"Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25). Alban Rüttenauer


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mit einer genuinen Sonnenverehrung verbunden, die erst in späterer Zeit allmählich verdächtigt wurde.68 Keel unternimmt den Versuch, den Sonnenkult zu Jerusalem aus vorisraelitischern Kulttraditionen abzuleiten, die, unter ägyptischem Einfluß entstanden, in israelitischer Zeit weiter gewirkt hätten.69 So ist nicht sicher, daß die beschriebenen Riten von den Zeitgenossen überhaupt als Götzendienst wahrgenommen wurden und nicht vielmehr als gewohnte Bestandteile eines als selbstverständlich akzeptierten Gottesdienstes. Odell vermutet einen zusammenhängenden Gottesdienst, durch den die Gottheit mit Hilf- und Klagerufen angegangen werden sollte.70 Das Bild der Eifersucht wäre demnach kein Götzenbild, sondern eine Votiv-Statue mit der Darstellung eines Menschen als Ersatz für Menschenopfer gewesen, durch das die Gottheit in Zeiten schwerer Krise und Gefahr gewogen gemacht werden sollte.71 Diese ansprechende These läßt sich zwar nicht zwingend beweisen, würde sich aber gut in den allgemeinen Zusammenhang der damaligen geschichtlichen Not einreihen lassen. Zutreffend ist auf jeden Fall die einfache Beobachtung, daß der Schlußvers Ez 8,18 nicht den Götzendienst, sondern die Anrufung zurückweist:
- „Und sollten sie auch rufen …“. Einschränkend ist jedoch daran zu erinnern, daß mit dem vergeblichen Rufen zu Gott in 8,18b die akustischen Beschreibungen in Kap. 9 vorweggenommen werden und insofern nicht unbedingt eine Interpretation des Vorangegangenen bieten wollen. Ebenso zutreffend ist auch die andere Beobachtung, daß das 8,5 genannte Eifersuchtsbild einsam für sich ohne menschliche Gegenwart dasteht, und doch als anstößig empfunden wird.72 Es scheint etwas in der Weise der Kontaktsuche selbst zu sein, was Gott beleidigt. Die Suche wird durch Zuflucht zu Riten unternommen, die sich verselbständigen, Alibi-Funktion übernehmen (Opferersatz) und dadurch zuletzt zum Hindernis werden. Es handelte sich also um Teile eines Ritus, in dem Gott zwar angerufen wird, aber wie ein Verschollener (vgl. sumerische Tammuzsage), der das Land verlassen hat, und zu dem die Beziehung nur über Umwege (Sonnenverehrung) hergestellt werden kann. Ist Odells These zutreffend, würde sie auch etwas zu einer koherenten Beschreibung der Ältesten und ihrer Funktion im Ezechielbuch beitragen können. Im Exil befragen sie den Propheten, weil sie auf seine Fürbitte und Mittlerrolle hoffen, die diesem jedoch durch den „Verstummungsbefehl“ - nach der Interpretation Wilsons - von seiten Gottes untersagt wird. Am Tempel suchen sie Zuflucht zu zweifelhaften Riten, um Gottes Willen dadurch zu beeinflussen, während Gottes Herrlichkeit stattdessen, davon angewidert, sich aus dem Tempel zurückzieht. Es ergäbe sich so eine Parallelität zwischen dem Verhalten im Exil und dem in der Heimat und eine ungefähr vergleichbare Antwort Gottes darauf.

      Von der Redensart 8,12 ausgehend, die das Nicht-Sehen Gottes beklagt, ließen sich die am Tempel dargestellten Fehlverhalten als ebensoviel Weisen einer gestörten oder fehlerhaften Wahrnehmung des Volkes analysieren. Bei der Statue am Anfang sind die Menschen überhaupt abwesend, da für sie die Statue möglicherweise so etwas wie Ersatzfunktion übernehmen soll. Die Ältesten ziehen sich in Nischen zurück und handeln im Dunkeln. Die Frauen sind ganz von ihrer Trauer gefangengenommen und können schon wegen der verweinten Augen nicht mehr richtig sehen. Die Männer, die den Sonnenkult betreiben, dürften geblendet sein, während sie den Dingen, die die Sonne sie bevorzugt sehen lassen sollte, wie dem Tempel, den Rücken zukehren. Es sind also Weisen sehr beschränkter, einseitiger Wahrnehmung, die für das Ganze blind machen.73

