Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
Es ist zu beobachten, dass die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kriminalität aus dem Unternehmensbereich auf einem unübersichtlichen semantischen Feld geführt wird. Die Begriffe Unternehmen, Verband, Unternehmensträger, Körperschaft, Organisation und juristische Person werden nebeneinander oder synonym verwendet und selten ist dabei zu erkennen, inwiefern sie voneinander abgegrenzt werden oder jeweils begrifflich konturiert sind. Diese Entwicklung der Diskussion ist insofern folgenreich, als die hier genannten Begriffe als Ausgangspunkte dogmatischer Überlegungen m. E. in vollkommen unterschiedliche Richtungen führen.[1] Erwägt man die Strafbarkeit juristischer Personen, entfernt man sich von einem empirischen Bezugspunkt, der jedoch für das Verständnis der Kriminalität, auf die das Strafrecht eine Antwort finden will, unerlässlich ist. Eine rein theoretische Auseinandersetzung mit der Frage, ob juristische und natürliche Personen im Strafrecht gleichgestellt sind oder eine Analogie konstruierbar ist, erscheint erschöpfend erwogen und angesichts des oftmals apodiktisch angeführten gewichtigen Kriminalitätsproblems,[2] das die Unternehmenskriminalität darstellen soll, zumindest auch „l'art pour l'art“ zu sein. Es ist eine rechtlich spannende Auseinandersetzung mit einem möglichen Unternehmensträger, aber es bleibt eine rein rechtliche Diskussion.
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Fällt die Begriffswahl auf Kollektive, Körperschaften oder Verbände,[3] wird zwar an die soziale Einheit – und damit auch an die kriminologisch relevante Grundlage – angeknüpft, jedoch wird damit das Problem sogleich am Spezifikum Organisation verortet. Dies mag eine abstraktere, und damit weite, Herangehensweise sein, die den Blick sogleich auf Mechanismen der Verantwortungsdiffusion lenkt. Ihr ist auch abzugewinnen, dass sie die Metaebene strafrechtlich zu greifen versucht und rechtliche Überlegungen an den Besonderheiten einer Entität anknüpfen und damit an Plausibilität und Konsistenz gewinnen. Allerdings wird dadurch der Blick von wesentlichen Aspekten der Wirtschaftskriminalität abgewendet, die – auch für die abstrakt anknüpfenden Ansätze[4] – a priori als übergeordneter oder zumindest involvierter Topos gilt. Insbesondere der Aspekt der Profitmaximierung oder Gewinnerzielungsabsicht geraten dann als vorpositive Momente in den Hintergrund. Dies mag innerhalb eines Ansatzes, der konsequenterweise von Verbandskriminalität in gleicher oder ähnlicher Form im Wirtschafts- wie im non-profit-Bereich ausgeht,[5] kohärent sein, jedoch bleiben jedenfalls der Einzelunternehmer und die Zwei-Personen-Konstellationen außer Betracht. Zudem ist diesen Überlegungen zur Verbands- und Kollektivstrafbarkeit gemeinsam, dass sie die Kriminalität ausschließlich als aus der Entität als solcher herrührend betrachten und damit nicht offen sind für Differenzierungen, die sich daraus ergeben, dass Entitäten auch ein Kontext für Mikrokriminalität sein können bzw. es schlicht Gruppenprozesse sein könnten, die Rechtsverletzungen bedingen und diese womöglich nicht dem Kollektiv zuzurechnen sind.
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Aus diesen Gründen wird für die vorliegende Untersuchung das Unternehmen als Ausgangspunkt gewählt und damit einerseits das Kollektiv als möglicher Straftäter in den Blick genommen, andererseits aber auch das Individuum innerhalb eines bestimmten Kontextes beobachtet und schließlich die Wechselwirkung zwischen Mikro-, Makro- und Mesoebene[6] thematisiert. Durch diese Begriffswahl wird also eine rechtsformübergreifende Problemsicht versucht, dabei jedoch in Rechnung gestellt, dass diese vorpositiven Aspekte ihren Ausdruck im Recht gefunden haben müssen, um für dogmatische Konsequenzen überhaupt relevant zu werden.
