Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
Prävention wird ein hoher Wirksamkeitsgrad attestiert, der neben dem zivilrechtlichen Schutz, insbesondere im Bereich des Handels- und Gesellschaftsrechts, auch den Einsatz des Verwaltungsrechts, von Selbstverwaltungsorganen und Selbstschutzeinrichtungen der Wirtschaft vorsehen sollte.[5] Besonders Erfolg versprechend sei hierbei beispielsweise die Änderung des ökonomischen Bezugsrahmens (z. B. durch Abschaffung von Subventionen, Einsatz von Prämien etc.[6]), Stärkung des Selbstschutzes durch Aufklärung und Beratung der Verbraucher und die Verringerung der Rentabilität von Delikten durch intensiveren Einsatz der Abschöpfung des aus der Straftat Erlangten.
63
Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass Unternehmen als mögliche Betroffene – und nicht etwa als Täter oder zumindest Kausalfaktor – aufgefordert werden, sich dieser Art von Prävention stärker zu widmen.[7] Der zweite PSB sieht Handlungsbedarf für Unternehmen im Bereich unternehmensorganisatorischer Vorkehrungen in wirtschaftskriminalitätssensiblen Vorgängen sowie die Notwendigkeit der Ausrichtung betriebsinterner Abläufe an präventiven Gesichtspunkten wie dem „Vier Augen-Prinzip“, interner Revision und Personalrotation in sensiblen Bereichen.[8] Weiter werden die Einführung verbindlicher unternehmensethischer Verhaltensgrundsätze, beispielsweise dem deutschen „Corporate Governance Kodex“,[9] sowie Einführung, Ergänzung und Aufbau von Risikomanagement und die Bestellung unternehmensexterner Personen als Vertrauenspersonen zur Mitteilung von unternehmensinternen kriminalsensiblen Verhaltensweisen für sinnvoll gehalten.[10]
Anmerkungen
Diese Aufklärungsquote betrifft lediglich die erfassten Fälle. Das BKA räumt selbst ein, dass die registrierten Fallzahlen das tatsächliche Ausmaß nicht abbilden und von einem erheblichen Dunkelfeld auszugehen ist; Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2005, S. 3. Des Weiteren gibt es eine Reihe von Delikten, die von den Schwerpunktstaatsanwaltschaften ohne Beteiligung der Polizei bearbeitet werden (beispielsweise Arbeitsdelikte oder Subventionsbetrug), sodass sowohl die PKS als auch die Erkenntnisse aus dem Bundeslagebild nur begrenzt aussagekräftig sind.
Vgl. schon Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2005, S. 4 und Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 8.
BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 238.
BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 238 f.
BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 240 ff.
Ausführlicher unter BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 239.
BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 240.
Siehe dazu weiter BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 240.
Vgl. hierzu unten Rn. 862.
Siehe hierzu insgesamt BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 240 f.
cc) Die Kernpunkte der Erkenntnisse
64
Die Wirtschaftskriminalität ist laut zweiten PSB ein qualitatives und kein quantitatives Problem, weil sie mit ihrem relativ kleinen Anteil am Kriminalitätsaufkommen für die Hälfte des registrierten Schadens verantwortlich ist.[1] Im Unterschied zur „klassischen Vermögenskriminalität“ werden die Delikte zu einem großen Teil „unter dem Mantel einer Einzelfirma oder einer handelsrechtlichen Gesellschaft – vornehmlich einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), einer offenen Handelsgesellschaft (OHG) oder einer Kommanditgesellschaft (KG) – begangen“.[2] Außerdem wurden rund 12% der zur „organisierten Kriminalität“ gezählten Taten im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben gesehen. Der Schwerpunkt lag hierbei im Bereich der Finanzierungsdelikte sowie der Anlage- und Wettbewerbsdelikte.[3]
65
Die registrierten Delikte sind in den meisten Fällen nicht aufgrund der Anzeige eines betroffenen Opfers eingeleitet worden, sondern durch Strafverfolgungsorgane. Im Unterschied zur „klassischen Vermögenskriminalität“ handelt es sich hier also um so genannte Überwachungs- und Kontrolldelikte.[4] Es ist von einem großen Dunkelfeld aufgrund struktureller Besonderheiten auszugehen,[5] jedoch ist auch das Hellfeld nicht zuverlässig abbildbar, da eine gesicherte Datenbasis bezüglich Umfang, Struktur und Entwicklung der Wirtschaftskriminalität fehlt.[6] Potenzielle Informationsquellen – „Mitwisser“ – sind oftmals Mittäter (oder Beteiligte), sodass Täter- und Opferbefragungen kaum möglich sind. Die grundsätzliche Anzeigebereitschaft bei „Kollektivopfern“, z. B. in den Fällen, in denen der Staat, soziale Einrichtungen oder andere Unternehmen die Geschädigten sind, ist zudem deutlich geringer als bei persönlich Betroffenen. Dies wird verstärkt in den Fällen, in denen der Anzeigende sich der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt sieht. Das große Dunkelfeld wird zudem auf die „Unsichtbarkeit des Rechtsbruchs nach außen“ zurückgeführt. Hieraus resultiert auch eine Dominanz des Betrugs als dem Delikt, das eine Verfügung und einen Vermögensschaden voraussetzt und daher deutlich „sichtbarer“ ist. Die besondere Rolle des Betrugs hängt auch mit der abstrakten Formulierung des Tatbestands zusammen. Trotz der eingeführten Vorfeldtatbestände wird der „Betrug im wirtschaftskriminellen Kontext“[7] bisher kaum durch exakte Kriterien charakterisiert. Die polizeilichen Sachbearbeiter orientieren sich vor allem an den Fallgruppen „Kreditbetrug (§ 265b StGB)“, „Subventionsbetrug (§ 264 StGB)“ und der als „Beteiligungs- und Kapitalanlagebetrug“ zusammengefassten Fallgruppe.[8] Außerhalb dieser Kerngruppen sind relativ hohe Prozentsätze von Betrugskriminalität mit wirtschaftskriminellem Hintergrund im Bereich „Kreditvermittlungsbetrug“, „Abrechnungsbetrug“ (mit Anteilen von über 40%) und „Grundstücks- und Baubetrug“ (27,5%) zu verzeichnen.[9] Den Schwerpunkt innerhalb der Betrugsstraftaten bilden somit die so genannten Finanzierungsdelikte, d. h. die Deliktsformen, die im Zusammenhang mit der Gewährung, Vermittlung und Erlangung von Krediten im Zusammenhang stehen. Insbesondere sind damit Betrugshandlungen im Rahmen der Abwicklung von Waren-, Leistungs- oder auch Geldkreditgeschäften gemeint.[10]
Anmerkungen
Vgl. zu den Zahlen im Einzelnen Rn. 56.
BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 218.
BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 220;