Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
vergleichbare Verwebung von Verbandszweck und Rechtsfähigkeit des Unternehmens, jedoch ist durchaus eine Interdependenz zu bejahen, die dazu führt, dass man Unternehmen und Unternehmensträger nicht vollkommen losgelöst voneinander betrachten kann. Denn: Rechtsfähigkeit setzt Identität und Publizität des Subjekts voraus, welches Eigenschaften sind, die nur dem Menschen von Natur aus zukommen. Bei Unternehmen bzw. Verbänden im Allgemeinen kann jedoch Identität und Publizität nur sichergestellt werden, indem durch staatliche Verleihung der Unternehmensträger kreiert wird. Identität und Publizität des Unternehmens werden also über ihre Unternehmensträger verwirklicht und dies dank – zum einen – dem verfassungsrechtlich geschützten System freier Körperschaftsbildung, – zum zweiten – dem Konzessionssystem, welches über die Registergerichte die Publizität gewährleistet und – zum dritten – dem System der Normativbestimmung, die das Gesellschaftsrecht gestaltet.[18] Die Versuche,[19] den Gegensatz von Kapital und Arbeit zu überwinden und das Unternehmen als übergeordnete Instanz mit Rechtsfähigkeit auszustatten, haben sich daher im Zivilrecht nicht durchsetzen können. Vor allem der Gesichtspunkt, dass der innerhalb der Zivilrechtsordnung stattfindende Rechtsverkehr nicht auf abgegrenzte Zurechnungssubjekte verzichten kann, steht einem alleinigen Anknüpfen an die wirtschaftlich-organisatorische Einheit im Weg.[20]
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Dieses vorläufige zivilrechtliche Fazit spricht jedoch nicht gegen eine Berücksichtigung des Faktischen in Strafrecht und Kriminologie; im Gegenteil: Es wurde herausgearbeitet, dass der Unternehmensträger aufgrund des Regelungskontextes des Zivilrechts ebenfalls maßgeblich für die Definition des Unternehmens sein muss. Die zivilrechtliche Herangehensweise würde jedoch – auf das Strafrecht übertragen – die Gefahr bergen, dass ein Einzelunternehmer – als Unternehmensträger – unter dem Schutzmantel seines Unternehmens eine individuelle Haftung umgehen kann bzw. Handlungen von Unternehmensbeauftragten ihm – als einzigem Unternehmensträger – zugerechnet werden. Er „als Unternehmen“ müsste dann für solche Verfehlungen mittelbar haften, auch wenn ihn keine Schuld trifft. Für die Qualifizierung als strafrechtliches Verhalten kann jedoch nicht die positiv-rechtliche Zuteilung entscheidend sein.
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Insofern muss sich das Strafrecht der sozialen Realität zuwenden und tut es auch. Der Terminus Unternehmen ist bereits im Strafrecht integriert. Allerdings kann nicht ohne Weiteres festgestellt werden, ob an die soziale Entität angeknüpft wird, da man auch hier auf ein unübersichtliches terminologisches Feld trifft: Im Zusammenhang mit der Zurechnung von Verantwortung in § 14 StGB und § 9 OWiG spricht man von „Unternehmen“ ohne eine nähere Umschreibung zu geben[21] und stellt im — in § 14 StGB und § 9 OWiG gleich lautenden — Abs. 2 S. 3 die Begriffe „Unternehmen“ und „Betrieb“ auf eine Bedeutungsebene. Dies zielt normhistorisch wohl darauf ab, klarzustellen, dass kein Unternehmen außerhalb des Anwendungsbereichs von Abs. 2 steht,[22] zeigt aber auch, dass es – ohne tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Begriff – um die primäre Bedeutung des Begriffs als „wirtschaftende Einheit“[23] geht. Anders wird der Begriff im Tatbestand des Subventionsbetrugs (§ 264 StGB) gebraucht, wo in Abs. 6 unter „Betriebe oder Unternehmen“ unstreitig auch öffentliche Unternehmen hinzugezählt werden.[24] Dem steht wieder das Merkmal „Betriebe oder Unternehmen“ des § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB gegenüber, das nur solche „Betriebe und Unternehmen“ umfasst, die „unabhängig von ihrem Gegenstand nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern“.[25] In § 5 Nr. 7 StGB wiederum scheint der Gesetzgeber von einer unterschiedlichen Bedeutung der Begriffe auszugehen, allerdings könnte sich das Nebeneinanderstellen von „Betrieb“ und „Unternehmen“ auch als rein sprachliches Mittel interpretieren lassen, um die Wiederholung des Wortes „Unternehmen“ zu vermeiden.[26]
