Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Alle Vereinbarungen der Kollektivvertragspartner, die Vergütungen zum Inhalt haben, sind nach § 71 Abs. 4 SGB V den zuständigen Aufsichtsbehörden vorzulegen, welche ein Beanstandungsrecht innerhalb von zwei Monaten haben. Dadurch soll u.a. die Einhaltung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität überwacht werden können.
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Die vertraglichen Vereinbarungen können ihre normative Wirkung gegenüber den am Vertragsschluss nicht unmittelbar Beteiligten nur durch öffentliche Bekanntgabe erlangen.[146] Hierfür gelten die in den Satzungen der KV und Krankenkassen festgelegten Bekanntmachungsverfahren.[147] Nach Meinung des LSG Bayern[148] gelten die Satzungsbestimmung der KV nicht für die Bekanntmachung gesamtvertraglicher Vereinbarungen.[149] Wie diese bekannt zu machen sind, bleibt offenbar den Vertragspartnern überlassen. Ein Rundschreiben ohne Beifügung der maßgeblichen Richtgrößenvereinbarung, das auf die Internetseite und Hotline der KV Bayern für weitere Informationen verwies, hat das BSG in der Revision als rechtsstaatlich ausreichend angesehen.[150] Diese „verkürzte“ Bekanntmachungsform mag für Strukturverträge ausreichen,[151] weil deren Teilnahme auf freiwilliger Basis erfolgt und es daher dem interessierten Arzt zumutbar ist, sich vorab zu informieren. Bei allgemeinverbindlichen Verträgen, die wie die früheren Richtgrößenvereinbarungen, zu grundrechtsrelevanten und existenzbedrohenden Maßnahmen der Prüfungsgremien führen können, muss der betroffene Vertragsarzt frühzeitig und umfassend über deren Inhalt und Tragweite informiert werden. Daher ist entgegen dem BSG die Bekanntmachung des Volltextes der Norm erforderlich.[152] Die fehlende Unterzeichnung der bekanntgemachten Norm steht deren wirksamer Bekanntmachung nicht entgegen, wenn sie mit der später unterzeichneten Version übereinstimmt.[153]
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Abweichend von den vorstehenden Ausführungen handelt es sich bei den Vereinbarungen mit dem Verband der privaten Krankenversicherer nach § 75 Abs. 3b SGB V hinsichtlich der Vergütungen im Standard- bzw. Basistarif zwar um öffentlich-rechtliche Verträge, weil sie von dem auf freiwilliger Basis gebildeten PKV-Verband als beliehener Unternehmer kraft hoheitlicher Befugnis abgeschlossen werden.[154] Andererseits fehlen die für die Normwirkung der Verträge erforderlichen Transformationsmechanismen, weil der Verband der privaten Krankenversicherer keine öffentlich-rechtliche Körperschaft, sondern ein eingetragener Verein[155] ist und eine Verpflichtung zur Mitgliedschaft im Verband gesetzlich nicht vorgesehen ist.
8. Kapitel Vertragsarztrecht › D. Rechtsgrundlagen des Vertragsarztrechts › III. Schiedswesen
III. Schiedswesen
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Das in § 89 SGB V geregelte Schiedsverfahren vor dem Schiedsamt wurde mit dem TSVG komplett überarbeitet. Anlass war die Schaffung eines neuen sektorenübergreifenden Schiedsgremiums in § 89a SGB V, mit dem der Gesetzgeber die Konfliktlösungsinstrumente für den dreiseitigen Bereich zwischen Ärzteschaft, Krankenkassen und Krankenhäuser voranbringen will.[156] Die für die Vertragssysteme außerhalb der engeren vertragsärztlichen Versorgung eingerichteten Schiedsstellen und die Schiedspersonen nach §§ 39a Abs. 1 S. 11, 73b Abs. 4a SGB V blieben inhaltlich von der Neufassung des § 89 SGB V durch das TSVG unberührt. Die Besetzung der verschiedenen „Schiedsinstitutionen“ durch Vertreter der Streitbeteiligten, wie auch die Möglichkeiten der Mitwirkung an der Auswahl der unabhängigen Vertreter, steht offensichtlich der naheliegenden Schaffung eines zentralen Schiedsgremiums für alle Fragen der gesetzlichen Krankenversicherung entgegen.
