Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
dass derartige Messungen nicht zum „Kerngeschäft“ des Apothekers gehören. Die Ausübung der Heilkunde ist ihm untersagt, es sei denn, er würde über eine Heilpraktikererlaubnis verfügen, § 12 S. 1 BO NRW.
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Die Rechtsprechung war hier viele Jahre sehr uneinheitlich. Mit einer Entscheidung vom 17.7.2000 hat das BVerfG[440] jedoch eine deutliche Liberalisierung bewirkt. Es ging darum, ob Augenoptiker – ohne Heilpraktiker zu sein – Augeninnendruckmessungen, Gesichtsfeldprüfungen u.ä. Dienstleistungen anbieten dürfen. Der BGH hielt dies grundsätzlich nicht für zulässig. Das BVerfG hob das Urteil des BGH jedoch mit der Begründung auf, dass die Wahrscheinlichkeit einer Aufdeckung von vorhandenen oder drohenden Augenerkrankungen nach Durchführung von Augeninnendruckmessungen und Gesichtsfeldprüfungen durch Augenoptiker – also der Nutzen – größer sei als die Gefahr, dass ein in Wahrheit erkrankter Kunde im Anschluss an eine bei ihm ohne Befund gebliebene Optiker-Untersuchung von einem – an sich geplanten – Besuch beim Augenarzt absehe.
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Bezogen auf die Osteoporose-Messung gibt es eine ähnlich liberale Entscheidung des OLG Düsseldorf[441] vom 19.2.2002, das ebenfalls derartige Messverfahren durch Apotheker billigte, sofern sich der Apotheker auf die reine Messung beschränke. Das OLG ließ auch die Werbung der Apotheke „Osteoporose-Früherkennung“ gerade „noch mal durchgehen“, weil sie gleich im Anschluss durch die Ankündigung „Wir messen Ihre Knochen“ auf den reinen Messvorgang ohne heilkundliche Weiterung reduziert worden sei.
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Dass man das auch anders sehen kann, zeigt eine Entscheidung des Bayerischen Landesberufsgerichts für die Heilberufe vom 15.4.2002. In diesem Fall hatte eine Apothekerin mit ganzseitigen Anzeigen für ihre Apotheke geworben, in denen sie Blutdruck- und Blutzuckermessungen, Messungen des Gesamtcholesterins u.Ä. mehr anbot. Dies allein wurde ihr jedoch noch nicht zum Verhängnis. Negativ werteten die Richter folgenden Satz: „Diese Tests sind nicht als Ersatz für einen Besuch beim Arzt zu sehen, sondern sollen vielmehr helfen, evtl. im verborgenen schlummernde Erkrankungen aufzudecken und auf einen evtl. Arztbesuch vorzugreifen.“ Die Apothekerin hatte diesen Satz wohl zur eigenen Absicherung verwendet, bewirkte jedoch genau das Gegenteil. Das Bayerische Landesberufsgericht für die Heilberufe stellte fest, dass damit der Eindruck erweckt werde, die Tätigkeit der beschuldigten Apothekerin verbleibe nicht im bloßen Messen von Körperfunktionen oder dem Analysieren von Körperflüssigkeit, sondern münde schließlich auch in die Wertung entsprechender Befunde als pathologisch oder nicht pathologisch. Damit hätte sie aber die Grenze zur Ausübung der Heilkunde eindeutig überschritten. Im Ergebnis wird es also immer auf die Besonderheiten der jeweiligen Werbeaktion ankommen. In manchen Landesberufsordnungen[442] der Apotheker ist z.B. das kostenlose Anbieten von Messungen untersagt. Werden in Zusammenhang mit der Messaktion „hilfreiche Medikamente“ vorgestellt, kann darin eine unzulässige Werbung für die Selbstmedikation[443] liegen (§ 11 Abs. 1 Nr. 10 HWG).
