Wunder. Kurt Erlemann

Wunder - Kurt Erlemann


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Diese Argumentation stellt die rationale Beweisführung auf den Kopf: Nicht entscheidet das leere Grab über die Wahrheit des Osterglaubens, sondern umgekehrt begründet die historisch plausible Erfahrung der Osterzeugen den Osterglauben und die Rede vom leeren Grab!

      2.4.3 Konsequenzen für den Wunderglauben

      Die beschriebenen Begegnungen begründen den nachösterlichen Christus- und Wunderglauben. Dieser besteht im Kern aus folgenden Erkenntnissen:

      a) Jesus war der Gottessohn!

      Jesus erfüllte durch sein charismatisches Auftreten die messianischen Hoffnungen seiner Zeit, daher musste er der angekündigte davidische Messias sein! Jesus war, so die Erinnerung der Evangelien, Gott nah wie kein anderer, hatte göttliche Vollmacht, verkündigte authentisch den Gott Israels und dessen nahe basileía, brachte umfassende Hoffnung und starb einen für die Menschen heilbringenden Tod. Aus diesem wurde er von Gott erweckt und zu seiner Rechten erhöht.

      b) Jesus hatte Schöpfervollmacht!

      Als Gottes Sohn hatte Jesus göttliche Schöpfervollmacht. Seine Verkündigung war inspiriert und autorisiert; er war der einzig legitime Exeget Gottes (so Joh 1,18). Seine Toraauslegung und sein Umgang mit Menschen waren autoritativ und richtungsweisend. Die Schöpfervollmacht befähigte Jesus zu machtvollen Wunderzeichen. Sie zeigten punktuell Gottes Willen und Herrschaft, in ihnen manifestierte sich die Vision eines Lebens in Fülle. Die Historizität der Wundertaten kann nicht, muss aber auch nicht bewiesen werden. An ihnen hängt nicht die Glaubwürdigkeit des Ganzen, sondern umgekehrt gilt: Wer die Glaubenserfahrungen der ersten Jüngerinnen und Jünger teilen kann, der hält auch Wunder für möglich!

      2.4.4 Fazit: Von Begegnungen zum Glauben

      Der plausible historische Haftgrund für den nachösterlichen Christus- und Wunderglauben liegt in Begegnungen und Erfahrungen der Menschen mit dem umfassenden Charisma Jesu und mit seiner selbst nach Ostern noch leibhaftig spürbaren Präsenz.1 Die Erinnerungen der Evangelien vermitteln ein historisch kohärentes und glaubwürdiges Bild, auch wenn manche Details nachösterlicher Stilisierung geschuldet sein mögen.2 Ohne die Begegnungen mit Jesus und seinem Charisma, ohne die Erfahrung der Emmausjünger ist die christliche Glaubensgeschichte nicht schlüssig zu erklären. Ob man das in den Wundertexten Erzählte für historisch möglich hält oder nicht, entscheidet sich einzig und allein daran, ob man sich die Ersterfahrungen der Jüngerinnen und Jünger zueigen macht oder nicht. Welche Wunder historisch sind und welche nicht, ist letztlich unerheblich.

      2.5 Zwischen Glauben und Ablehnung

      Die Wundertexte verweisen auf ein historisches Geschehen (faktualer Charakter → 1.7.10). Selbst Gegner und Skeptiker Jesu und der Apostel konzedieren das wunderhafte Geschehen. Umstritten ist die Frage der Kraftquelle, der Vollmacht. In ihr sehen die Evangelien den Grund für die Ablehnung und Tötung Jesu.

      2.5.1 Die polarisierende Wirkung der Wunder

      Die in den Wundertexten geschilderten Reaktionen sind gegensätzlich: Die einen wundern sich, kommen zum Staunen, preisen Gott und folgen Jesus nach1, die anderen sind erschrocken oder entsetzt2, sprechen Jesus die Vollmacht ab und beschließen seinen Tod. Einige Erzählungen enden ohne erkennbare Reaktion.3

      Beispiele: Augenzeugen wollen nach dem Speisungswunder Jesus zum König küren (Joh 6,15). Die Sturmstillung löst bei den Jüngern (Gottes-)Furcht aus (Mk 4,35–42parr.). Beim Seewandel halten sie Jesus für ein Gespenst und verstehen nichts (Mk 6,45–52). Aus Furcht vor der Präsenz des Göttlichen bitten die Gerasener Jesus, ihr Land zu verlassen (Mk 5,16f.; vgl. Petrus in Lk 5,8). Bartimäus folgt Jesus nach (Mk 10,46–52). Die Heilung der verdorrten Hand (Mk 3,1–6parr.) führt zum Tötungsbeschluss gegen Jesus.

      Mitunter prallen positive und negative Reaktionen auf die Wunder Jesu auch direkt aufeinander. Hier wird die polarisierende Wirkung besonders deutlich.

