Скачать книгу
der Ältesten, sondern bringt einen anderen Aspekt ein, nämlich den des Geist-Empfangs, den Mose an sie weitergibt, und der mit der zeitweiligen Verleihung der Prophetengabe verbunden ist: Num 11,25: - „da weissagten sie“. Auf die Vorbehalte und Bedenken des Josua antwortet Mose in Num 11,29:
- „wenn doch das ganze Volk JHWHs zu Propheten gegeben würde, so daß JHWH seinen Geist gäbe auf sie.“
Ein Geist-Empfang wird von Ezechiel den Ältesten nicht zugesprochen. Die Ältesten benehmen sich vielmehr nicht so, wie sie nach ihm sollten. Den Geist empfängt zuerst nur Ezechiel in der Berufungsszene 2,1-2, und später empfangen ihn die toten Gebeine in 37,10. Dazwischen ergeht an das Volk die Verheißung eines neuen Geistes in 11,19 und 36,26. Es war jedoch bereits festzustellen, daß die Szene der Befragung die Ältesten bereits fast wie Prophetenschüler auftreten läßt und damit indirekt die Aufforderung anzudeuten scheint, auf Dauer wie Propheten zu werden.
Setzt man bei Ez einen bewußten Bezug auf diese Stellen voraus, dann kommt den Ältesten bei ihm eine höchst bedeutsame Funktion zu. Statt eine präzis umreißbare historische Gruppe anzuvisieren, spannt Ezechiel mit dem Ältesten-Begriff einen Bogen von der alten Tradition der Sinai-Offenbarung zur gegenwärtigen Krise des Exils. Die Menschen, an die sich Ezechiel richtet, vermögen die damit verbundene Aufgabe nicht, oder noch nicht zu erfüllen, aber es ist doch der Maßstab, an dem sie gemessen werden müssen, wenn je eine Umkehrung der Situation zum Besseren, ein zweiter Exodus möglich werden soll. Gleichzeitig ist sogar im Exil, fern der Heimat und des Tempels, eine der Sinai-Offenbarung vergleichbare Erfahrung möglich, wie Ez 11,16 zeigt, wenn Gott sich selbst als im Exil gegenwärtiges Heiligtum bezeichnet. Der Prophet will dabei genauso wenig wie Mose für sich allein bleiben, sondern hängt von der Mithilfe verständnisbereiter Mit-Propheten ab, und beurteilt die, die bei ihm in Anschluß an Num 11,29 Älteste heißen, gemäß diesem Anspruch, wie er auch in der offiziellen Sitz-Haltung zum Ausdruck kommt.86
Der Relativsatz (12c) mit den Ältesten als Subjekt ist als Nominalsatz formuliert mit dem Partizip Qa/ - „machend“. In der Vision werden die Ältesten gewissermaßen auf frischer Tat ertappt, bei dem, was sie gerade in diesem Augenblick treiben und tun. Das so völlig unbestimmt gelassene Tun weist zurück auf den vorhergehenden V. 11, in dem es näher beschrieben wurde: mit Weihrauch in den Händen erzeigen sie geritzten Götzenbildern göttliche Verehrung. Der Charakter des Ertapptseins wird gesteigert durch die adverbialen Hinzufügungen, die die Heimlichkeit des Tuns beschreiben. Es geschieht - „im Finstern“ (12c); offensichtlich, damit es nicht von andern gesehen wird. Diese Finsternis, deren Vorhandensein Gen 1,2 noch vor der Erschaffung des Lichtes einfach feststellt, wird sonst auch wie etwas behandelt, das sich mehr zufällig einstellt und so fast unausweichlichen, schicksalhaften Charakter trägt.87 Auch sonst erscheint diese Finsternis als etwas, in dem Menschen sich unfreiwillig befinden, aus dem sie befreit werden möchten. So taucht es bei Deuterojesaja in den Gottesknechtsliedern, etwa Jes 42,7 und 49,9, als Metapher für Gefängnis, bzw. gefängnisähnliche Situationen auf. Spr 2,13 unterscheiden dagegen ganz im moralischen Sinne des Zwei-Wege-Modells die „Pfade der Geradheit“ von den „Wegen der Finsternis“. Wird hier die Finsternis geradezu als Metapher für die Verwerflichkeit selbst benutzt, ist die Finsternis in Ez 8,12 doch eher etwas, das das schlechte Treiben nur begleitet. Insofern bleibt noch Ijob 24,16 die nächste Parallele, die beschreibt, wie die Bösen die „Finsternis“ aufsuchen und das Tageslicht meiden. Somit dient in Ez 8,12 ganz ähnlich wie in Ijob 24,16 die „Finsternis“ dazu, die gewollte Heimlichkeit eines schlechten Tuns zu beschreiben. Nur daß die Verfehlung der Ältesten in Ez 8,12 mehr liturgisch-sakraler als sozialer Natur ist. Die Finsternis läßt aber auch eine andere Deutung zu, wenn sie als notwendiger Bestandteil des von Odell beschriebenen Ritus verstanden wird, wonach sie den Aufgang der mit JHWH identifizierten Sonne besonders wirkungs- und stimmungsvoll gestalten sollte.88
