Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Beanstandung und Ersatzvornahme hat.
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Gewichtige Stimmen in der Literatur halten die Richtlinien des G-BA u.a. wegen unzureichender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen und fehlender demokratischer Legitimation des G-BA selbst bzw. der Entsendekörperschaften für verfassungswidrig.[41] Das BSG ist, anders als einige LSG, diesen Einwänden bisher nicht gefolgt.[42] Der Gesetzgeber hat inzwischen in § 91 Abs. 6 SGB V die Verbindlichkeit der Beschlüsse des G-BA für alle Beteiligten in der vertragsärztlichen Versorgung angeordnet.[43] Damit steht für die Praxis die Normverbindlichkeit der Richtlinien außer Frage. Die gerichtliche Nachprüfbarkeit beschränkt sich somit auf die Frage der Beachtung der Grenzen der einschlägigen gesetzlichen Ermächtigung innerhalb des normativen Gestaltungsspielraumes, der dem G-BA zuzubilligen ist.[44]
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Von den Richtlinien des G-BA zu unterscheiden sind die auf Basis von § 75 Abs. 7 SGB V erlassenen Richtlinien der KBV/KZBV. Diese haben für die Durchführung der Bundesmantelverträge bedeutsame Sachverhalte zum Gegenstand.[45] Sie erhalten ihre Verbindlichkeit gegenüber den Vertragsärzten durch eine nach § 81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V gesetzlich verpflichtende Implementierung in die Satzungen der KV. Ebenfalls in einer Richtlinie sollen die Anforderungen zur Gewährleistung der IT-Sicherheit in der vertragsärztlichen Versorgung geregelt werden.[46] Nach § 75 Abs. 7a SGB V ist auch der Fremdkassenausgleich zwischen den KV durch eine Richtlinie der KBV im Benehmen mit dem Spitzenverband Bund zu regeln.
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Mit dem DVG wurde ein neuer § 75b SGB V geschaffen, der KVB und KZVB verpflichtet, in einer Richtlinie bis zum 30.6.2020 die Anforderungen zur Gewährleistung der IT-Sicherheit in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung festzulegen. Diese Anforderungen sind notwendig, weil der Gesetzgeber die Kommunikation mit Hilfe digitaler elektronischer Medien massiv ausbauen möchte. KBV und KZVB erhalten dazu auch die Aufgabe, ab dem 30.6.2020 zusammen mit dem BSI Diensteanbieter auf Antrag zertifizieren. Eine Verpflichtung zur Nutzung dieser Diensteanbieter ist damit laut Gesetzesbegründung nicht verbunden.[47] Sie werden aber unentbehrlich notwendig sein, da die Telematikinfrastruktur selbst obligatorisch zu nutzen ist, sobald die technischen Möglichkeiten nach § 291a SGB V geschaffen sind, vgl. §§ 86, 87 Abs. 1 S. 8–12, 291 Abs. 2b S. 3 und 4, 295 Abs. 4 SGB V.
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Mit dem GMG wurde noch eine dritte Variante von zwischen KBV und Spitzenverband Bund zu vereinbarenden Richtlinien eingeführt, nämlich die mit dem TSVG wieder abgeschafften Richtlinien zur Zufälligkeitsprüfung nach § 106 Abs. 2b SGB V a.F.[48] und Richtlinien nach § 106d Abs. 6 SGB V zur Abrechnungsprüfung.[49] Diese Richtlinien binden zunächst nur die Partner der Gesamtverträge, die auf Landesebene nach § 106d Abs. 5 SGB V Vereinbarungen über die Abrechnungsprüfungen abschließen müssen, deren Bestandteil die Richtlinien sind. Die Richtlinien werden damit der Teil eines Normsetzungsvertrages und erhalten dadurch ihre Verbindlichkeit gegenüber den Vertragsärzten.
