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wird.

      Manchmal ereignet sich der Schritt vom Sehen zum Erkennen unmittelbar, ohne daß eine Zwischenstufe ausdrücklich benannt wird. Ez 10,20 spricht aus, wie der Prophet in seiner Vision von der Herrrlichkeit Gottes, wie sie die vorhergehenden Verse beschreiben, in den Kerubim die Lebewesen aus der ähnlichen Vision in Kap. 1 wiedererkennt. image image - „Das sind die Lebewesen, die ich gesehen habe unterhalb des Gottes Israels am Fluß Kebar, da erkannte ich, daß Kerubim sie selbst sind.“ Die durch Sehen und Erinnern identifizierte Übereinstimmung von zwei auf den ersten Blick unterschiedenen Größen (Kerubim, Lebewesen) erfüllt, wie Ruwe deutlich gemacht hat, eine doppelte Funktion. Einmal erkennt der Prophet in Tempelnähe bzgl. der Vision etwas, das ihm vorher entgangen ist: die Identität der Kerubim mit den Lebewesen; zum andern werden die Kerubim dem Gebäude des Tempels entfremdet, indem sie mit dem Thronwagen aus dem Tempel ausziehen.106 Ein ungeheuer komplexes Spannungsgeflecht zwischen Erfahrungen im Exil und Erfahrungen am Tempel - wie immer auch durch Visionen vermittelt - ist damit ausgesprochen. Das Sehen leitet hier etwas ein, was man als Wesenserkenntnis beschreiben könnte. Die visionäre Erscheinung des Wagens mit den Lebewesen wäre für sich nichtssagend, wenn nicht durch tieferes Sehen auch deren Sinn und Bedeutung hervorträte. Auf diese Weise deutet die Stelle an, welche Art des Sehens den im 13. Kapitel gescholtenen Propheten gefehlt haben könnte. Diese konnten dann auch irgendwelche Visionen und Erleuchtungen haben, konnten sie aber nicht richtig einordnen, weil ihr menschliches Sehen und Deuten von einer falschen Motivation verdorben war.

      Wenn Ez 14,22 das Schicksal der zweiten Deportation vorwegnimmt, heißt es an die Adresse der Betroffenen der ersten Deportation, die die aus der zweiten aufzunehmen haben werden:

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      image - „da werdet ihr ihre Wege sehen und ihre Taten und werdet euch trösten über das Böse, das ich über Jerusalem brachte.“ Auch hier geht das Sehen einem Verhalten voraus. In V. 22 ist es das Sich-Trösten. In V. 23 folgt dann noch, einen Schritt weiter gehend, das Erkennen Gottes im Sinne der Erkenntnisformel.

      Objekt des Sehens sind die „Wege und Taten“ der Jerusalemer, die den Exulanten durch die erneute Deportation Überlebender sichtbar werden; damit also etwas, das ein sittliches und religiöses Urteil herausfordert. Es ist ein Urteil, das den Betroffenen freigestellt wird. Sie sollen nicht durch eine Argumentationskette überzeugt werden, sondern durch das, was sie mit eigenen Augen wahrnehmen können. Wie das Sehen Verstehen ermöglichen und die Fähigkeit verleihen soll, sich ein eigenes Urteil zu bilden, wird hier besonders deutlich. Denn mit dem Trost, mit dem sich die schon Exilierten über die Zerstörung Jerusalems hinweghelfen, ist die Einsicht in Sinn und Berechtigung dieser als Gericht zu verstehenden Katastrophe mitgedacht. Die Gotteserkenntnis wäre die höchste Stufe in diesem Verstehensprozeß, der gemäß der ez Theologie vom Sehen den Ausgangspunkt nimmt.

      Im 18. Kap. wird das „Sehen“ zum Anlaß einer Verhaltensänderung innerhalb einer kasuistisch wirkenden Beispielreihe. Bei diesem Generationenvergleich zu Beginn des Kapitels, der deutlich macht, daß die Eingebundenheit in eine Familie die eigene freie Willlensentscheidung nicht behindern muß, leitet ein solches „Sehen“ bei dem „guten“ Sohn in V. 14 die Entscheidung ein, sich nicht an das trügerische Beispiel des „schlechten“ Vaters zu halten:

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      „Und siehe, er zeugt einen Sohn und der sieht alle Sünden seines Vaters, die er tut, er sieht sie und tut nicht ihnen entsprechend.“

      Damit ist auch hier das Sehen kein gleichgültiges, neutrales Beobachten, sondern die Voraussetzung für ein geistiges Urteil, dem eine persönliche Entscheidung für das eigene Handeln folgt.