Jes 29,15 kommt so nahe, daß man fast an eine bewußte literarische Bezugnahme von seiten Ezechiels denken möchte:
- „Weh euch, die ihr vor Gott in die Tiefe weicht, um einen Rat zu verbergen, damit im Finsteren eure Taten sind, da sagtet ihr: wer sieht uns und wer kennt uns?“ Die Beziehung zu dieser Stelle, die für Finsternis nicht ganz dasselbe Wort, aber doch ein von derselben sprachlichen Wurzel herkommendes verwendet, ist deshalb so bedeutungsvoll, weil damit der Bezug zu einer lange zurückliegenden, aber politisch vergleichbaren Situation hergestellt wird. Jesaja kritisiert mit diesen Worten, die nach Wildberger als ursprünglich jesaianisch angesehen werden dürfen, heimliche Bemühungen seiner Zeit um ein Bündnis mit Ägypten.89 Ezechiel kritisiert eine Bündnispolitik mit Ägypten zu seiner Zeit in ähnlicher Schärfe. Die Beziehung zur Jesaia-Stelle wirft ein gewisses Licht auf die Einbindung der Redensart in ihren unmittelbaren Zusammenhang (ihre Inszenierung). Während der Begriff „Finsternis“ eine Beziehung zur Inszenierung erlaubt, erinnert das fingierte Zitat „wer sieht uns?“ an die Redensart selbst. Ob vielleicht das „sieht uns nicht“ bei Ez 8,12, das in der Parallelstelle 9,9 fehlt, nach Vergleichung mit der Jes-Stelle hinzugefügt wurde? Im Umkreis von 9,9 fehlt wiederum ein solcher Hinweis auf die „Finsternis.“ In Beziehung zu Jes 29,15 gesehen, erhält die Ez-Stelle eine stärkere politische Akzentuierung, als man ihr unmittelbar ansehen möchte. Der „Rat“ der Jes-Stelle weist außerdem auf Ez 11,2 voraus, wo ein solcher „böser Rat“ mit einer weiteren Redensart genannt wird, bei der der politische Hintergrund deutlich im Vordergrund steht. 8,12 ist aber wohl nicht so zu verstehen, daß die Ältesten diesen Rat selber mitbetrieben - es wird ja auch kein solcher in 8,12 genannt -, sondern nur so, daß die Ältesten indirekt durch ihre religiöse Abhängigkeit von Ägypten eine solche Politik mit unterstützen. Nach Wildberger kann auch in Jes 29,15 mit der unbestimmt gelassenen Frage: „wer sieht uns?“ nur Gott selbst gemeint sein.90 Bei den Sprechern der Redensart Ez 8,12 dürfte vielleicht doch mehr Resignation als ausgesprochene Gottlosigkeit im Spiele sein. Jedenfalls macht der Vergleich deutlich, daß die Sprecher sich deshalb von Gott verlassen fühlen, weil sie sich selber mit ihrem Tun isolieren und die Dunkelheit suchen.
Der Eindruck persönlicher Verantwortung der je angesprochenen Menschen verstärkt sich noch, wenn es im Folgenden heißt: - „ein Jeder“ (12c). Trotz der Zahl von siebzig Personen handelt es sich für Ezechiel nicht um eine Massenversammlung, bei der viele nur einfach mitgezogen werden. Der gesuchten Heimlichkeit des Tuns entspricht auch ihr privater, eigenverantwortlicher Charakter. „Ein Jeder“ tut die genannten Dinge - „in den Kammern“. Dieser Ausdruck wird bevorzugt von den innersten Privatgemächern eines Hauses gebraucht. Als Beispiel für viele diene Gen 43,30. Dort ist es der Ort, an den sich Joseph zurückzieht, um sich auszuweinen, nachdem er unter seinen Brüdern auch seinen Lieblingsbruder Benjamin wiedererkannt hat.
In Ex 7,28 wird dem Pharao die Fröscheplage angekündigt, die bis in seine Schlaf-“Kammer“ dringen würden. Dagegen wird durch die Kammern Schutz versprochen, wenn Jes 26,20 dem Volk rät, den Tag des Gerichts in den „Kammern“ an sich vorübergehen zu lassen. Als Ort der Intimität und Verwundbarkeit des Menschen begegnet die „Kammer“, wenn in den Simson-Erzählungen Delila ihn in einer solchen zu überlisten versucht, bis es ihr endlich gelingt (Ri 16,9.12). Ein seltsamer Rückbezug auf Ez könnte in Joel 2,16 vorliegen, wenn dort das Volk zu einer öffentlichen Versammlung zusammengerufen werden soll, um durch Buße den Herrn zum Ablassen seines Zorngerichts zu bewegen. Als besondere Volksgruppe werden dabei die Ältesten eigens genannt, nachdem sie bereits am Eingang des Buches