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Mit der Neugestaltung des Vergütungssystems durch das GKV-VStG kam in § 87b Abs. 4 SGB V noch die Variante einer „verbindlichen Vorgabe“ ins Gesetz.[50] Danach hat die KBV im Einvernehmen mit dem Spitzenverband den regionalen KV Vorgaben zur Festlegung und Anpassung des Vergütungsvolumens für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung sowie Kriterien und Qualitätsanforderungen für die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze als Rahmenvorgabe für Richtlinien zu machen. Diese Vorgaben stellen somit nur den Rahmen für noch im Detail auszuarbeitende Richtlinien zur Verfügung. Wesentlich größere Bedeutung haben die von der KBV herzustellenden Vorgaben an die regionalen HVMs, vor allem weil die Verweisung auf die in § 87b Abs. 2 S. 1 bis 3 SGB V aufgeführten Anforderungen durch die Voranstellung des Wortes „insbesondere“ nicht abschließend ist und daher der KBV eine weitreichende Befugnis zukommt, die Regionalisierung der Honorarverteilung durch detaillierte Vorgaben zu vereinheitlichen. Die KBV ist dieser Aufgaben erstmals am 15.12.2011 nachgekommen.[51] KV Diese Vorgaben wurden seit dem jedes Jahr aktualisiert. Inhaltlich ist das Benehmen mit dem Spitzenverband Bund herzustellen.[52]
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Die Vorgaben sind keine kollektivvertraglichen Vereinbarungen und beruhen mangels Rechtsgrundlage auch nicht auf einem Weisungsrecht der KBV gegenüber ihren Mitglieds-KV. Sie hätten daher dem Grunde nach nur Empfehlungscharakter. Deshalb ordnet § 87b Abs. 4 S. 3 SGB V ihre Verbindlichkeit für die KV an. Da der KBV auch keine Sanktionsmöglichkeit zur Verfügung steht, blieb die anfängliche Nichtumsetzung durch einige KV folgenlos. Deren Mitglieder können allerdings inzident die Rechtswidrigkeit des jeweiligen HVM rügen, wenn die zwingenden Vorgaben nicht umgesetzt worden sind.
6. Normenhierarchie
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Unterhalb der gesetzlichen Vorschriften ergibt sich aus der Systematik der auf Bundesebene bzw. auf Landesebene zu treffenden Vereinbarungen mit Normwirkung folgende Rangfolge:
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Zunächst beanspruchen die Richtlinien des G-BA allgemeine Gültigkeit für die gesamte vertragsärztliche Versorgung.[53] Sie sind Bestandteil der Bundesmantelverträge, welche wiederum den allgemeinen Inhalt aller Gesamtverträge vorgeben. In den Gesamtverträgen werden die regionalen Besonderheiten mit verbindlicher Wirkung gegenüber den der vertragsschließenden KV angehörenden Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten und MVZ geregelt. Die Satzungen dieser KV enthalten gem. § 81 Abs. 3 SGB V Bestimmungen, mit denen die Verbindlichkeit der Vereinbarungen auf Bundesebene und der Richtlinien des G-BA im Verhältnis zu den Mitgliedern der KV hergestellt wird.[54] In der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V und in der besonderen Versorgung nach § 140b SGB V kann von den Richtlinien abgewichen werden, wobei die Richtlinien zur Qualitätssicherung als Mindeststandard zu übernehmen sind.
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Der Leistungserbringer (Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeut) wird per Verwaltungsakt (Zulassung) Mitglied der KV bzw. KZV seines Bezirks und untersteht damit deren Satzungshoheit, über die die Verbindlichkeit der vertraglichen Regelungen und Richtlinien hergestellt ist. Ergänzend ordnet § 95 Abs. 3 S. 3 SGB V die Verbindlichkeit der untergesetzlichen Vorschriften an. Besondere Bedeutung hat diese für die ermächtigten Ärzte insoweit gleich lautende Vorschrift des § 95 Abs. 4 S. 2 SGB V, weil die ermächtigten Ärzte nicht Mitglied der KV werden.[55]
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Die Richtlinien der KBV/KZBV nach § 75 Abs. 7 und 7a SGB V zählen zum autonomen Satzungsrecht dieser Körperschaften und entfalten daher nur Verbindlichkeit gegenüber den ihrer Satzungsgewalt unterworfenen Mitglieds-KV/KZV.[56] Über diese Zwischenstufe wirken die Richtlinien aber auch gegenüber den diesen angehörenden Vertragsärzten, weil diese im Rahmen der Normenhierarchie Anspruch auf Einhaltung übergeordneten Rechts haben. Zusätzlich haben die KV/KZV nach § 81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V über ihre Satzungen die Verbindlichkeit herzustellen. Das gilt nicht für die nach §§ 106 Abs. 2b, 106a Abs. 6 SGB V vereinbarten Richtlinien, die auch nicht Bestandteile der Bundesmantelverträge sind. Diese binden unmittelbar nur die Partner der Vereinbarung und mittelbar deren Mitgliedskörperschaften.
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Gibt es einen Widerspruch im Regelungsgefüge, haben bundeseinheitliche Regelungsvorgaben grundsätzlich Vorrang gegenüber Regelungskompetenzen auf Landesebene. Dieses Problem tritt z.B. auf, wenn die auf Basis der Aufgabenzuweisungen in den §§ 85 ff. SGB V vom Bewertungsausschuss getroffenen Regelungen auf Landesebene in den Honorarverteilungsregelungen der KV nicht deckungsgleich umgesetzt werden.[57]
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Die Selektivverträge im Rahmen der neuen Versorgungsformen binden dagegen nur die in den Vertrag einbezogenen Vertragspartner untereinander. Inwieweit innerhalb des Vertragssystems die gesetzlichen Vorgaben und die