      Dieser im achten Kapitel erfolgenden Bewegung zum Heiligtum hin, die im Wesentlichen eine Bewegung des visionär entrückten Propheten ist, entspricht in den folgenden Kap. 9 - 11 eine umgekehrt verlaufende Bewegung, die gerade vom Heiligtum ausgeht und sich von dort gleichsam wellenförmig ausbreitet. Sie tut dies in dreifacher Weise einmal als Bewegung der Zerstörung im geschauten Gericht, von der das 9. Kapitel erzählt, sodann als Bewegung der Herrlichkeit Gottes, die nun wirklich, obschon freiwillig, den Tempel verläßt und auszieht, wovon das 10. Kapitel handelt. Dem schließt sich die Bewegung des Propheten gleichsam als ein drittes an, wenn er wieder zurück ins Exil versetzt wird (11,22-24). Wenn in 9,6 die Aufforderung an die geheimnisvolle Gruppe von 6 oder 7 Personen ergeht,74 die das Gericht an der Stadt mit ihrer Zerstörung vollziehen sollen:

- „und von meinem Heiligtum aus fangt an“, so wird die Schlüsselstellung des Heiligtums deutlich, von dem alle Bewegung ausströmt, so wie es eine solche erst angezogen hat.

      Die Herrlichkeit Gottes dagegen erhebt sich in 10,4 von den Keruben, um sich auf die Schwelle des Tempels niederzulassen und den Tempel selbst mit einer Wolke zu erfüllen. In 10,18 kehrt sie zu den Keruben wieder zurück, um sich in 10,19 mit ihnen zum Osttor des Tempels zu bewegen. In 11,23 wird die Beschreibung des Auszugs neu aufgegriffen, und so fortgeführt, daß sie sich nun auf den Berg im Osten der Stadt begibt. Was weiter mit ihr geschieht, wird nicht mehr ausgeführt. Nur im Zusammenhang mit der im Exil am Fluß Kebar erschienenen Gottesherrlichkeit, die in Kap. 1 ausführlich beschrieben und auf die später immer wieder zurückverwiesen wird, läßt sich vermuten, daß sie das Land dann endgültig verläßt. Einen gewissen Hinweis darauf kann man vielleicht in der an die Exulanten gerichteten Aussage in 11,16 erblicken, wo es heißt:

      - „und ich wurde ihnen zum Heiligtum beinahe“.

      Die Bewegung vom Heiligtum weg scheint noch in Kap. 12 nachzuwirken, wenn der Prophet aufgefordert wird, das auch vielen der noch in Jerusalem Verbliebenen drohende Schicksal der Verschleppung durch eine Symbolhandlung zeichenhaft vorwegzunehmen. In 12,5 ist genauso wie in 8,7-8 von dem Durchbrechen einer Wand durch ein Loch die Rede, nur eben in umgekehrter Richtung. Der Prophet soll ja das erzwungene Verlassen der Stadt Jerusalem darstellen, das dem „Fürsten“ in Jerusalem und dem „Haus Israel“ dort bevorsteht. Die Verschleppung wird als die politische Folge der Zerstörung der Stadt dargestellt, von der die vorangegangenen Kapitel erzählten. Allerdings markiert 11,24, der den Prophet ins Exil zurückkehren läßt, bereits vorher einen gewissen Einschnitt. Auch unter dem Gesichtspunkt der wechselnden Bewegungsrichtung also läßt sich eine konzentrische Struktur der Vision in Kap. 8 - 11 aufrechterhalten.

      Innerhalb dieser großen Vision, die sich nach ihrer doppelten Bewegung zum Heiligtum hin und vom Heiligtum weg beschreiben läßt, findet sich in der Einheit 8,5-18, die götzendienerisches Eindringen in Tempelnähe beschreibt, der Spruch in 8,12. Der Vers steht im zweiten Abschnitt der sich aus vier Teilen zusammensetzenden Komposition 8,5-18. Damit scheint er an nicht allzu bedeutender Stelle zu stehen, wenn man von der allgemeinen Regel ausgeht, daß innerhalb einer Steigerung der größte Akzent am Ende liegt. Doch ergibt eine genauere Beobachtung, daß der zweite Abschnitt der ungleich längste der Komposition ist, so daß V. 12 materialiter fast in die Mitte der Komposition gelangt. Sieben Verse gehen ihm voraus (VV. 5-11) und sechs folgen ihm (VV. 13-18). Da im hebräischen Strukturdenken die Mitte eine ganz entscheidende Rolle spielt, kann man auch hier davon ausgehen, daß sich gewissermaßen zwei Steigerungsprinzipien überlagern (Höhepunkt am Ende gegen Höhepunkt in der Mitte) und V. 12 eine besondere Schlüsselfunktion innehat.

       1. c) Text und Übersetzung von 8,12

      

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      12c: image - „im Finstern“ fehlt laut BHS im textus graecus originalis, erscheint aber als wichtige inhaltliche Ergänzung zur Charakterisierung


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