In der inneren Welt (Band 2). Hero Leander
man ihnen nicht zu nah kommt, aber trotzdem sollte man sie nicht reizen.“
Inzwischen waren sie an dem Felsen angelangt und Wolfgang wollte gerade auf ihn zugehen, da kam schon ein Tiger um den Felsen. Marina und Diana schrien auf. Diane hielt ihnen sofort den Mund zu und sagte ihnen: „Der Tiger tut euch nichts, wenn ihr euch ruhig verhaltet. Aber Lärm mögen Tiger gar nicht.“
Ängstlich suchten die beiden hinter Diane Schutz. Nur Wolfgang ging ganz langsam auf den Tiger zu. Er spürte, dass dieser fremde Tiger keine Gefahr für ihn war. Auf halber Strecke zum Tiger blieb er aber stehen und wartete. Langsam kam der Tiger auf ihn zu. Ganz vorsichtig näherte er sich Wolfgang, bis er vor ihm stand. So verharrte er einige Minuten bewegungslos. Doch dann legte sich der Tiger zum Erstaunen der drei Frauen zu seinen Füßen. Wolfgang hockte sich hin und streichelte ihn vorsichtig. Der Tiger ließ sich das gefallen. Bald graulte Wolfgang ihn, wie er damals Toni und Sira gegrault hatte. Marina und Diana trauten ihren Augen nicht. Selbst Diane war verwundert. Das war keine typische Reaktion von einem Tiger. Das wusste sie. Tiger waren zwar nicht gefährlich, trotzdem sollte man ihnen nicht zu nah kommen. Aber für Wolfgang schien das nicht zu gelten.
Als der Tiger wieder aufstand, hörte Wolfgang auf, streichelte ihn kurz und ging langsam zurück zu den Frauen. Der Tiger blieb stehen und sah den Menschen nach, die sich nun entfernten.
Auf dem Rückweg sagte Wolfgang begeistert: „Ich weiß nicht wieso, aber der Tiger hat mich akzeptiert.“
Diane nickte. „Dieser Tiger ist eine Tochter von Siras letztem Wurf, aber nicht von Toni. Er ist wesentlich älter gewesen und daher viel eher gestorben. Siras Tochter wird übrigens bald Junge haben.“
„Woher weißt du das alles?“, fragte Diana skeptisch. „Ich denke, du kennst den Tiger gar nicht.“
„Sie hat es mir gesagt und auch, dass wir Abstand zu ihr halten sollen. Deinen Papa aber würde sie kennen.“
„Du kannst sogar mit Tieren sprechen?“, fragte Diana total erstaunt.
„Nein, nicht sprechen. Aber wir können unsere Gedanken austauschen. So kommunizieren wir alle untereinender“, klärte Diane ihre junge Freundin auf. Zu Wolfgang sagte sie dann: „Du hast vermutlich in der Gruppenseele der Tiger einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das hätte ich nie für möglich gehalten, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte.“
„Jetzt wird mir auch klar, weshalb sogar die Tiger bei uns im Zoo in Leipzig auf mich reagieren. Natürlich nur auf Entfernung, denn diese Tiger sind immer noch Fleischfresser.“
„Sie reagieren auf dich?“, fragte jetzt Diane ganz erstaunt.
„Damals vor zwanzig Jahren, als ich wieder zurück war, bin ich oft im Zoo gewesen und habe die dortigen Tiger besucht. Sie haben immer auf mich reagiert.“ Und er erzählte, was er damals im Zoo erlebt hatte. „Später war ich dann nur noch sehr selten im Zoo. Ich wollte die Vergangenheit hinter mir lassen, denn ich hatte ja nun eine Familie und wollte mich nur noch auf sie konzentrieren.“
Marina hörte erstaunt zu. Von all dem wusste sie noch nichts. Diane hingegen nickte verständnisvoll und lächelte Wolfgangs Frau an. Sie verstand ihn. Weil die Zeit langsam drängte, liefen sie schnell zurück zur Herbergswiese, wo der Transporter auf sie wartete.
„Einen Abstecher zu Gunile, Gudane oder Atmos schaffen wir jetzt wohl nicht mehr?“, fragte Wolfgang bittend.
Diane schüttelte den Kopf. „Vielleicht beim nächsten Mal. Sie würden sich ganz bestimmt freuen.“
Als sie an der Wiese ankamen, war es schon merklich dunkler und von der Schulklasse nichts mehr zu sehen. Deshalb bat Wolfgang Diane, dass sie Sharula und der Klasse ihre Grüße übermitteln solle, da sie sich nicht mehr verabschieden konnten.
