Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
gewesen.[96] Vom 1.7.2004 bis zum Jahr 2011 musste der HVM zwischen KV/KZV und den Landesverbänden der Krankenkassen und Verbänden der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich vereinbart werden (§ 85 Abs. 4 S. 2 SGB V i.d.F. des GMG).
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An die Stelle der früheren, einseitigen Festsetzung des HVM als Satzung, war ein zweiseitiger, Normsetzungsvertrag getreten, der keiner satzungsrechtlichen Umsetzung mehr bedurfte.[97] Das Vereinbarungserfordernis bezog sich aber nur auf die eigentlichen Regelungen der Honorarverteilung. Die Regelungskompetenz der KV bezüglich des formalen Abrechnungsverfahrens mit den Vertragsärzten war davon nicht erfasst und konnte somit weiterhin durch Satzung oder Verwaltungsanweisung geregelt werden.[98] Auch während der Geltung der Regelleistungsvolumina waren satzungsrechtliche Regelungen des Abrechnungsverfahrens notwendig.
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Mit dem GKV-VStG wurden die §§ 85 Abs. 4 und 87b Abs. 1 SGB V dahingehend geändert, dass auch die eigentlichen Honorarverteilungsregelungen seit dem Jahrgang 2012 wieder als Satzungen zu erlassen sind, für die das Benehmen der Krankenkassen herzustellen ist. Die Beschlüsse des Bewertungsausschusses galten nach § 87b Abs. 1 S. 3 SGB V nur noch bis zur Entscheidung der KV über einen HVM fort. Diese Kompetenzverlagerung ermöglicht schnellere Änderungs- und Reaktionsmöglichkeiten der KV, wenn Verwerfungen im Honorargefüge erkannt werden.[99] Allerdings bleibt der Gestaltungsspielraum der KV weiterhin eingeschränkt, weil jetzt die Vorgaben der KBV nach § 87b Abs. 4 SGB V zu beachten sind.
b) Vereinbarungen nach § 84 SGB V
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§ 84 SGB V verpflichtet die KV und die Krankenkassen auf Landesebene anstelle der früheren starren Budgets differenzierte Arznei- und Heilmittelvereinbarungen abzuschließen, in der ein Ausgabenvolumen für die von den Vertragsärzten insgesamt veranlassten Leistungen, Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele (Zielvereinbarungen) und Sofortmaßnahmen zur Einhaltung der vereinbarten Ausgabenvolumen vereinbart werden (Abs. 1–4). Ferner sind die Folgen der Über- oder Unterschreitung der vereinbarten Ziele festzulegen. Die Inhalte der Arzneimittelvereinbarungen haben sich nach den Rahmenvorgaben zu richten, die zwischen der KBV und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen vereinbart werden (Abs. 7). Ergänzend dazu vereinbaren die Vertragspartner Richtgrößen für die je Arzt verordneten Arznei-, Verband- (Abs. 6) und Heilmittel (Abs. 8). Überschreitungen der Richtgrößen lösen Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 106 Abs. 5a SGB V aus (ausführlich hierzu siehe Rn. 1071 ff.). Abweichend und ergänzend über die gesetzliche Vorgabe hinausgehend können die Krankenkassen direkte Vereinbarungen mit den Ärzten treffen, § 84 Abs. 1 S. 5 SGB V.
c) Prüfvereinbarung
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Nach § 106 Abs. 1 S. 2, 106a Abs. 4 SGB V sind Inhalt und Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei ärztlichen Leistungen, ferner nach § 106b Abs. 1 SGB V die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen einschließlich jeweils Maßnahmen wegen Unwirtschaftlichkeit zwischen den KV und den Landesverbänden der Krankenkassen bzw. Verbänden der Ersatzkassen einheitlich zu vereinbaren. In einer weiteren Vereinbarung sind nach § 106d Abs. 5 SGB V Inhalt und Durchführung der Abrechnungsprüfungen einschließlich Maßnahmen für den Fall von Verstößen gegen Abrechnungsbestimmungen und einer Überschreitung der Zeitrahmen niederzulegen. Die von KBV und den Spitzenverbänden der Krankenkassen nach § 106 Abs. 3 SGB V vereinbarten Rahmenempfehlungen zu den Prüfanlässen nach § 106a Abs. 2 SGB V, die Rahmenvorgaben für die Prüfung der Verordnungen und die nach § 106d Abs. 6 SGB V vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen sind Bestandteile der jeweiligen Vereinbarung (siehe auch Rn. 1030 ff. und 1080 ff.).