c) Nebengeschäfte
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Der BGH[444] hat entschieden, dass auch die Abgabe von Kompressionsstrümpfen in der Apotheke statthaft ist, obwohl dieser Abgabe stets eine individuelle Anpassung beim Kunden vorauszugehen hat, die als Dienstleistung nicht zu den typischen Tätigkeiten des Apothekers zählt. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG gebiete es, Nebengeschäfte, die nicht verboten seien, als erlaubt anzusehen. Da weder dem ApoG noch der ApBetrO insoweit Einschränkungen zur Berufsausübung zu entnehmen seien, sei das Anmessen und Anpassen von Kompressionsstrümpfen deshalb selbst dann nicht zu beanstanden, wenn darin nicht lediglich eine unselbstständige Nebenleistung bei der Abgabe von Kompressionsstrümpfen, sondern ein eigenständiges Nebengeschäft zu sehen wäre. Solange sich die Leistungen im Kern nicht so weit von der eigentlichen Aufgabe des Apothekers entfernen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität des Apothekerberufs gestört wird, bestehen nach der Rechtsprechung keine Einwände gegen ihre Zulässigkeit.[445]
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Darüber hinaus ist dem Apotheker in der Regel untersagt, durch werbliche Maßnahmen den Eindruck zu erwecken, er werde von Unternehmen der pharmazeutischen Industrie besonders bevorzugt beliefert oder im Gegenzug, durch diese besondere Beziehung empfehle er aufgrund dieser werblichen Fixierung Produkte dieses Unternehmens vorrangig. Außerdem darf der Apotheker mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten oder die Zuweisung von Verschreibungen zum Gegenstand haben (§ 11 Abs. 1 ApoG). Nach einer Entscheidung des LG Köln vom 17.3.2005[446] wurde es als wettbewerbswidrig angesehen, dass ein Arzneimittelhersteller Apotheken vorformulierte Werbebriefe zur Verfügung stellt, in denen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel dieses Unternehmens geworben wurde. Diese Briefe sollten mit dem Namen der Apotheken versehen und an potentielle Kunden verschickt werden. Dies sei irreführend, so das LG Köln. Anders als beim Direktmarketing bringe der Verbraucher „seiner“ Apotheke ein besonderes Vertrauen entgegen, das der Arzneimittelhersteller ausnutze.
6. Kapitel Berufsrecht der Gesundheitsberufe unter Einschluss der Darstellung des Rechts der Selbstverwaltung › D. Berufsrecht der Heilberufe › VI. Berufsrecht der Psychotherapeuten
1. Geschichte
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Bei der Psychotherapie handelt es sich um eine vergleichsweise junge Form der Berufsausübung, die ihren Aufschwung in Deutschland erfahren hat, nachdem die Krankenkassen ab 1967 die Inanspruchnahme von tiefenpsychologisch fundierter oder psychoanalytischer Psychotherapie im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung ermöglichten.[447] Ausschlaggebend dafür war die Feststellung, dass die Behandlungsmethoden der Psychotherapie nach den „Regeln der ärztlichen Kunst“ erfolgen. Im Gegensatz zur Psychoanalyse „entstand die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie erst als Produkt der Auseinandersetzung um die Einführung von Psychotherapie als Regelleistung zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und gesetzlichen Krankenkassen“ (Helle). Den „Aufschwung“, den die Psychotherapie in der Praxis nahm, markiert auch die Zunahme der vertragsärztlich tätigen Psychotherapeuten.
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Die ambulante vertragspsychotherapeutische Versorgung in Deutschland wird nach Angaben der BPtK aus dem Jahr 2019 von rund 52.000 Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Psychotherapeutische Leistungen werden darüber hinaus auch von Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie und Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie erbracht.
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1980 wurde die bereits 1976 neu gefasste „Psychotherapeuten-Richtlinie“ als Behandlungsgrundlage für Diplompsychologen sowie Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten um die Verhaltenstherapie ergänzt. 1987 wurde – neben der Anerkennung der Verhaltenstherapie als Richtlinienverfahren – die psychosomatische Grundversorgung eingeführt.[448] Behandlungsformen sind anerkannte Psychotherapieverfahren im Sinne dieser Richtlinie. In ihrer therapeutischen Wirksamkeit sind psychoanalytisch begründete Verfahren und Verhaltenstherapie belegt. Als psychoanalytisch begründete Psychotherapieverfahren gelten im Rahmen dieser Richtlinie die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie.
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Psychotherapeuten behandeln seelische Erkrankungen, wobei nach der aktuellen Richtlinie darunter eine „krankhafte Störung der Wahrnehmung, des Verhaltens, der Erlebnisverarbeitung, der sozialen Beziehungen und der Körperfunktionen“ verstanden wird. Es gehört zum Wesen dieser Störung, dass sie der willentlichen Steuerung durch den Patienten nicht mehr oder nur zum Teil