      Beispiele: Der geheilte Blindgeborene kommt zum Glauben, die Pharisäer lehnen Jesus ab (Joh 9). Die Erweckung des Lazarus weckt Glauben und provoziert zugleich den Tötungsbeschluss gegen Jesus (Joh 11f.). Ein Exorzismus führt zur Christuserkenntnis und zur Vollmachtsfrage (Mt 12,22–30parr.)

      Wunder führen die einen zum Glauben, für andere ist Jesu Vollmacht suspekt (Mt 9,34; Mk 3,22.30); Die Pharisäer unterdrücken offene Bekenntnisse des Volkes.4 Wunder provozieren, sich für oder gegen Jesus zu positionieren. Die Evangelien geben regelmäßig niedrige Beweggründe als Grund der Ablehnung Jesu an.

      2.5.2 Vollmachtsfrage und Zeichenforderungen

      Paradigmatisch wird die Vollmachtsfrage im Anschluss an den Exorzismus eines Taubstummen gestellt (Mt 12,22–30parr.). Den aufkeimenden Glauben der Augenzeugen torpedieren die Pharisäer mit der Behauptung, Jesus treibe Dämonen „durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen“ aus (V. 24). Im anschließenden Streitgespräch widerlegt Jesus die Pharisäer mit einem Weisheitsgleichnis, entlarvt ihren Selbstwiderspruch (V. 25–29) und nennt den Geist Gottes als seine Kraftquelle. Jesu göttliche Vollmacht zeigt sich im Exorzismus und in seiner autoritativen Argumentation. – Die Gegner fordern daraufhin ein legitimierendes Zeichen (gr. semeíon, Mt 12,38), sprich: die sichtbare Legitimierung seiner Vollmacht. Jesus lehnt dies ab.1 Einzig das ‚Zeichen des Jona‘, das heißt seine Auferstehung nach drei Tagen, gesteht er zu (Mt 12,39–41). – Die Perikope unterstreicht: Bei den Wundern Jesu geht es nicht um Beweiskraft, sondern um Glauben.

      Schon in der Begegnung mit Satan in der Wüste (Mt 4,1–11parr.) entscheidet sich Jesus gegen Allmachtsdemonstrationen. Damit wird von vornherein deutlich gemacht: Jesus geht den Weg des Machtverzichts; er folgt nicht der Strategie des Bösen, sondern dem Ersten Gebot. Wer ihn von diesem Weg abzubringen versucht wie Petrus, wird als Satan gegeißelt (Mk 8,32f.). Jesus verzichtet, so die Texte, bis zum Schluss auf Machtdemonstrationen (Mk 15,30–32parr.). Das bringt den röm. Soldaten unter dem Kreuz zum Christusbekenntnis (Mk 15,39parr.).

      Mit den Zeichenforderungen verarbeiten die Evangelien das Problem der Verwechselbarkeit Jesu und seiner Wundertaten. Ihre Lösung lautet: Wunder sind Provokationen zum Glauben und Wegmarken, an denen sich die Spreu vom Weizen trennt. Die Wunder haben eine eschatologisch-kritische Funktion. Allgemein sichtbar wird ihre Wahrheit erst bei der Parusie Christi, so die Überzeugung.2

      2.5.3 Das Problem der Schweigegebote

      Die Schweigegebote vornehmlich am Ende mk. Wundertexte1 dienen ebenfalls dem Zweck eschatologischer Scheidung zwischen glaubenden Insidern und nicht-glaubenden Outsidern. Vergleichbar der ‚Parabeltheorie‘ Mk 4,10–13parr., bleibt die Erkenntnis über Jesus und die basileía Gottes so lange wie möglich den Jüngern (vgl. Mk 8,27–30parr.!) und Geheilten vorbehalten.2 Das deutet auf einen esoterischen Grundzug der mk. Christologie hin.3 Auch das erklärt die Ablehnung Jesu und ist zugleich ein Appell an die Leserschaft, sich auf die Seite der Insider zu schlagen, um Zugang zu Gottes Heil zu bekommen (symbuleutische Funktion). Die Gegner Jesu fungieren in den Wundertexten als Negativvorbilder.

      Exkurs: Die mk. Schweigegebote werden, davon abweichend, traditionell dem sogenannten Messiasgeheimnis zugeordnet. Diesem Konzept zufolge sollen sie einem Missverständnis der Wundertaten als Beweisen der Messianität Jesu vorbeugen und den Blick auf das Ostergeschehen als Schlüssel zum Wunderverständnis lenken (Mk 9,9). Implizit kritisierten sie einen oberflächlichen Mirakelglauben.4 Die Schweigegebote und deren sporadische Durchbrechung5 erklären auch das Schicksal Jesu bis ans Kreuz, so das Konzept (→ 4.4.1).

      Hintergrund der Überlegungen ist eine Zweistufenchristologie: Jesus wirkte auf Erden weithin unerkannt und wird bei seiner Parusie von allen erkannt werden. Das erklärt historisch Jesu Schicksal und passt theologisch zur Beobachtung, dass sein Wirken (wie überhaupt das Wirken Gottes in der Welt) Glauben provozieren sollte. Jesu Unverwechselbarkeit bei der Parusie markiert das Ende der Möglichkeit,


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