringt das handlungstheoretische Paradigma der Hierarchie in diesem Kontext natürlich zu stark zum Ausdruck. Im Sinne von Coase erscheint es zwingend, mit zunehmender Menge von Interaktionen diese hierarchisch zu organisieren und sie nicht etwa nach dem Marktprinzip im Einzelnen auszuhandeln. Gerade diese hierarchische Interaktion funktioniert aber wiederum am besten in Organisationen, weil sie eine einheitliche administrative Struktur aufweist. Allerdings ist mit diesem Konzept des Unternehmens als einem aus „Verträgen mit einseitigem Weisungsrecht“ bestehenden Gebilde eine Festlegung auf eine bestimmte Form von Interaktion verbunden. Die Vielfalt von Interaktionsformen und Governance-Möglichkeiten wird auf lediglich eine Form (Befehl – Gehorsam) reduziert und die für den Erfolg des Unternehmens zeitweise so wichtige horizontale Interaktion ignoriert. Ausführlicher hierzu Waldkirch Unternehmen und Gesellschaft, S. 149.
Kirchner leitet diese Präferenz nicht nur aus der Zunahme der Franchising-Verträge, sondern auch der Tendenz der Vorwärts- und Rückwärtsintegration existierender Unternehmen im Produktions- und Dienstleistungssektor ab; vgl. hier Kirchner in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 196 (199).
Siehe hierzu auch Köndgen in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 128 (141), der in diesem Zusammenhang auf die hybriden Organisationsformen – wie z. B. Franchising – hinweist, die gleichermaßen kontraktuelle wie organisationelle Kooperationsmuster in sich vereinen.
Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität › B › III. Fazit
III. Fazit
39
Das Unternehmen stellt – auch aus historischer Perspektive[1] – eine bewusste Ausnahme vom Marktprinzip dar, der ein großer Autonomiebereich immanent ist. Von Normen flankiert ist diese Ausnahme eine gesellschaftliche Enklave, die – trotz des „Ausnahmecharakters“ – deutlich von marktwirtschaftlichen Prinzipien bestimmt wird. Die Neue Institutionenökonomik schärfte den Blick dafür, dass wichtige reasons of organizations übersehen werden, wenn Unternehmen auf ihr produktionstechnisches Potenzial reduziert werden, denn sie weisen vor allem als Organisationen gegenüber Märkten Besonderheiten und komparative Vorteile auf; insbesondere hinsichtlich der Beherrschung von Anreizproblemen, der Minimierung von Transaktionskosten und der „Governance von Interaktionen“[2] aufgrund ihrer Informations- und Anreizeigenschaften. Die zusammengelegten Ressourcen und arbeitsteilige Organisation zur Produktivitätssteigerung korreliert mit einer Tendenz nach Aneignung weiterer Kooperationsrenten, weil es für individuelle Marktteilnehmer vorteilhafter in der Weise zu kooperieren, dass sie gemeinsames Eigentum an diesen Ressourcen erwerben und die, die Kosten übersteigenden, Gewinne teilen. Das Unternehmen bietet nämlich eine Rahmenordnung, um immer kostengünstiger Kooperationsgewinne zu generieren, da Faktorleistungen über das Unternehmen langfristig eingesetzt werden können.[3] Hieraus resultiert das volkswirtschaftlich interessante Phänomen, das von besonderer Bedeutung für die Unternehmenskriminalität ist: die Bewertung und Bemessung der einzelnen Beiträge des Outputs dieser Produktionssituation als „Teamproduktion“, die sich nicht mehr als Summe der separierbaren Outputs, die den Inputs der Mitglieder des Teams zu verdanken sind, darstellen lässt.
40
Festzuhalten ist: Das Unternehmen wird durch drei wesentliche Merkmale gekennzeichnet: 1) ein Mindestmaß an sachlichen und persönlichen Mitteln, 2) ein Mindestmaß an organisierter Einheit und 3) das äußere Auftreten am Markt. Es ist weiter durch rechtliche Selbstständigkeit geprägt, die die Beteiligung am Wirtschaftsleben erleichtert, jedoch nicht notwendigerweise auf eine konkrete juristische Person zu reduzieren ist. Es handelt sich um eine selbständige organisatorische Einheit, die das Unternehmen als Akteur nahelegt. Diese Einheit ist jedoch von Interaktionsproblemen und disparaten Interessenlagen durchdrungen, die das Unternehmen als Kontext interessant erscheinen lässt; beides erkenntnisleitende Hypothesen im Folgenden.
Anmerkungen
Vgl. zu dieser Perspektive ausführlich die Arbeit von Pierenkemper Unternehmensgeschichte.
Waldkirch Unternehmen und Gesellschaft, S. 26.
Als Faktorleistungen werden Produktionsfaktoren wie Arbeit, Kapital (hier ist auch Boden enthalten) sowie Wissen/Know-how bezeichnet, die von privaten Haushalten zur Verfügung gestellt und von Unternehmen zur Produktion von Gütern verwendet werden. Unternehmen bieten den Eigentümern spezifischer Ressourcen Schutz vor Ausbeutung durch opportunistisches Verhalten der in der Produktion kooperierenden Faktoreigner, denn die in der arbeitsteiligen Produktion eingesetzten spezifischen Produktionsfaktoren hängen in ihrem Wert auch davon ab, dass sie langfristig mit spezifischen Faktoren kooperieren. Die Spezifizität dieser Faktoren bedeutet nämlich, dass sie für den Einsatz zu anderen Zwecken wenig geeignet sind und somit zu sunk costs führen, wenn sie nicht langfristig auf eine spezifische Weise eingesetzt werden. Könnten die selbstständigen Kooperationspartner den Preis für diese Faktorleistung beliebig senken, könnten die Ressourceneigner nicht auf ihre vollen Kosten kommen. Wichtig ist also, sich zu vergegenwärtigen, dass das Unternehmen trotz seiner theoretisch kontraktualistischen Ausgangsstruktur die unabhängige Abschlussfreiheit des Marktes gerade nicht aufweist, sondern hier – wie bei anderen Formen der langfristigen Vertragsbindung – das Phänomen der „asset specifity“ auftaucht. Die „Partner“ tätigen durch ihre Entscheidung, miteinander zu kooperieren, auch Investitionen, die sie im weiteren Verlauf der Beziehung durch die davon versprochenen Vorteile realisieren wollen und die sie daran hindern, sich ohne Weiteres einen anderen Partner zu suchen. Köndgen vergleicht diese Situation beispielsweise mit der eines Kreditkunden, der zu Anfang auch nicht nur eine Bearbeitungsgebühr an die Bank zahlt, sondern auch erhebliche Notar- und Grundbuchgebühren für die Eintragung von Grundpfandrechten bezahlt und daher gerade nicht einfach zu einer anderen Kreditbank wechseln kann; Köndgen in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 128 (139, 145).
Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität › C. „Unternehmenskriminalität“ – Konstruktion eines Begriffs
C. „Unternehmenskriminalität“ – Konstruktion eines Begriffs
41
Der Begriff Unternehmenskriminalität tauchte Anfang der 1970er Jahren in der deutschen kriminologischen Diskussion auf und wird synonym mit seinem amerikanischen Korrelat Corporate Crime, der Kriminalität