Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
der bestehenden Wirtschaftsordnung. [19]
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Diesen Eindruck bestätigt auch der zweite PSB, der die immateriellen Schäden, im Vergleich zu den materiellen Schäden, als gravierender eingeschätzt. Eine „Ansteckungs- und Sogwirkung“ wird befürchtet, die von Wettbewerbsdelikten dazu führen könnte, dass Wettbewerbsvorsprünge unlauterer Konkurrenten nur mit ähnlichen wettbewerbsverzerrenden Handlungen aufzuholen seien oder zumindest ein entsprechender Eindruck bei den Marktteilnehmer entsteht. Auch wird auf die Möglichkeit so genannter „Begleitkriminalität“ hingewiesen, also solcher Handlungen von Dritten, die Wirtschaftsstraftaten ermöglichen oder unterstützen, wie z. B. Urkundenfälschungen. Diese speziellen Arten von „Kettenreaktionen“ und auch ihre allgemeine Ausprägung wie beispielsweise, dass auch die Geschäftspartner – infolge finanzieller Abhängigkeiten – mitgerissen werden, die an den kriminellen Handlungen keinen unmittelbaren Anteil hatten, sind die immateriellen Schäden, die deutlich erkennbar gelten. Der empirische Nachweis hierüber steht jedoch aus. Insbesondere die allgemein befürchtete Folge, mit der Wirtschaftskriminalität schwinde bei Beteiligten und Verbrauchern das „Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der geltenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“ und in die Redlichkeit einzelner Berufs- und Handelszweige, ist eine kaum bezifferbare Folge.[20]
Anmerkungen
Siehe hierzu Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 5. Im Vorjahr betrug der Anteil der Wirtschaftskriminalität an den insgesamt polizeilich bekannt gewordenen Straftaten 1,4%.
Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 7, 10 ff.
Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 10.
Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 17.
Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 10.
BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 224.
Im Jahr 2009 wurden in der PKS 3.982 Wettbewerbsdelikte registriert. Nach einem kontinuierlichen Anstieg bis 2007 ist nun ein Abfall um (-22,5%) zu verzeichnen.
Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 13.
Diese werden nach der Definition der KPMD ebenfalls unter Wettbewerbsdelikte gefasst.
Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 13.
BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 228.
Von 1994 bis 2005 hat sich die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen fast verdoppelt; siehe http://www.destatis.de/indicators/d/lrins01ad.htm.
Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 5, 7.
BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 229.
Der Anteil der Nichtdeutschen im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist damit etwas niedriger als deren Anteil an den Gesamtstraftaten (21,1%).
Vgl. BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 233.
Hierbei ist in Rechnung zu stellen, dass als Schaden grundsätzlich der Geldwert des rechtswidrig erlangten Gutes bzw. bei Vermögensdelikten die Wertminderung des Vermögens gewertet wird. Die so erfassten Schäden vollendeter Delikte – denn nur die Schäden vollendeter Delitkte werden in der PKS erfasst – werden weiter auch dann erfasst, wenn die Vermögensverschiebung sofort wieder rückgängig gemacht wurde. Vgl. zu diesem Zusammenhang BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 229, 231.
Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 6.
Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 7 f.
Vgl. BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 232 und Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 7, wonach grundsätzlich Schäden dieser Art statistisch kaum zu erfassen sind und diesbezügliche Schätzungen stark voneinander abweichen.
bb) Aufklärungsquote, Sanktionierungspraxis und Präventionsaspekte
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Die Aufklärungsquote lag im Jahr 2009 bei 91,7% und damit deutlich höher als bei der Gesamtkriminalität (55,6%).[1] Der diesbezügliche Schluss des BKA ist, dass Wirtschaftsstraftaten überwiegend so angelegt sind, dass entweder der Geschädigte den Täter kennt oder – wie zum Beispiel bei den Insolvenzstraftaten – nur ein bestimmter Personenkreis für eine Täterschaft in Betracht kommt.[2]
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Hinsichtlich der Sanktionierungspraxis sind eindeutige Aussagen wiederum schwierig. Dies hat damit zu tun, dass lediglich Verurteilungen wegen Verstößen gegen wirtschaftsstrafrechtliche Nebengesetze und gegen die durch das 1. und 2. WiKG geschaffenen Sondertatbestände sowie gegen § 298 StGB als eindeutig wirtschaftskriminell erfasst werden.[3] Im Bereich der wirtschaftsstrafrechtlichen Nebengesetze überwiegt mit Anteilen zwischen 80–90% die Geldstrafe. Die Maßregeln zur Besserung und Sicherung – hier käme insbesondere das Berufsverbot nach § 70 StGB in Betracht – sind nach Aussagen des zweiten PSB nur theoretisch bedeutsam; von ihnen wird nur selten Gebrauch gemacht. Nur der „Verfall“ und die „Einziehung“ nach §§ 73 ff. StGB und die Verhängung der Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG sind in den letzten Jahren relevanter