Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
In der Studie von 2007 erfolgte an dieser Stelle zum ersten Mal ein Hinweis auf die mögliche kriminogene Wirkung des Unternehmens: Viele Delikte seien nämlich auch auf Formen kollusiven Handelns bzw. durch Unterstützung interner oder externer Mitarbeiter zurückgeführt worden. In einigen Fällen handele es sich um eine Beteiligung oder zumindest Mitwisserschaft mehrerer Unternehmensmitglieder (12%), sodass aus kriminologischer Sicht auch subkulturelle Milieus innerhalb der betroffenen Unternehmen vorgelegen haben könnten.[18] Zwar wurde in diesem Zusammenhang wiederum von einer dadurch verursachten „Schädigung des Unternehmens“ gesprochen, jedoch weisen die Ergebnisse aus 2009 darauf hin, dass zu geringe unternehmensinterne Vorsichtsmaßnahmen (50%) und ein größerer internationaler Druck (46%) als Hauptursachen angesehen werden und mit dem Grund der „steigenden internationalen Unternehmens- und Informationsverflechtung“ auch kriminogene Ursachen aus der Unternehmenssphäre gesehen werden.[19] Als „unternehmensspezifische Faktoren“ werden explizit ein zu hoher Druck durch Zielvorgaben, mangelnde Übereinstimmung mit Unternehmenszielen, unklare Kommunikation von Unternehmenskodizes[20] sowie hohe Anonymität und berufliche Enttäuschung genannt. Inbesondere die Balance zwischen Präventions- und Kontrollmaßnahmen scheint nach den Ergebnissen von PwC nicht ausgeglichen, denn obgleich über 80% der Unternehmen über interne und externe Revisionen verfügen, verbleiben Personal- und Aufgabenwechsel, automatisierte Berichtssysteme und Kundenmonitoring wenig verbreitete Instrumente.[21] Die Reaktion auf deviantes Verhalten fällt in der Regel arbeitsrechtlich aus, flankiert von Strafanzeigen, und richtet sich seltener gegen Täter aus dem Topmanagement als gegen andere Täter. Für die Gruppe der internen Täter werden weitaus weniger Strafanzeigen erstattet als für externe Täter. Dies könnte auf die befürchteten Reputationsschäden und die Vermeidung von Publizität des Vorfalls zurückzuführen sein. Im Jahr 2009 wurde gegenüber 2007 ein weiteres Absinken der Anzeigebereitschaft, sowohl gegenüber internen wie externen Tätern, festgestellt.[22]
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Der 2007 erhoffte weltweite Trend einer Intensivierung interner und externer Kontrollmechanismen und konsequenten Einrichtung von Hinweisgebersystemen sowie der Implementierung ethischer Richtlinien[23] lässt sich daher noch nicht bestätigen. Jedenfalls die Dominanz der zufälligen Entdeckung konnte noch nicht reduziert werden. Die Autoren der Studie bezeichnen jedoch einen hohen Anteil von externen und internen Tippgebern als Indikator für eine intakte informelle Selbstkontrolle, die jedoch nach wie vor selten etabliert ist.[24] Parallel zu den Präventions- und Kontrollmechanismen ist zu beobachten, dass 75% der Unternehmen eine D&O-Managerhaftpflichtversicherung abgeschlossen haben, die für die Kosten einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme von Organmitgliedern, GmbH-Geschäftsführern, AG- und Vereinsvorständen, Aufsichtsräten und Beiräten, leitenden Angestellten und Prokuristen aufkommt. Dies hat aus Sicht der Autoren auch mit einer zunehmenden zivil- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung der Manager im Falle wirtschaftlicher Fehlentwickungen zu tun. Die im Corporate Governance Kodex vorgesehene – und mittlerweile in § 93 II AktG kodifizierte – Vereinbarung eines Selbstbehalts in Höhe von mindestens 10% des Schadens bis zu mindestens dem 1,5-fachen des Jahresfixgehaltes wird jedoch nur zögerlich umgesetzt.[25]
Anmerkungen
Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2007 – Sicherheitslage der deutschen Wirtschaft, S. 3.
Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 3.
Da in den Studien 2005 und 2007 keine Daten bezüglich wettbewerbswidriger Absprachen und Diebstahl vertraulicher Unternehmensdaten erhoben wurden, bilden die Autoren die Entwicklung der Wirtschaftskriminalität auch unter Herausrechnung dieser Daten für 2009 ab. Hierbei zweigt sich, dass die Quote der geschädigten Großunternehmen bei 56% liegt. 2007 lag sie bei 52% und 2005 bei 58%. Der durchschnittliche finanzielle Schaden aller genannten Wirtschaftsdelikte hat sich jedoch seit 2005 fast verdreifacht; vgl. Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 12.
Der Anstieg der Schadensentwicklung von 2007–2009 scheint eklatant. Während 2005 der durchschnittliche finanzielle Schaden aller genannten Delikte 1,47 Millionen Euro betrug, stieg er 2007 auf 1,59 Millionen Euro an und wird 2009 auf 4,29 Millionen Euro beziffert. Noch deutlicher erscheint dies im Bereich des durchschnittlichen finanziellen Schadens der genannten 210 schwersten Delikte, der von 4,43 Millionen Euro im Jahre 2005 auf 30,01 Millionen Euro im Jahr 2009 anstieg. Vgl. Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 13. Dies ist unter anderem auf die gehäufte mediale Aufarbeitung von Wirtschaftskriminalität zurückzuführen und wirkt aus Sicht der Autoren auf die Reputation von Unternehmen, beeinflusst damit also die immateriellen oder indirekten Schäden. Die indirekten Schäden aufgrund von Vermögensdelikten werden mittlerweile stärker wahrgenommen. Lediglich 28% (gegenüber 41% im Jahre 2007) der Unternehmen behaupten noch, von mittelbaren Folgen verschont geblieben zu sein. Vgl. S. 19 ebenda.
Dennoch gaben nur 22% der Unternehmen an, über eine Vertrauensschadensversicherung zu verfügen und lediglich 30% der Versicherungsnehmer gaben an, sie in Anspruch genommen zu haben. Allerdings könnte dies wiederum damit zusammenhängen, dass die konkreten wirtschaftskriminelle Vorfälle keinen, von der Versicherung abgedeckten, Schadensfall darstellten. Dies gaben 78% der Befragten als Grund für den fehlenden Ausgleich des Schadens durch die Versicherung an; vgl. im Einzelnen Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 14.
Vgl. die Aussagen aus der Branche „Industrielle Fertigung“ unter Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 23.
Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 24 f.
Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 30.
Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 33 ff.
Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 20.
In einem Vergleich zwischen Unternehmen wurde eine Senkung der Schädigungen um 10% der Unternehmen mit gegenüber denen ohne Compliance-Programmen festgestellt; vgl. Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 21.
Vgl. schon Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2007 – Sicherheitslage der deutschen Wirtschaft, S. 39 und Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 43.
Bussmann/Nestler/Salvenmoser