Du weißt doch, Frauen taugen nichts. Berthold Kogge
wirklich alle Alarmglocken schellen müssen. Im Nachhinein verstehe ich wirklich nicht, wieso das nicht passierte. Liebe macht ja bekannterweise blind, aber unsere gemeinsame Vorgeschichte war ja nun wirklich nicht ganz unbelastet. Carola wollte zwei Wochen bei mir wohnen, hatte es aber nicht einmal für nötig gehalten, oder sollte ich lieber schreiben, hatte nicht den Mut gehabt vorher abzuklären, ob das überhaupt möglich ist, und ob ich dieses überhaupt wollte. Ich war telefonisch erreichbar gewesen. Sicher, ich hatte ihr nicht meine Nummer gegeben, aber es gab die Auskunft. Und wie ich später noch erfuhr, hatte Carola in Hannover ein Lübecker Telefonbuch, in dem ich nun einmal eingetragen war. Und ich war der Einzige mit meinem Namen dort. Ich stand sogar mit Straße und Hausnummer, die Carola ja vom vorletzten Wochenende kannte, in dem Telefonbuch. Also wirklich superleicht zu finden. Aber anstatt anzurufen, hatte sie nur eine E-Mail geschickt, und das ziemlich spät, sodass ich kaum rechtzeitig darauf reagieren konnte.
Es war schon damals so, dass Carola nicht in der Lage war über Probleme, zumindest wenn es sich um persönliche Probleme handelte, oder noch genauer, über Beziehungsprobleme, zu sprechen. Aber es schellte bei mir damals keine Alarmglocke laut genug. Ich war bereits zu sehr in dem herrlichen Gefühl eingenebelt, sie neben mir liegen zu haben. Und na ja, toll hatte ich sie ja schon sechs Jahre vorher gefunden, bevor damals die Seifenblase durch ihre E-Mail platzte. Allerdings hätte mir der Streit zwischen Carola und Horst, dem Wirt vom „Carrickfergus“, vor zehn Tagen wieder einfallen müssen. Aber nichts dergleichen passierte. Mein Kopf war auf Liebe, zumindest auf Zärtlichkeit eingestellt. Und so begann etwas, was von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Ich konnte dieses aber nicht sehen, und Carola, der es im Grunde klar war, zumindest in ihrem Unterbewusstsein, dass es nicht funktionieren würde, wollte das sich selbst nicht eingestehen. Sie täuschte nicht nur mich, sondern auch sich selbst, da sie sich mit sich selbst nicht auseinandersetzen konnte, und das, auch wenn sie es aus ihrem Bewusstsein verdrängte, im Grunde auch wusste. Viel später, als alles zu spät war, gab sie, bei dem einzigen Telefongespräch, das wir nach der Trennung noch führten, selbst zu, dass sie von Anfang an gewusst hat, dass es mit uns falsch war. Sie gab aber auch dabei nicht den wahren Grund zu, warum sie es von Anfang an wusste, und warum sie es trotzdem so weit kommen ließ, wie es dann kam.
Nicht ganz drei Jahre später, nachdem ich ein längeres Telefongespräch mit der hiesigen Frauenhilfsorganisation geführt hatte, saß ich völlig verwundert, nachdem ich den Telefonhörer wieder aufgelegt hatte, an meinem Schreibtisch, und fragte mich, wieso hatte ich den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. So vieles war in den drei Jahren passiert, waren die Zeichen zu sehen gewesen. Und doch benötigte ich ein Gespräch bei der Frauenhilfsorganisation, damit ich den Wald, in dem ich doch selbst stand, endlich klar und deutlich sehen konnte. Und gleichzeitig fragte ich mich, was war mit den ganzen anderen blinden Vögeln? Michael, der Lebenspartner meiner Schwester. Vor vielen Jahren, als er bei einem ganz normalen Stadtspaziergang mit Carola in der Stadt unterwegs war, klatschte er, als Carolas, damals noch kleine Tochter Zuneigung zu dem großen Onkel, der so toll lustig war, zeigte, voll gegen Carolas Fassade (Mauer). Als Carola merkte, wie ihre Tochter Michael anhimmelte, ging bei ihr auf einmal die Klappe herunter. Die gerade noch fröhliche junge Frau wurde von einer Sekunde auf die andere abweisend, geradezu aggressiv zu ihm, und war in keiner Art und Weise mehr für Michael ansprechbar. Das Erlebnis war für Michael so intensiv gewesen, dass er es niemals vergessen hat. Er hatte mit Carola, nachdem er ihr ein Praktikum bei seinem Arbeitgeber besorgt hatte, zusammen gearbeitet, war privat mit ihr befreundet gewesen. Aber dann ist er, wie beschrieben, wirklich voll mit dem Kopf gegen den Baum geknallt, sah aber weder den Baum, geschweige den ganzen Wald. Und sieht den Wald auch heute noch nicht.
Was war mit Britta, die mir, als alles zu spät war, erklärte, dass Carola sich immer so, bei den, von ihr provozierten Trennungen benahm, wie sie es dann später bei mir durchgezogen hat? Und dass Carola zwar ihre Freundin sei, sie aber die Abmachung haben, dass Britta aus den Männergeschichten Carolas heraus gehalten werden wollte. Sie fand das Spiel, das Carola mit den Männern trieb, nicht richtig, und wollte da nicht involviert werden. Wieso hat Britta nicht erkannt, dass Carola nicht spielte, sondern sich vor der Wahrheit, vor sich selbst versteckte?