4. Selektivverträge
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Als Selektivvertrag bezeichnet man einen Vertrag zwischen ausgewählten Vertragspartnern in Abgrenzung zum Kollektivvertrag, der alle Beteiligte im Versorgungssystem erfasst. Oft werden dafür die synonymen Begriffe „Direktvertrag“ oder „Einzelvertrag“ verwendet. Die Möglichkeiten zum Abschluss von Selektivverträgen, abweichend von den kollektivvertraglichen Regelungen, wurden erst lange nach Einführung des SGB V geschaffen. Den wieder abgeschafften Strukturverträgen (§ 73a SGB V i.d.F. 2. GKV-NOG) folgten die integrierte Versorgung (§§ 140a ff. SGB V) im GKV-GRG und die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b SGB V) und die Einzelverträge mit besonderem Versorgungsauftrag (§ 73c SGB V) im GKV-GMG. Selektivvertragliche Versorgungssysteme könnten bei zunehmender Ausweitung der davon umfassten Versorgungsbereiche wegen des Übergangs des Sicherstellungsauftrages an die Krankenkassen nebst entsprechender Bereinigung der Gesamtvergütung mit Verlust der entsprechenden Verwaltungskostenbeiträge zur Aushöhlung der KV führen.[100]
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Kennzeichen der Selektivverträge sind die Freiwilligkeit der Teilnahme von Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten, und weitgehende Vertragsfreiheit bei der Ausgestaltung ohne Verbindlichkeit der für die vertragsärztliche Versorgung vorgegebenen Strukturen.[101]
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Der Gesetzgeber hat die integrierte Versorgung und die einzelvertraglichen besonderen Versorgungsaufträge mittels dem GKV-VSG ab dem Jahr 2015 unter der Überschrift „Besondere Versorgung“ in einem neu gefassten § 140a SGB V zusammengefasst (siehe dazu auch Kap. 9). §§ 73a und 73c SGB V wurden aufgehoben. Innovative Projekte werden seitdem vom G-BA nach § 92a SGB V finanziell aus einem „Innovationsfond“ gefördert, für den der G-BA nach § 92b SGB V einen Innovationsausschuss eingerichtet hat, der die Förderkriterien bekanntmacht und über die Vergabe der Mittel entscheidet, siehe dazu Rn. 81.
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Hinweis
Die auf Basis von §§ 73a, 73c und 140a SGB V a.F. abgeschlossenen Verträge gelten nach § 140a Abs. 1 S. 3 SGB V fort. Da die Voraussetzungen für den Abschluss von Einzelverträgen in § 140a SGB V n.F. gelockert und der Gestaltungsspieltraum der Krankenkassen erweitert wurde, sollen die vereinfachten Regelungen ab dem Inkrafttreten des GKV-VSG auch für die bestehenden Verträge gelten.[102]
a) Hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b SGB V
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Die Gesamtverträge mussten nach alter Rechtslage das Nähere über den Inhalt der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) und deren tatsächliche und personelle Ausstattung regeln. Der durch das GKV-WSG neu gefasste § 73b SGB V sieht eine obligatorische Mitwirkung der KV an der HzV nicht mehr vor. Die Krankenkassen haben ihren Versicherten nach § 73b Abs. 1 SGB V anstelle der Regelversorgung flächendeckend eine besondere hausärztliche Versorgung, welche neben den in § 73b Abs. 1 S. 2 SGB V aufgezählten Bestandteilen die zusätzlichen vier in § 73b Abs. 2 SGB V aufgezählten Anforderungen erfüllt, anzubieten. Diese Verträge sind Normsetzungsverträge, die den vertragsarztrechtlichen Status der anderen nicht an der HzV teilnehmenden Arztgruppen nicht beeinträchtigen.[103] Die Teilnahme der Versicherten ist freiwillig. Hinsichtlich ihrer eingeschriebenen Mitglieder übernehmen die Krankenkassen den Sicherstellungsauftrag. Folglich ist die Notwendigkeit inhaltlicher Vereinbarungen im Gesamtvertrag entfallen. Da aber nach § 73b Abs. 7 SGB V die Gesamtvergütungen um die auf die Krankenkassen übergegangenen Leistungsanteile bereinigt werden müssen, bedarf es trotzdem einer gesamtvertraglichen Vereinbarung entsprechender Bereinigungsverfahren (vgl. Rn. 239 und Rn. 857).[104] Die Krankenkassen können den der