Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
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Nur 48% achten auf eine strenge Mitarbeiterauswahl, KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 20.
29% der Befragten nehmen Integritätskriterien in die Lieferantenbewertung auf und 56% führen keine Analysen wirtschaftskrimineller Handlungen von verbundenen Unternehmen und Dienstleistern durch. Vgl. KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 21.
Vgl. hierzu insgesamt KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 23 f.
KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 20
KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 9
cc) PricewaterhouseCoopers – Wirtschaftskriminalität
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Die von PricewaterhouseCoopers (PwC) in Kooperation mit der Martin-Luther-Universität 2009 entstandene Studie stellt in ihrer jüngsten Ausgabe die Situation in Deutschland in den Mittelpunkt. 2005 und 2007 waren im Rahmen einer internationalen Umfrage die Erfahrungen von weltweit 5.428 Unternehmen, darunter 1.166 in Deutschland, mit Wirtschaftskriminalität erfragt worden. Die Erhebung umfasste damals alle entdeckten Straftaten zwischen Frühjahr 2005 und Frühjahr 2007 sowie die Analyse von über 2.000 einzelner Straftaten mit Schlussfolgerungen in Bezug auf Tatursachen, Täterprofile, sowie betriebliche und rechtliche Konsequenzen.[1] 2009 wurden 500 deutsche Großunternehmen befragt und die hieraus gewonnenen Ergebnisse zu den Erkenntnissen aus 2005 und 2007 in Bezug gesetzt.[2]
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Zu den Kernerkenntnissen gehört unter anderem, dass der seit 2005 beobachtete Anstieg der Wirtschaftskriminalität nicht nachgelassen hat und mittlerweile 61% der Großunternehmen „geschädigt“ sind.[3] Die Verluste für die befragten Unternehmen betrugen 30 Millionen Euro und die Reputationsverluste – immaterielle Schäden – wurden von 44% als bedeutend eingestuft.[4] Dies wird auch in unmittelbare Beziehung zu dem eigenen Aktienkurs, von dem 2007 noch 35% der Großunternehmen annahmen, er könne nicht durch einen Imageschaden tangiert werden; 2009 meldeten nur 7% zurück, dass sie keine negativen Konsequenzen für den Kurs befürchten.[5] Teilweise wird dies auf einen Wandel in der Rezeption von Wirtschaftskriminalität zurückgeführt; dieser sei mittlerweile in einer beeinträchtigten Beziehung zwischen den Unternehmen und den Regulierungsbehörden gespiegelt, in einer strengeren Ahndung von Wirtschaftskriminalität und deutlich spürbaren Folgen wirtschaftskrimineller Sachverhalte auf den Aktienkurs, was auf Unternehmensseite mittlerweile auch rezipiert würde.
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Betrug und Unterschlagung werden auch in dieser Studie als häufigste Deliktsarten genannt, die zudem den größten Anteil an dem durch Wirtschaftskriminalität verursachten, finanziellen Schaden ausmachen. 41% der Unternehmen waren hiervon ein- oder mehrmals betroffen. Gleichzeitig ist Korruption spätestens nach der Siemens-Affaire ein prominenteres Thema, das trotz einer relativ geringen Deliktsquote von nur 13% von den Befragten als hohes Risiko eingeschätzt wird.[6] Es wird zudem von einem Viertel der Befragten berichtet, dass sie durch Ablehnung von Bestechungshandlungen eine Geschäftsmöglichkeit verloren haben. Gleichzeitig berichten nun die deutschen Unternehmen – ebenso wie die nordamerikanischen Unternehmen im Jahre 2007 – von hohen Managmentkosten infolge von Korruption und indirekten Schäden bezüglich Marke, Arbeitsmoral und Ansehen.[7] Besonders hervorgehoben hinsichtlich der Schadensrisiken werden die Wettbewerbsdelikte: Zwar seien die Unternehmen diesbezüglich auch „Nutznießer“, jedoch seien sie durch diese Form des illegalen Wettbewerbs mit einem Verlust in Höhe von 5,85 Millionen Euro im Jahr 2009 auch am stärksten geschädigt. Die in der Studie im Original abgedruckten Antworten der Befragten deuten darauf hin, dass bestimmte Wirtschaftsbereiche, wie die Baubranche, besonders betroffen sind. 40% der Unternehmen gehen davon aus, dass wettbewerbswidrige Absprachen sehr häufig bzw. häufig stattfinden.[8] Dies scheint, nach den Ergebnissen der Studie, auch auf unzureichende Präventionsmaßnahmen zurückführbar zu sein: 43% der befragten Unternehmen hatten keine entsprechende Schulung angeboten und nur 38% der Befragten gingen von guten Kenntnissen im Bereich des Kartellrechts aus. Die Deliktsbereiche Produktfälschung, Patent- und Markenrechtsverletzung, Diebstahl vertraulicher Kunden- und Unternehmensdaten sowie Wirtschaftsspionage werden thematisiert,[9] stellen jedoch einen relativ geringen und seit 2005 unveränderten Deliktsbereich dar. Festzuhalten ist für die vorliegende Arbeit erneut, dass diese Deliktsbereiche schon a priori eine andere Ausrichtung und Struktur aufweisen als Korruption und Wettbewerbsdelikte, die den Unternehmen direkte wie indirekte Vorteile bringen. Gleichwohl werden diese Tatbestände undifferenziert unter Wirtschaftskriminalität subsumiert und hinsichtlich ihres Risikopotentials und Schadensumfangs für die „betroffenen“ oder „geschädigten“ Unternehmen abgefragt.
