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ist freilich eine andere, - „in der Dunkelheit“ in 8,12, - „im Finstern“ in 12,6. Vielleicht soll damit die größere Unfreiwilligkeit der „Dunkelheit“ neben der selbstgesuchten in 8,12 hervorgehoben werden. Außerhalb des Ezechielbuches taucht - „und Finsternis“ nur noch in Gen 15,17 auf, bei der durch ein Opfer beschworenen Landverheißung. Liegt ein bewußtes Aufgreifen des Ausdrucks vor, dann erscheint es fast wie ein zynischer Vergleich zwischen Landverheißung und Deportation aus dem Land. Abraham wird sonst im Ezechielbuch nur in 33,24 innerhalb einer anderen Redensart erwähnt, durch die die Jerusalemer die Abrahamsverheißung für ihre eigenen privaten Ansprüche geltend machen. 12,6 könnte dann wie eine vorweggenommene Wiederlegung dieser Redensart verstanden werden.
Jüdischen Auslegern des Mittelalters war das Nichtsehen in Ez 12,6 Ausdruck von Scham.101 Greenberg erwägt auch die Möglichkeit, daß damit ein Nicht-Wieder-Sehen-Können des Landes, also die Endgültigkeit des Exils für den König ausgedrückt wurde.102 Welcher von diesen Interpretationsmöglichkeiten man auch immer den Vorzug geben möchte, unabhängig davon ist der Rückbezug zu Kap. 8, der in Kap. 12 das Nicht-sehen als eine Umkehrung der Verhältnisse erscheinen läßt. Diejenigen, die Gott ein NichtSehen wegen Abwesenheit im Land vorhalten, werden selber das Land nicht sehen (oder nicht wieder sehen können) und es verlassen müssen, mag für das Sehen nun Scham (jüdische mittelalterliche Ausleger) oder Trauer (Zimmerli) oder etwas anderes die Ursache sein. Auch das zeigt schon, wie wichtig das Sehen für den Propheten ist, daß es überhaupt ein eigener Bestandteil einer symbolischen Handlung ist.
Von einer Vernachlässigung des rechten Sehens ist in 13,3 bei der Kritik der falschen Propheten die Rede. Von ihnen gilt, sie sind Propheten, - „die ihrem eigenen Geist hinter her gehen und haben dabei nicht gesehen.“ Bei Propheten möchte man bei „Sehen“ am ehesten an Empfang von Visionen denken. Ezechiel hat aber wahrscheinlich ganz bewußt nicht die dafür zutreffende Wurzel genommen, sondern eben die andere , um so die anthropologische Komponente stärker zur Geltung zu bringen. Als Voraussetzung für das NichtSehen aufgefaßt, hätte das dem eigenen Geist Nachgehen die Folge, daß die Wahrnehmungsfähigkeit für Dinge, die über den eigenen Geist hinausgehen, entsprechend behindert wird. Insofern kein äußeres unabwendbares Hindernis vorliegt, ist diese Art des Nicht-Sehens zu einem großen Teil selbstverschuldet.
b) Sehen als Folge
Im Kapitel 16 sind es die Liebhaber der abtrünnigen Braut Jerusalem, denen Gott die Blöße derselben aufdeckt, so daß es dann in V. 37 heißen kann: - „da sehen sie deine ganze Blöße.“ Man darf auch hier vermuten, daß mit dem Sehen nicht an die bloße Sinneswahrnehmung gedacht ist, sondern, daß die Liebhaber die Blöße bewußt als das wahrnehmen, was sie ist, daß sie auch das Spiel verstehen, daß mit ihnen getrieben wurde.
Die Entblößung verführt dazu, in diesem Umgang Gottes mit der Braut Jerusalem den Ausdruck patriarchalischer Überlegenheit und Gewaltausübung zu sehen. Tatsächlich scheinen kaum Beispiele einer solchen Entblößung im Fall von Frauen, die des Ehebruchs bezichtigt wurden, vorzuliegen. Daneben gibt es aber viele Bilddarstellungen von entblößten Kriegsgefangenen. Das hat Smith-Christopher zu der Vermutung veranlaßt, daß an dieser Stelle die Bildebene gewissermaßen verlassen, und durch die Entblößung das teils eingetretene, teils noch ausstehende Schicksal des Exils selbst beschrieben werde.103 Die geschilderte Entblößung steht damit für den äußersten Tiefpunkt innerhalb der allgemeinen Krise des Volkes.104
An den zwei andern Stellen ist Gott zwar nicht direkt Objekt des Sehens, dieses Sehen schließt aber zugleich das Erkennen mit ein, daß Gott gehandelt hat, daß er an dem zu Sehenden unsichtbar mitgewirkt hat. In 21,4 steht zu lesen:
- „Und alles Fleisch wird sehen, daß ich, JHWH, es [das Feuer] entzündet habe.“ Und in 39,21:
- „Und alle Völker werden sehen mein Gericht.“
Diese Verwendung von wird dadurch ermöglicht, daß seine Bedeutung sich mit derjenigen von berührt. Zuweilen werden sie fast synonym gebraucht. Das ist z.B. nach Zimmerli neben Ez 21,4 auch in 39,21 der Fall, wo er jeweils eine Entsprechung zum Erweiswort gegeben sieht, d.h. zu jener Erkenntnisformel mit dem Wortlaut: „sie werden erkennen, daß ich der Herr bin.“105 Im Unterschied zu kann man vielleicht auch hier, ähnlich wie im Unterschied zu , behaupten, daß mit weniger das Ergebnis des Erkennens als solchen gemeint ist, als vielmehr der menschliche Vorgang, durch den es zu einem solchen Erkennen kommt.
Dabei werden die beiden Wurzeln jedoch nie so schroff entgegengesetzt wie es bei dem P zugeschriebenen Vers in Ex 6,3 der Fall ist, der Gott zu Mose sagen läßt, er wäre zwar den Vätern erschienen ( - „ich erschien“, Nifal), hätte sich aber nicht mit seinem Namen zu erkennen gegeben ( - „ich ließ mich nicht erkennen“, Nifal). Immerhin ist auch hier die Entgegensetzung nur relativ, weil doch zugleich gesagt sein soll, daß die Väter bereits auf dem richtigen Weg waren. Daß auch für P oft ein tieferes Sehen bedeuten konnte, belegt der Schöpfungsbericht, wenn es hier von Gott selbst in regelmäßigen Abständen heißt:
- „da sah Gott, daß es gut war“ (z.B. Gen 1,10), bis es nach der Erschaffung des Menschen heißen kann:
- „und Gott sah all das, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31).
c) Sehen als Voraussetzung.
Bei den hier aufgeführten Beispielen kommt Ezechiels eigentümliche Auffassung vom Sehen am deutlichsten zum Tragen. Das Sehen erscheint hier als ein Wahrnehmen von Zusammenhängen, die nicht unmittelbar auf der Oberfläche liegen, und deshalb ein tieferes Eindringen und Hineinschauen in die wahrgenommenen Dinge erfordern. Entscheidendes Kriterium für