1. Die Funktion des Schiedswesens
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Nach §§ 89 Abs. 3 S. 1 bzw. 89a Abs. 4 S. 2 SGB V setzen Schiedsämter, wie auch sektorenübergreifende Schiedsgremien den Vertragsinhalt fest, wenn gesetzlich vorgeschriebene Verträge ganz oder teilweise nicht zustande kommen. Das Schiedswesen dient der Streitschlichtung, wenn sich die Vertragsparteien nicht einigen können. Der Gesetzgeber will damit vertragslose Zustände vermeiden.[157] Dies ist die Konsequenz, wenn er auf gesetzliche Regelungen verzichtet und die Ausgestaltung der vertragsärztlichen Versorgung der Selbstverwaltung überlässt.[158]
a) Die Schiedsämter
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§ 89 Abs. 3 S. 1 SGB V eröffnet die Zuständigkeit der Schiedsämter für alle Verträge über die vertragsärztliche Versorgung und greift damit die in § 72 Abs. 2 SGB V normierte Verpflichtung, die vertragsärztliche Versorgung durch schriftliche Verträge der KV mit den Verbänden der Krankenkassen zu regeln, auf. Eine enumerative Aufzählung dieser Verträge enthält die Vorschrift nicht. Welche Verträge schiedsamtsfähig sind, muss daher aus dem Gesamtzusammenhang entschieden werden.[159] Schiedsamtsfähig sind alle Verträge, zu deren Abschluss die Vertragspartner nach dem SGB V verpflichtet sind.[160] Das sind in erster Linie die Gesamtverträge und die Bundesmantelverträge mit allen gesondert zu vereinbarenden Bestandteilen, ebenso die Budget- und Richtgrößenvereinbarungen nach § 84 SGB V und die Prüfungsvereinbarungen nach § 106 Abs. 1 S. 2 SGB V.[161] Bei Verträgen, zu deren Abschluss die Parteien gesetzlich nicht verpflichtet sind, ist im Rahmen der den Parteien zukommenden Gestaltungsfreiheit eine freiwillige Unterwerfung unter einen Schiedsspruch möglich.[162]
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Für die einheitlichen Bewertungsmaßstäbe sieht § 87 Abs. 4 SGB V im Falle der Nichteinigung die Einberufung des Erweiterten Bewertungsausschusses vor, weshalb hier eine Zuständigkeit des Schiedsamtes nicht gegeben ist. Hinsichtlich der Richtlinien des G-BA, die Bestandteil der Bundesmantelverträge sind, sieht § 94 Abs. 1 SGB V eine vorrangige Beanstandungs- und Ersetzungsbefugnis des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung vor.[163]
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Eine Zuständigkeit der Schiedsämter ist auch für die freiwilligen Versorgungsverträge, die direkt zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern vereinbart werden, nicht gegeben.[164] Diese besonderen Versorgungsformen gehören nicht zur vertragsärztlichen Versorgung. Auch sind die Leistungserbringer nicht an der Besetzung der Schiedsämter beteiligt, weshalb die Bindungswirkung einer Vertragsfestsetzung durch die Schiedsämter nicht gegeben wäre. Davon zu unterscheiden ist das konfliktreiche Verfahren um die Bereinigung der Gesamtvergütung um den Behandlungsbedarf aus dem besonderen Versorgungsvertrag, z.B. § 73b Abs. 7 SGB V. Dieser Streit betrifft den Abschluss der Gesamtvergütungsvereinbarung nach § 87a Abs. 3 SGB V und ist daher schiedsfähig.[165]
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§ 89 SGB V unterscheidet zwischen Landes- und Bundesschiedsämtern. Es gibt sie auf Bundesebene, jeweils getrennt für die vertragsärztliche und für die vertragszahnärztliche Versorgung und ebenfalls getrennt nach Versorgungsbereichen in jedem Bundesland. Für die auf Bundesebene abzuschließenden Verträge bilden die KBV bzw. KZBV und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach § 89 Abs. 2 SGB V ein Bundesschiedsamt. In den Zuständigkeitsbereichen der regionalen KV bzw. KZV wird jeweils mit den Landesverbänden der Krankenkassen nach § 89 Abs. 1 SGB V ein Landesschiedsamt gebildet.
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Für die nach § 88 SGB V zu schließenden Verträge über die zahntechnischen Leistungen und deren Höchstpreise bilden nach § 89 Abs. 12 SGB V der Spitzenverband Bund mit dem Verband Deutscher Zahntechnikerinnungen ein Bundesschiedsamt.