Kurz darauf antwortete Diane lächelnd: „Ist schon passiert. Sie grüßen zurück.“
Wieder riss Diana die Augen auf, aber sagte nichts. Wusste sie ja, wie man das hier ohne Handy macht. Trotzdem war es ihr etwas unheimlich, weil man so gar nichts davon mitbekam.
Beim Einsteigen sagte Diane: „Jetzt fliegen wir aber wieder zurück. Bei euch ist schon fast Mitternacht und ihr müsst doch auch schlafen.“
„Wie kannst du jetzt von schlafen reden? Ich bin innen in der Erde. Ich fasse es noch immer nicht. Ich sitze in einem UFO und bin in der inneren Erde. Da redest du von schlafen!“, antwortete die aufgedrehte Diana.
Der Transporter entfernte sich recht schnell von Posid und flog nun wieder zurück zur Polöffnung. Kurz davor wies Diane die beiden Frauen darauf hin, dass sie gerade die deutsche Kolonie Neuschwabenland überflogen.
„Neu-was?“, fragte Diana.
„Neuschwabenland! Hier leben seit über 85 Jahren Landsleute von euch. Von ihnen haben wir Atlanter eure Sprache gelernt.“
„Ist das wahr?“ Diana verzog ihr Gesicht in ein ablehnendes Aussehen. „Davon habe ich noch nie etwas gehört.“
„Das glaube ich“, bestätigte Diane ihr. „Wenn das bekannt wäre, würden auch alle von der hohlen Erde und ihren Bewohnern wissen.“
„Deutsche? Es ist nicht zu fassen.“ Diana hatte immer noch Probleme, diese Tatsache zu verkraften. „Papa, hast du das gewusst?“
„Ja. Ich habe sie vor zwanzig Jahren mit Diane besucht. Sie haben sich sehr über meinen Besuch gefreut und sagten, sobald die Situation es erlaubt, werden sie sich wieder mit uns vereinigen.“
Diana schüttelte mit dem Kopf. Das alles stand im absoluten Gegensatz zu dem, was sie in der Schule gelernt hatte. „Da haben wir ja nur Blödsinn gelernt!“, rief sie jetzt aus.
„Nicht nur, aber vieles ist anders, als ihr es gelernt habt. Das ist richtig“, ergänzte ihr Papa.
Der Transporter war längst durch die Polöffnung wieder nach draußen geflogen und bewegte sich jetzt durch die Nacht. Es war nun nichts mehr zu sehen.
Da erinnerte sich Diana plötzlich und fragte: „Hast du vorhin nicht gesagt, dass die Tiger nach Papa gefragt haben? Können alle Tiere in der inneren Erde sprechen?“
Diane antwortete: „Alle Tiere können mental kommunizieren. Auch bei euch, nur ihr könnt sie nicht verstehen. Aber sie verstehen euch, wenn sie wollen. Wie du inzwischen weißt, können bei uns in Posid das nicht nur die Tiere. Deshalb konnte ich heute Nachmittag, als ich zu euch kam, deine Gedanken lesen.“
„Und jetzt kannst du es nicht mehr?“, fragte Diana erstaunt.
„Doch! Aber es ist ungehörig, wenn man die Gedanken eines anderen heimlich liest, der sich nicht dagegen wehren kann. Es gehört zum Anstand, dass man es nicht tut. Sollte es doch einmal passieren, dann weißt man den anderen darauf hin und bittet ihn um Verzeihung.“
Da sah Diana ihre neue Freundin mit großen Augen an. „Du könntest jetzt immer noch jeden Gedanken von mir verstehen?“
Diane nickte. „Aber nur die vordergründigen Gedanken. Das heißt, nur das, was du gerade denkst. An dein Gedächtnis kommt niemand heran und das ist auch gut so.“
„Na da bin ich ja beruhigt. Und was denke ich jetzt?“
„Mal sehen, ob sie das rauskriegt, hast du gerade gedacht. Stimmt’s?“
„Jaaa! Du kannst ja wirklich Gedanken lesen. Dich könnte ich in der Schule gebrauchen. Da hätte ich nur noch gute Zensuren. - Wie ist das eigentlich bei euch in der Schule? Da brauchen die Kinder doch nur die Gedanken vom Lehrer lesen und überhaupt nichts mehr lernen. Das wäre ja richtig bequem!“
Nun lächelte Diane wieder und meinte: „Wenn man selbst Gedanken lesen kann, dann kann man seine Gedanken auch vor dem Zugriff von anderen schützen. Die Kinder können nur die Gedanken lesen, die der Lehrer sie lesen lassen will. Aber das Schulsystem ist bei uns sowieso völlig anders. Bei uns gibt es keine Zensuren und auch keine Schulpflicht. Alles ist zwanglos und freiwillig.“
„Was? Dann möchte ich lieber zu