"Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25). Alban Rüttenauer


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muß.

      Wie die Beispiele für den Gebrauch von „Land“ gezeigt haben, taucht im Zusammenhang mit ihnen auch die Wurzel image für „verlassen“ regelmäßig auf. Das Subjekt können die Menschen, meistens irgendwelche Völker, oder es kann Gott sein. Ez verwendet die Wurzel sonst oft negativ, um die mangelnde Bereitschaft, Götzen (20,8) oder Hurerei (23,8) zu verlassen, zu beschreiben. In 23,29 wird Ohola von den Buhlern nackt und bloß zurückgelassen, als Anspielung auf die Situation von Niederlage und Exil. Ein besonderes Schicksal des Exils wird in Ez 24,21 benannt:

      image - „die Söhne und Töchter, die ihr verlassen habt, durch das Schwert sollen sie fallen“; womit, modern gesprochen, jede Familienzusammenführung vereitelt wird. Insgesamt fällt gegenüber den anderen Schriftpropheten der bei Ez überraschend seltene Gebrauch dieser Wurzel auf, die so gern für den Abbruch der Beziehungen zwischen Gott und seinem Volk verwendet wird. Von den 6 Vorkommen entfallen allein 2 auf die parallel gebauten Redensarten 8,12 u. 9,9. Sedlmeier nimmt in der Vorstellung, daß Gott das Land verläßt, den Einfluß der altorientalischen Landgott-Vorstellung wahr.95 Laut Clark wäre Ezechiel der erste, bei dem Gott nicht nur das Volk, wie bei älteren Propheten in der deuteronomischen Schule und in einigen Psalmstellen, sondern ausdrücklich das Land verläßt. Weiter entwickelt käme diese Vorstellung dann bei Deutero-Jesaja (Jes 49,14) und Trito-Jesaja (Jes 60,15; 62,4) vor. Ezechiel würde damit in 8,12 eine bekannte Formulierung (Gott sieht nicht), mit einer noch relativ unbekannten verbinden. Vielleicht eine Vorgehensweise, die bei den Redensarten immer wieder anzutreffen, aber nicht immer gleichermaßen nachzuweisen ist.96

      In 8,12 ist Gott Subjekt, wobei offengelassen wird, wie freiwillig oder erzwungen sein Verlassen des Landes ist. In jedem Fall werden die politischen Verhältnisse sehr eng als Ausdruck einer bestimmten Gottesbeziehung verstanden. Das Verlassen wird im Perfekt als einmalige, abgeschlossene Handlung beschrieben. Dieses Ereignis hat den Boden bereitet für den Zustand, den der vorhergehende Nominalsatz mit Partizip image - „sehend“ beschrieben hat:97 Gott scheint abwesend und nimmt darum von dem, was die Einzelnen tun, keine Notiz mehr. Diese glauben, sich selbst überlassen zu sein.

       1. e) Exkurs: Die Bedeutung von „Sehen“ im Buch Ezechiel

      Wie bei den großen Schriftpropheten überhaupt erfährt auch bei Ezechiel das Verb der Wurzel image einen ausgedehnten Gebrauch. Es kommt bei ihm 77mal vor (zum Vergleich: Jes 82mal; Jer 71mal).98 An vielen Stellen dient es dazu, das Visionserlebnis des Propheten zu schildern. Im Unterschied zum ähnlichen image, das den Visionsempfang überhaupt bezeichnet, um eine besondere Qualität des Geschehens zu unterstreichen, beschreibt image mehr den Verlauf dieses Geschehens im Einzelnen, vielleicht besonders das menschliche Erleben dabei. In diesem Sinne hat image eine stärkere anthropologische Komponente als image.99

      In Ez 8 kommt dies dadurch zum Vorschein, daß mit ihm nicht nur die ganze Vision, sondern auch die einzelnen Abschnitte derselben eingeleitet werden. In 11,25 wird dann damit die gesamte Vision zusammengefaßt, wenn der Prophet den Exulanten berichtet, image - „all die Dinge JHWHs, die er mich sehen ließ.“

      Merkwürdiger Weise scheint die Wurzel bei Ez oft eher eine abwertende Bedeutung zu besitzen. Den falschen Propheten wird vorgeworfen, „nicht gesehen zu haben“ (13,3), während sie image - „Falsches geschaut haben“ (13,6). 7,26 kündigt das vergebliche Aufsuchen einer belehrenden „Schau“ bei den Propheten an. Anders nur in 12,23-24, wo in Erwiderung auf die Redensart in 12,22 das Eintreffen der bezweifelten Schau betont wird, wobei der Akzent jedoch auf dem Dabar, dem Wortereignis, liegt.100

