Wunder. Kurt Erlemann

Wunder - Kurt Erlemann


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ebenso wie Speichelbrei (Mk 8,22–26; Joh 9,6). – Das Christusbekenntnis von Dämonen (Mk 1,24; 5,7) diskreditiert Jesus als satanischen Magier (Mk 3,22–27; vgl. Euseb von Cäsarea, DemEv 3,103–134). – Jesus und Magier exorzieren gleichermaßen.2 – Schweigegebote nach Heilungen ähneln Verstummungsbefehlen in Zauberpapyri.

      Jesu Erfolg belegt für die Evangelisten seine göttliche Vollmacht. Die Wahl der Wundermittel ist nicht entscheidend. Magisch anmutende Praktiken bringen Jesus und anderen Wundertätern wie Pythagoras, Empedokles und Apollonius von Tyana den Vorwurf der Magie ein.3 Selbst manche Wunderforscher etikettieren Jesus als Magier.4 – Magie und göttlich gewirkte Wundertaten sind schwer unterscheidbar; satanische Mächte konnten göttliche Wunder imitieren und führten Menschen damit in die Irre.5 Matthäus reduziert daher magisch wirkende Praktiken Jesu. Apg 8 distanziert die Apostel scharf von (gewinnsüchtigen) Magiern.6 – Gegen die Identifizierung Jesu als Magier sprechen das Fehlen magischer Fachliteratur und von Schadenzaubern sowie das Argument, dass Jesu Wundertaten nicht seinem Broterwerb dienen (→ 1.7.3).7

      b) Schamanische Deutung Jesu

      Empedokles, Epimenides und Pythagoras gelten in der Forschung als Schamanen. Charakteristisch seien die Kontaktaufnahme mit Göttern und mit Geistern Verstorbener sowie Jenseitsreisen. Für Eugen Drewermann löste der Schamane Jesus psychische Probleme dadurch, dass er mit Gottes Hilfe die psychosomatische Harmonie wiederherstellte. Dieses Deutungsmuster erlaubt es, manche Wundertaten Jesu psychologisch-rational zu erklären. Allerdings lassen die Wundertexte selbst keine schamanischen Praktiken erkennen (→ 1.7.4).

      2.3.5 Fazit: Die Außenwahrnehmung Jesu

      Der Durchgang zeigt die Bandbreite der möglichen Außenwahrnehmungen Jesu. Sie bewegt sich zwischen atl.-frühjüdischer Wunderprophetie und hell.-röm. Wunderphänomenen, Magie und Zauberei. Keine dieser ‚Schubladen‘ ist passgenau. Historisch am plausibelsten ist Jesu Verortung bei den frühjüdischen Wunderpropheten. Von ihnen unterscheidet sich Jesus nur durch die Einbindung der Wunder in seine basileía-Botschaft. – Anders als die kanonischen rücken apokryphe Wundertexte Jesus in die Nähe antiker Halbgötter und Heroen.

      2.4 Genese des Christusglaubens

      Die Wunder Jesu sind historisch nicht beweisbar. Die Evangelien sind keine Tatsachenberichte, sondern stellen die Bedeutung Jesu mithilfe authentischer Erinnerungen und passender sprachlicher Mittel heraus. Fakt und Fiktion sind nicht zu trennen. Klar erkennbar ist lediglich der Christusglaube der Evangelisten. Als dessen historisch plausible Grundlage sind freilich reale Erfahrungen und Begegnungen mit Jesus anzunehmen. Diese setzten nicht nur den den Christusglauben, sondern auch die Bildung christlicher Gemeinschaft und die Verschriftlichung der Jesuserinnerung in Gang.1 Anders gesagt: Der Wunderglaube ist die kausale Folge historisch plausibler Ursachen, die im Folgenden entfaltet werden.2

      2.4.1 Das Charisma des erinnerten Jesus

      Der Weg in die Jüngerschaft mit allen sozialen Konsequenzen setzt eine Erfahrung voraus, die so überzeugend, einschneidend und nachhaltig war, dass der neue Glaube selbst mit Jesu Tod nicht abriss, sondern weiterlebte und zu einer Weltreligion wurde. Diese Erfahrung hat mit dem überwältigenden Charisma Jesu zu tun.

      a) Überzeugende Erstbegegnungen

      Jesus, so die Texte, begeistert viele Menschen mit seiner basileía-Botschaft. Er transportiert eine essenzielle Hoffnung, ist authentisch, deckt seine Botschaft durch seine Persönlichkeit und seinen Lebensstil ab. Mitreißende Überzeugungskraft, überzeugende Vision, persönliche Integrität, wertschätzender, aber auch autoritativer Führungsstil, Konfliktbereitschaft, Durchsetzungskraft und konsequente Parteinahme für die ‚Verlorenen‘ zeichnen sein Charisma aus.