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Zu klären ist zunächst, was im Recht unter „Unternehmen“ verstanden wird. Einen ersten Anhaltspunkt bietet hier die zivilrechtliche Dogmatik, die die Abgrenzung der Begriffe juristische Person, Verband und Unternehmen bereits ausführlich thematisiert.[7] Eine allgemeingültige Definition hat sich jedoch auch hier nicht herausgebildet.[8] Es besteht lediglich Einigkeit darüber, dass der Begriff im jeweiligen Normzusammenhang zu interpretieren[9] ist und im Kern drei wesentliche Merkmale des Unternehmens herausgearbeitet werden können: ein Mindestmaß an sachlichen und persönlichen Mitteln, ein Mindestmaß an organisierter Einheit und das äußere Auftreten am Markt.[10]
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Das „Unternehmen an sich“ galt bislang lediglich als Rechtsobjekt, jedoch mehren sich die Ansätze, die es als „soziale Realität“ und Rechtssubjekt in Betracht ziehen,[11] als „weitgehend vollzogene Loslösung des Unternehmens von seinen Anteilseignern“ oder als „volkswirtschaftliche Größe“ erwägen. Dies schien zunächst zur Klärung der begrifflichen Frage und ohne Differenzierung von juristischer Person, Unternehmensträger und Unternehmen zu erfolgen, jedoch „vergegenständlichte“ dieser Diskurs die „Trennung von Kapital und Herrschaft [als] unmittelbarer Ausdruck der gewandelten Machtverhältnisse“ – vor allem bezüglich der Aktiengesellschaft – und führte Rathenaus Gedanken vom modernen Großunternehmen letztlich weiter.[12]
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Das „Unternehmen an sich“ zu thematisieren bedeutet zum ersten Mal das Anknüpfen an das soziale Phänomen und nicht lediglich an die rechtliche Einheit juristische Person. Und dies nicht aufgrund einer, für die kriminologischen Überlegungen interessanten, phänomenologischen Herangehensweise. Grund hierfür ist vielmehr, dass juristische Personen – solange es sich um Verbände handelt – grundsätzlich[13] einen Verbandszweck verfolgen, der im Betreiben eines Unternehmens liegen kann.[14] Das Spannungsverhältnis zwischen dem für das Handelsrecht traditionell bedeutsamen Gewerbe, in dem das Kaufmannsrecht entscheidend war, und dem modernen Außenprivatrecht, das im Handels- und Gesellschaftsrecht gespiegelt wird, prägt die Begriffsbildung. Es wird versucht die soziale Realität des Unternehmens als wirtschaftliche und soziale Einheit abzubilden, wenn die Integration der organisatorischen Elemente als selbständige, anbietende und entgeltliche rechtsgeschäftliche Tätigkeit am Markt, die sich durch Planmäßigkeit und Ausrichtung auf Dauer auszeichnet, Definitionskern wird.[15]
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Allerdings ist diese Definition für das Handelsrecht problematisch, denn hier spielt insbesondere – und anders als im Konzern-, Arbeits- und womöglich auch Strafrecht – die Bewertung innerer Strukturen und Vorgänge eine dominante Rolle. Trotz der im Zivilrecht zu beobachtenden Entwicklung, die soziale und sogar politische Dimension der Unternehmen zu berücksichtigen, ist die Rechtsfähigkeit dieser Einheit hier elementar. Zwar wird auch auf der abstrakten Ebene der Rechtsfähigkeit kontrovers diskutiert, ob diese ungeteilt und umfassend begründet werden muss oder eine gestufte Zurechnungsfähigkeit und damit relative Rechtsfähigkeit begründbar ist. Jedoch hat sich die Notwendigkeit eines eindeutig bestimmbaren und rechtsfähigen Unternehmensträgers als Bezugspunkt durchgesetzt. Notwendig ist dies vor allem, weil eine wirtschaftliche Betrachtungsweise stets dem Vorwurf der weichen Abgrenzung oder gar Willkür aufgrund der Konturlosigkeit ihrer Definition ausgesetzt ist und eine Abgrenzung der nach außen auftretenden Entität zur nicht-rechtsfähigen Innengesellschaft nicht geleistet werden kann. Dies ist jedoch relevant, weil der zivilrechtliche Verband auf der Grundlage gegenseitiger Schuldverhältnisse im Innenverhältnis funktioniert, die zwar darüber hinaus einem Verbandszweck dienen und daher eine Verbandsstruktur herausbilden, jedoch das Unternehmen nicht an einer Außengrenze konturieren. Ohne den Unternehmensträger, der sowohl Einzelkaufmann als auch Aktiengesellschaft sein kann, wären also Fragen der Vermögenszuordnung und innergesellschaftlichen Haftung nicht zu lösen.
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Die Interdependenz zwischen sozialer Einheit Unternehmen einerseits und Unternehmensträger andererseits wirkt auch in umgekehrter Richtung: so wird überwiegend angenommen, dass der Verbandszweck – welcher meistens im Unternehmensbetrieb zu sehen sein wird – konstitutive Bedeutung für die juristische Person hat und Unternehmensmäntel, also „leere“ Gesellschaften ohne Geschäftsbetrieb, dogmatisch abzulehnen sind. Zwar sind diese Mantelgesellschaften in der Praxis verbreitet und Rechtsprechung, sowie Literatur, halten ein vollständiges Verbot insbesondere aus praktischen Gründen nicht für durchsetzbar;