      Im 8. Kapitel kommt image nicht weniger als 13 Mal vor, obwohl das Kapitel im ganzen nur 18 Verse zählt. Der Prophet ist stets das Subjekt dieses „Sehens“. Oft ist er es dabei in dem Sinn, daß er von Gott nach dem Geschauten gefragt wird (VV. 6.12.15.17), daß er aufgefordert wird, genauer hinzuschauen (V. 9), oder ihm versprochen wird, im folgenden noch gewichtigere Greuel zu sehen (VV. 6.13.15). Damit ist es in erster Linie Gott selbst, der sieht und sehen läßt. Die Aussage des Ältesten-Spruches in 8,12, daß der Herr nicht sieht, wird ad absurdum geführt. Gott erscheint als ein allsehender Gott, der auch das sieht, was im Verborgenen geschieht, was von den Ältesten bewußt auch vor den übrigen Volksgenossen verborgen gehalten wird.

      Vordergründig handelt es sich jedoch um das „Sehen“ des Propheten, den Gott in der Vision an seinem göttlichen Sehen teilhaben läßt. Der Prophet erhält damit Einblick in den wahren inneren Zustand des Volkes, beispielhaft vorgeführt an dem Verhalten der für dasselbe Verantwortlichen, der Ältesten.

      Was ist der Sinn dieses menschlichen Sehens? Im Zusammenhang des Großabschnitts Kapitel 8 - 11 hat die Tempelvision gewissermaßen die Bedeutung, die im 9. Kapitel sich anschließende Gerichtsschau zu rechtfertigen und zu begründen. Dem Abschnitt der Tempelvision im besonderen käme damit die Bedeutung der Scheltrede zu, durch die die Betroffenen zum Bewußtsein und zur Anerkennung ihrer Schuld gebracht werden sollen. Dieses geschieht hier nicht durch eine rhetorisch aufgebauschte Anklagerede, sondern durch die nüchterne, wiederholt an den Propheten gerichtete Aufforderung zu sehen, das Faktische einfach wahrzunehmen, das aus dem Verborgenen heraufgeholt wird, um die Betroffenen zu überführen. Dieses Sehen meint also nicht eine bloß oberflächliche Wahrnehmung der Wirklichkeit, sondern bereits ein tieferes Eindringen in dieselbe. Es soll nämlich nicht beim bloßen Sehen bleiben. Das „Gesehene“ bewirkt ein Verstehen, ein Ein-Sehen, das damit seinerseits zur Grundlage einer zukünftigen Entscheidung wird.

      Ezechiels eigentümliches Verständnis vom „Sehen“ soll in einer syntaktischen Wortfeld-Analyse untersucht werden, die aufzeigt, in welchen grammatikalischen und syntaktischen Zusammenhängen das Verb „Sehen“ von der Wurzel image bei Ezechiel auftaucht. Es können dabei nicht alle Stellen berücksichtigt werden, sondern nur eine charakteristische Auswahl derselben.

      a) Nicht-Sehen als Folge.

image

      Die Beispiele für das Nicht-Sehen lassen erkennen wie der Prophet die Bedingungen für das natürliche Sehen auffaßt. Die Behinderungen des Sehens, die bis zum völligen Nichtsehen führen, können von äußerer Art sein, wie das Verdecken des Gesichtes oder die räumliche Entfernung, oder, wie im zuletzt aufgeführten Beispiel, an der geistigen Einstellung liegen.

      Das in der Redewendung in Ez 8,12 voreilig angenommene NichtSehen Gottes hat seine unmittelbare Entsprechung in einem menschlichen Nicht-Sehen, von dem das 12. Kap. spricht. Wenn nämlich in Ez 12,6 der Prophet aufgefordert wird, in einer Symbolhandlung die zweite Deportation vorwegzunehmen, soll er zugleich das Gesicht verhüllen, damit er das Land nicht sieht. Damit entsteht eine ähnliche Verbindung zwischen „Nicht-Sehen“ und „Land“, wie in Ez 8,12. In 12,6 ist das Land direktes Objekt des NichtSehens, während in 8,12 das Nicht-Sehen Gottes die Menschen, die Sprecher, zum Objekt hat. Aber noch durch ein weiteres Stichwort ist 12,6 mit 8,12 verbunden. „In Finsternis“


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