      b) Eine faszinierende Vision

      Jesu Vision gründet im Glauben an den Gott Israels, der sogar unumstößlich scheinende natürliche, soziale und religiös-moralische Ordnungen auf den Kopf stellen kann (Magnificat, Lk 1,46–55). Er wird in Kürze eine Herrschaft des Friedens und umfassender Gerechtigkeit aufrichten, so die Botschaft. Diese Ansage deckt Jesus durch seinen integren, authentischen Lebensstil und durch wunderhafte Zeichen ab. Jesus, so die Texte, ist absolut unbestechlich. Gesellschaftliches Renommée und politische Macht bedeuten ihm nichts. Stattdessen orientiert er sich konsequent am Ersten Gebot (vgl. Mt 4,1–11parr.: Versuchung Jesu).

      c) Konsequente Lebenshingabe

      Jesus verzichtet auf äußeren Ruhm und vitale Interessen wie finanzielle Sicherheit, ein Dach über dem Kopf und Partnerschaft. Er stellt sein Leben in den Dienst der Notleidenden und Randständigen, deren Not sein Erbarmen auslöst. Mit seinen Taten setzt Jesus Zeichen der eschatologischen Zuwendung Gottes. Vorbehalte gegenüber Sündern oder Nichtjuden sind ihm fremd, ebenso Berührungsängste gegenüber Kranken und Unreinen. Toragebote deutet er im Sinne des umfassenden Liebesgebots um. Für diese Haltung scheut Jesus keinen Konflikt (Streitgespräche Mk 2f. u.a.). Lediglich zum Krafttanken im Gebet zieht er sich zurück.1 Jesu Lebenshingabe findet ihren konsequenten Abschluss im Kreuzestod. Den Texten zufolge verzichtet er auf äußeren Widerstand, widersteht selbst der letzten Versuchung (Mt 27,39–44parr.) und bleibt bis zuletzt barmherzig und vergebungsbereit (Lk 22,51; 23,34.42f.). Selbst für den röm. Hauptmann unter dem Kreuz wird er dadurch glaubwürdig (Mk 15,39parr.).

      d) Faszinierende, befreiende Lehre

      Jesus transportiert seine Botschaft ansprechend, begeisternd, überzeugend und provokant. Seine Gleichnisse öffnen Fenster zur heilvoll-befreienden Wirklichkeit Gottes und stellen traditionelle Gottesbilder, Moralvorstellungen, Verhaltensmuster und soziale Zustände auf den Kopf.1 Damit werden Jesu Vision und Gottes befreiende Nähe schlaglichtartig konkret. Dazu passt Jesu Toraauslegung. Deren Fluchtpunkt ist das Wohl des Menschen, nicht die penible Einhaltung einzelner Paragraphen. Jesus agiert in Synagogen und im Tempel. Er zeigt sich im Schlagabtausch mit seinen Gegnern als bibelfester Schriftgelehrter. Die Gegner müssen sich ein ums andere Mal geschlagen geben (vgl. Mk 12,34b).

      e) Staunen erregende (Wunder-)Taten

      Staunenswerte Wundertaten sind eine weitere, historisch plausible Facette des Charismas Jesu. Die Texte stellen ihn als exklusiven Träger des Leben schaffenden Geistes Gottes (Mk 1,9–11parr.) bzw. als inkarnierten Schöpfungs-Logos Gottes dar (Joh 1,1–18), der Menschen heilt und sogar wiedererweckt, ihnen Überfluss schenkt und Naturmächte überwindet. Man durfte von Jesus Wunder erwarten und konnte sie, in welchem Umfang auch immer, auch real erleben.

      2.4.2 Begegnungen mit dem Auferstandenen

      Jesu Tod stürzte den Jüngerkreis in eine Krise. Der Kreuzestod passte weder zur messianischen Erwartung noch zur vorösterlichen Glaubensüberzeugung. Die Diskrepanz wurde erst durch den Osterglauben überwunden. Wissenschaftlich-rationale Erklärungen wie Beweis oder Widerlegung des leeren Grabes, Grabraub-Hypothese und projektive Massenhysterie können das Ostergeschehen nicht hinreichend erklären. Dessen Wahrheit liegt auf einer anderen Ebene, ist aber historisch plausibel erklärbar. Die entscheidende Erfahrung der Osterzeugen lautet: ‚Er ist wieder da!‘ Die Emmausgeschichte Lk 24,13–35 gestaltet sie narrativ aus. Die Trauer des Jüngerkreises wandelt sich in Freude: Jesus ist wieder da – mitten in der Trauergemeinschaft! Im Vollzug des Brotbrechens erfahren die Versammelten Jesu österliche Präsenz geradezu körperlich. Sie erkennen: Der Gekreuzigte ist auferstanden und: Der Auferstandene hat eine verwandelte Leiblichkeit, die ihn physikalische Grenzen überschreiten lässt. Für den Jüngerkreis ist Jesus ‚leibhaftig‘ erlebbar und dennoch unverfügbar (Lk 24,30f.; vgl. das noli me tangere von Joh 20,17). Der ungläubige Thomas darf sich von der physischen Identität des Auferstandenen überzeugen. Ein Glaube, der ohne solches Sehen auskommt, gilt als ungleich schwieriger und wird seliggepriesen (Joh 20,24–29).

      Diese intensive Ostererfahrung


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