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Der strafrechtliche Gesetzgeber scheint die Begriffe „Betrieb“ und „Unternehmen“ also nur teilweise synonym zu verwenden, im Wesentlichen aber keine einheitliche Linie zu verfolgen. Anders die Literatur, die eine allgemein akzeptierte Definition[27] des Begriffs „Unternehmen“ hervorbrachte, die auf dem allgemeinen Sprachverständnis, dass ein „Unternehmen“ stets ein „Mehr“ als der „Betrieb“ darstellt, beruht.[28] Nach überwiegender Ansicht[29] ist hier also ein Betrieb oder Unternehmen eine planmäßig und meist auch räumlich zusammengefasste Einheit mehrerer Personen und Sachmittel zur Erreichung des auf eine gewisse Dauer gerichteten Zwecks, Güter oder Leistungen materieller oder immaterieller Art hervorzubringen oder zur Verfügung zu stellen. Ein Unternehmen kann mehrere Betriebe erfassen. Das Unternehmen wird also überwiegend als die rechtlich-wirtschaftliche Einheit verstanden, während der Betrieb die technisch-organisierte Einheit darstellt.[30] Der Unternehmensbegriff ist also aus strafrechtlicher Perspektive rechtsformübergreifend und auch nicht auf eine bestimmte Organisationsform beschränkt. Er ist weit gefasst, an das wirtschaftsrechtliche Verständnis angelehnt und umfasst sämtliche kaufmännischen und nicht kaufmännischen Gewerbebetriebe, den gesamten Bereich der Urproduktion sowie den der freien Berufe. Keine Unternehmen sind danach private Haushalte, die gesamtwirtschaftlichen Verbraucher und die Träger von hoheitlicher Gewalt im Rahmen ihrer Ausübung.[31]
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Unternehmen sind also zuvörderst selbstständige Produktionseinheiten. Damit begreift dieser Ansatz Unternehmen als Einrichtung, die als solche eine bestimmte gesamtwirtschaftliche Aufgabe, nämlich die Gütererzeugung, erfüllen kann. Gerade in dieser Definition tritt die Unterscheidung zwischen dem Subjekt Unternehmensträger und dem Objekt, also dem im handelsrechtlichen Unternehmensbegriff erfassten Konglomerat aus Sachen, Rechten und sonstigen Beziehungen, in den Hintergrund und ermöglicht eine selbstständige Bedeutung, aber auch eine selbstständige Verantwortung des Unternehmens.[32] Das Unternehmen als „sozialer Verband, der in ihm durch Kapitalbeiträge oder personalen Leistungen kooperierenden Rechtssubjekte und als Institution der Wirtschaftsverfassung“[33] wird in eine rechtlich bedeutsame Position gehoben, ohne dabei die Position der Rechtsträger zu berühren. Diese, ursprünglich wirtschaftsrechtliche, Überlegung soll für das Strafrecht unter der Prämisse gelten, dass der Verhaltensbefehl an die jeweiligen Rechtsträger durchgeleitet wird.[34]
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Das Strafrecht entfernt sich also bereits in seiner Begriffsbildung um einen Schritt vom Zivilrecht, das das Unternehmen als Gegenstand des rechtsgeschäftlichen Verkehrs kennt. Denn zum einen lässt es begrifflich die Möglichkeit des Unternehmens als Rechtssubjekt zu, es gibt zudem aber auch einer wirtschaftlichen Einheitsbetrachtung den Vorzug, die beispielsweise im Sachenrecht nur sehr begrenzt möglich erscheint.[35] Dem ist auch, unabhängig von noch zu erörternden Fragen der Normadressateneigenschaft oder der Tauglichkeit als Strafrechtsperson,[36] zuzustimmen. Im Hinblick auf den Gegenstand vorliegender Untersuchung erschiene es nämlich durchaus problematisch, den Unternehmensbegriff auf ein gegenständliches Substrat wie z. B. das Unternehmensvermögen zu reduzieren. Abgesehen von den erörterten Andeutungen durch Gesetzgeber, Rechtsprechung und Literatur, die auf die Rezeption des Unternehmens als „wesensmäßige Gesamtheit“[37] und Rechtssubjekt im Strafrecht schließen lassen, fehlt diesem Begriff noch die entscheidende Kontur. Die dargestellte praxisorientierte, den Bedürfnissen des Wirtschaftsrechts angepasste Definition umgeht nämlich beispielsweise die bedeutsame Frage, ob das Wesen der Korporation die bloße Addition der Einzelmitglieder ist oder ein sich davon abhebendes eigenständiges Gebilde darstellt. Inwiefern Struktureigenschaften des Unternehmen, die vom Wechsel ihrer Mitglieder unabhängig sind, eine Rolle spielen und ob das Unternehmen in seiner „realen“ – also nicht nur normativ fingierten – Existenz als Adressat von strafrechtlichen Pflichten innerhalb der Rechtsgemeinschaft anzusehen ist, wird also Gegenstand weiterer Überlegungen sein; hierbei wird auch die gesamtwirtschaftliche Funktion des Unternehmens eine Rolle spielen.[38] Relevant wird zudem, inwieweit die „funktionalen Grenzen der Organisationsmodelle Hierarchie und Vertrag“[39] die im Gesellschaftsrecht unverzichtbar sind, um über die Leitungs-, Kontroll- und Mitbestimmungsbefugnisse zu entscheiden, für das Strafrecht eine Rolle spielen. Es ist offensichtlich, dass schon die Haftungsfrage anders zu beurteilen ist, je nachdem, ob ein gefährliches Produkt durch ein Vertragsnetzwerk, durch einen korporativen Akteur Unternehmen