      In 18,28 verhält es sich ganz ähnlich, nur daß hier der einsichtige Sünder die eigenen Taten sieht, wie trotz fehlender ausdrücklicher Benennung des Objekts anzunehmen ist, und dadurch zu einer Kehrtwende in seinem Leben bewogen wird.

      Im 23. Kap. hat, im Gegensatz zum 18., wo das „Sehen“ des Schlechten Anlaß zu Besinnung und Umkehr wird, dieses „Sehen“ bei der Jerusalem verkörpernden Oholiba den umgekehrten Erfolg. Von ihr heißt es in V. 11:

      image - „da sah Oholiba ihre Schwester“, das heißt wohl, sie sieht sowohl die Taten, als auch das Schicksal ihrer Samaria verkörpernden Schwester Ohola. Dennoch treibt sie es noch schlimmer. Das Sehen führt also nicht automatisch zu einer Sinnesänderung, sondern stellt nur vor die bewußte Entscheidung. Damit erhöht sich die Schuldhaftigkeit des Verhaltens, wenn die Chance, aus dem Beispiel der Schwester zu lernen, nicht ergriffen wird. Dies Beispiel macht auf die erstaunliche Tatsache aufmerksam: das Sehen ist zwar notwendig zu einem Sinneswandel, für sich allein genügt es aber noch nicht. Es muß immer noch die freie Willensentscheidung hinzukommen. Diese vier entscheidenden Stellen: 14,22; 18,14; 18,28; 23,11 sind alles Stellen, an denen das Sehen eine moralische Bewertung herausfordert, die ihrerseits den, der sieht, vor die Notwendigkeit einer eigenen Entscheidung stellt.

      Von dem zu Sehenden geht oft eine Warnung aus, wie sie in 33,1-9 der Prophet als Wächter vermitteln soll. Es stellt den Menschen vor eine Wahl und macht dem Einzelnen sowohl die Freiheit zu wählen, als auch die mit einer getroffenen Wahl verbundenen Konsequenzen bewußt. Man möchte bei Verwarnung zunächt an Worte denken, die zu hören waren. Aber ein Prophet wie Ezechiel hat auch viel durch Symbolhandlungen gewirkt, bei denen es zunächst, bevor eine Erklärung folgte, nur etwas zu sehen gab (Vgl. z.B. 12,1-7; 37,15-17). Aber auch viele seiner Reden bedienen sich der Bildworte, wie sie sich an eine sinnenfrohe Phantasie wenden. Der ganze Abschnitt 33,1-9 kann in gewisser Hinsicht als paradigmatisch für das Verhältnis von Sehen und Hören aufgefaßt werden: das anrückende Schwert wird gesehen; die weitergegebene Warnung davor wird gehört. Damit erhält das prophetische Sehen eine größere Exklusivität gegenüber dem Hören. Denn weit sehen vermag hiernach nur der auf einen besonderen Posten gestellte Wächter, der Prophet, während das Zuhören für alle gilt.

      In 16,6 ist es Gott selbst, der bei seinem Vorübergang das Findelkind sieht:

      image - „da sah ich dich zappelnd in deinem Blut.“ Das Sehen läßt hier vordergründig die Not und Hilflosigkeit der als Findelkind angeredeten zukünftigen Braut erkennen. Damit wird das „Sehen“ hier ebenfalls zum Anlaß für eine Entscheidung, ein bestimmtes Handeln. Nur daß hier, wo es sich um die Gottheit selber als Subjekt des Sehens handelt, kein Entscheidungszwang vorliegen kann, sondern reine Entscheidung in Freiheit. Was Gott dabei an-“sieht“ ist hier noch nicht Sünde oder verkehrtes Verhalten, sondern das Elend und die Verlassenheit. Vielleicht sieht er aber auch in seinem erwählten Geschöpf etwas von den innerlich angelegten Möglichkeiten. Das An-Sehen wird dabei zum Anlaß einer Berufung. Gott beobachtet mit seinem Sehen die weitere Entwicklung in V. 8:

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      - „da ging ich an dir vorüber und sah dich, und siehe deine Zeit, die Zeit der Liebe.“ Gott sieht erneut die durch die Metapher „Liebe“ angedeuteten Möglichkeiten, die dem Entwicklungsstadium der jungen Frau entsprechen. In Ez 23,13 geschieht es ihm mit Oholiba, der Schwester von Ohola:

      image -“da sah ich, daß sie sich verunreinigte“. Ein Sehen, das den wahren Zustand und die dadurch zerstörte Beziehung offenbart und damit die Ankündigung und Rechtfertigung des Gerichts vorbereitet.

      Eine scheinbar neutrale Stelle findet sich in 19,11. Von dem Weinstock, der unmittelbar vorher mit der wahrscheinlich das Königshaus


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