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Insofern erstaunt es nicht, dass das Thema Compliance für die befragten Unternehmen zunehmend wichtiger wird;[10] der Anteil an entsprechenden Programmen erhöhte sich von 2007 zu 2009 von 3% auf 44%. Die Autoren betonen mehrmals den Bezug zu den Haftungsrisiken und der wachsenden Aufmerksamkeit für Wirtschaftskriminalität in der Öffentlichkeit und den Medien. Nicht nur die Vermeidung finanzieller Schäden, sondern auch die Minimierung von Haftungsrisiken und indirekter Schäden könnten mit solchen Programmen erreicht werden,[11] was – durch die Erhöhung des Anteils an Compliance-Programmen belegt – von den Unternehmen auch erkannt würde. Gleichwohl erstreckten sich nur 85% der Programme auch auf die Prävention von Vermögensdelikten und nur ein Drittel verfüge über ein entsprechendes Hinweisgebersystem. Bezogen auf Korruptionsdelikte seien die hierauf bezogenen Programme nur bei 36% anzusiedeln. Trotz einer starken Wahrnehmung des Korruptionsrisikos tragen also nur etwa ein Drittel der Unternehmen diesem Problem durch Antikorruptionsprogramme, spezielle Compliance oder Hinweisgebersysteme Rechnung.
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Hinsichtlich des täterbezogenen Hintergrunds ermöglicht die Studie in der Gesamtschau interessante Erkenntnisse: Das Täterprofil weist einen zumeist männlichen (87%), überdurchschnittlich gebildeten Täter zwischen 30 und 50 Jahren aus, der überwiegend seit mehreren Jahren im Unternehmen arbeitet.[12] Die Hälfte der Wirtschaftsstraftäter kam aus dem eigenen Unternehmen – davon fast ein Viertel aus dem Topmanagement – und bestand aus sozial unauffälligen, in der Regel nicht vorbestraften Unternehmensmitgliedern. In der Gruppe externer Täter wurden überwiegend Kunden und Mandanten des Unternehmens sowie Geschäftspartner (63%) genannt, insgesamt also Menschen, zu denen eine irgendwie geartete Geschäftsbeziehung besteht. Jene weisen ein geringeres Schuldbewusstsein auf, dem eine erleichterte Motivation mittels finanzieller Anreize gegenübersteht.[13] Die größere Anonymität in Großunternehmen und der Verlust der Opferperspektive führten dazu, dass sich die Täter „als kleines Zahnrad in einem großen Uhrwerk“ fühlen und die Schädigung des Unternehmens leugnen.[14] Die Delikte würden dadurch erleichtert, dass mit der Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen das Vertrauen in die Mitarbeiter wächst und dadurch Zugangsmöglichkeiten verschafft werden. Zu den Ursachen zählten die Verfasser der Studie mangelndes Unrechtsbewusstsein (63%), leichte Verführbarkeit (38%) und finanzielle Anreize (61%).[15] In der Studie von 2005 wurden weiterhin drei Hauptfaktoren herausgestellt, die wirtschaftskriminelle Delikte begünstigen sollen: der Anreiz zur Begehung eines Wirtschaftsdelikts, die Gelegenheit und die Rechtfertigung des Täters vor sich selbst.[16] Vergleicht man diese Faktoren mit den von Unternehmen genannten, häufigsten Ursachen, so ergibt sich der „zu aufwändige Lebensstil“ als Anreizfaktor (37%), die „ungenügende interne Kontrolle“ als Faktor Gelegenheit (42%) und das „mangelnde