Was war mit Susanne, die, nachdem Carola ungefähr anderthalb Wochen bei mir gewohnt hat, sich wunderte, dass Carola nicht, wie doch sonst immer, schon nach der zweiten oder dritten Nacht, aus unserem gemeinsamen Bett geflohen war?
Oder Horst, der zwar in seiner Kneipe mit Carola über ihre Männergeschichten gestritten hat, aber anscheinend den Grund ihres Verhaltens nie hinterfragte. Sie alle kannten Carola über Jahre. Was waren da die paar Wochen, die ich sie näher habe kennenlernen dürfen. Wobei, was heißt hier näher kennenlernen dürfen.
Ich durfte in der kurzen Zeit, in der ich mit Carola zusammen gewesen war, nur das kennenlernen, was sie bereit war, von sich preiszugeben. Und das war, wie ich heute weiß, eben nicht gerade sehr viel.
Aber die, die Carola jahrelang gekannt und erlebt haben, und die die Symptome anscheinend über Jahre durchaus mitbekamen, - warum waren die so blind gewesen?
Wobei die Menetekel klar und deutlich an der Wand, für jeden weit leuchtend sichtbar, standen.
„Und sieh! Und sieh! An weißer Wand, da kam´s hervor wie Menschenhand, (… …), Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand. (………) Die Magier kamen, doch keiner Verstand zu deuten die Flammenschrift an der Wand.“ (Heinrich Heine, aus Belsazer)
Man hätte sie nur deuten müssen. Wobei na klar überhaupt erst einmal die Bereitschaft da sein musste, die Zeichen zu beachten. Aber man hat ja manchmal regelrecht den Wunsch blind zu sein.
Nach dem gemeinsamen Frühstück trennten wir uns erst einmal. Carola wollte Carmen, deren gemeinsame Gespräche vorletztes Wochenende, wegen mir, zu kurz gekommen waren, treffen. Irgendwo Kaffee trinken und klönen, und danach zusammen an die Ostsee fahren, um weiter zu klönen, um die in Hannover vermisste frische Meeresbrise zu spüren, und um bei ihrer Freundin etwas, wegen der versetzten Zeit vorletzten Wochenendes, wieder gut zu machen.
Ich war dabei, Männer stören nur bei Frauengesprächen, das wusste selbst ich, nicht nur überflüssig, sondern absolut fehl am Platze. Und daher beschloss ich in die Bücherei, dort lag das „Svenska Dagbladet“ aus, was ich sowieso regelmäßig dort las, zu gehen.
Und erst jetzt, wo ich dieses hier niederschreibe, kommt diese Frage zum Vorschein. Carola wollte sich mit Carmen treffen, in einem Café Kaffee trinken gehen. Danach an die Ostsee. Wenn ich in meiner Erinnerung herumkrame, kann ich mich nicht erinnern, dass Carola an diesem Morgen Carmen angerufen hat. Mag sein, dass ich es einfach vergessen habe, aber eigentlich glaube ich es nicht. Schon vor dem Frühstück war klar gewesen, dass wir heute Vormittag erst einmal getrennte Wege gehen würden. Ich frage mich, hatte Carola bereits aus Hannover diese Freundin angerufen, und sich für das Treffen verabredet: „Hej, ich bin am Dienstag in Lübeck, hast du Zeit, wollen wir Kaffee trinken gehen, plaudern.“ Sie muss angerufen haben. Woher wusste sie, dass die Freundin an diesem Dienstag nicht arbeiten musste. Wenn das stimmt, dann hat sie, bevor sie aus Hannover losfuhr, nachgefragt, ob die Freundin Zeit für einen Plausch haben würde. Während sie mir nur per E-Mail mitgeteilt hatte, dass sie bei mir am Montagabend aufschlagen würde, ohne zu fragen, ob mir das passte, und ohne mir mitzuteilen, in welchem Umfang die Invasion, es hatte ja schon den Umfang einer solchen, sein würde. Und selbst wenn Carola von meiner Wohnung aus, ohne dass ich es mitbekommen habe, Carmen an diesem Morgen angerufen hat, ist es schon bemerkenswert. Carmen, die zu Fuß zehn Minuten von mir entfernt wohnte, wurde angerufen, um zu schauen, ob sie Zeit hat. Und zu mir fuhr sie 200 km, ohne zu wissen, ob ich da bin und Zeit habe, und sollte ich nicht da sein, sie eventuell 200 km wieder zurückfahren musste. Wobei das Risiko einer Rückfahrt bei Nacht nicht unbedingt wahr sein musste, da sie anscheinend doch einen Plan B, der wohl Carmen hieß, gehabt hatte.
Carola hatte keine Schlüssel für meine Wohnung. Sie sollte mich daher anrufen, wenn sie wusste, wann sich wieder dort aufschlagen würde, oder sie sich mit mir irgendwo treffen wollte.
Nach meinem Studium des „Svenska Dagbladet“,