Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha
zwei weitere ergiebige Erkenntnisquellen: die Geschäftskonten des Unternehmens und übergebene Kreditunterlagen. Sofern ein Unternehmer seine Geschäftskonten bei dem betroffenen Institut als seiner „Hausbank“ unterhält, liefert der Einblick der Bankverantwortlichen in die Konten eine Vielzahl teilweise detaillierter Informationen. Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Verfassung, namentlich die Liquiditätslage, lässt nicht allein der Saldo der Konten zu. Von Interesse sind ebenfalls einzelne Kontobewegungen, d.h. erfolgte sowie nicht (mehr) durchgeführte (unterlassene) Transaktionen. Neben andauernden „Überziehungen“ von Konten, die weder saisonal bedingt noch durch andere, nachvollziehbare Umstände veranlasst sind,[15] weisen etwa ausbleibende oder verkürzte Zahlungen gegenüber den Sozialversicherungsträgern[16] bzw. der sonstigen Personalkosten oder Steuern[17] auf wirtschaftliche Probleme hin. Dies gilt in besonderem Maß für Pfändungen in die Bankkonten durch andere Gläubiger. Den Bankmitarbeitern sind also eine Vielzahl von Indizien, die eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Bankkunden belegen, durch Einsicht in die Geschäftskonten häufig unmittelbar zugänglich. Vor allem Mitarbeiter der „Hausbank“ des betroffenen Unternehmens bemerken aus diesem Grund – häufig bereits sehr frühzeitig – erste Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise, regelmäßig auch deutlich vor den übrigen Geschäftspartnern (Gläubigern) des Bankkunden, denen vergleichbare „Einblicke“ fehlen.[18]
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Daneben gewähren von Bankmitarbeitern angeforderte Auskünfte des Bankkunden über die wirtschaftliche Konstitution und Bonität seines Unternehmens im Vorfeld einer Kreditvergabeentscheidung sowie während der „Kreditlaufzeit“ nicht selten ebenfalls detaillierten Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Vorlage von Kreditunterlagen und die Erteilung ergänzender Auskünfte hierzu sind erforderlich, um das dem Darlehensvertrag immanente wirtschaftliche Risiko der Bank, mit der Kreditrückzahlung auszufallen, im Einzelfall gewichten und fortlaufend überprüfen zu können.[19] Im Kreditgeschäft ist die Beurteilung der Bonität des (potentiellen) Kreditnehmers von zentraler Bedeutung. Die Überprüfung der Kreditwürdigkeit vor einer Kreditentscheidung und während der Kapitalüberlassung entspricht zugleich „hergebrachten kaufmännischen Grundsätzen“.[20] Nur auf diese Weise kann durch die Bank tatsachenbasiert eine Risikoeinschätzung, ggf. eine Risikoneubewertung, vorgenommen werden. Durch die Vorlage von Jahresabschlüssen, Liquiditätsplänen, betriebswirtschaftlichen Auswertungen, Business-Plänen bzw. anderer Kreditunterlagen und Auskünfte, erlangen Bankmitarbeiter umfassenden Einblick in die wirtschaftliche Situation des Geschäftskunden. Nicht selten offenbaren Bankkunden dabei eine wirtschaftliche Krisensituation aus eigener Initiative, etwa um die Prolongation bereits ausgereichter Darlehen, die Gewährung weiterer (Sanierungs-)Kredite oder eine möglichst einträgliche Gestaltung der Verwertung bestellter Kreditsicherheiten unter Beachtung wirtschaftlicher Interessen des Unternehmens zu erreichen.[21] Insoweit ist festzuhalten, dass Bankmitarbeitern durch Einblick in die Kreditunterlagen Informationen zur Kenntnis gelangen, die möglicherweise eine bilanzielle Überschuldung als Tatbestandsvoraussetzung des Eröffnungsgrundes der Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) belegen.
Teil 2 Bankgeschäft und Insolvenz – zivil- und insolvenzrechtliche Grundlagen, wirtschaftliche Zusammenhänge › B › II. Externe Informationsquellen
II. Externe Informationsquellen
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Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die bereits aus der Geschäftsverbindung gewonnenen Erkenntnisse anhand weiterer, „externer Informationsquellen“ zu ergänzen und zu verifizieren. Hierzu zählen etwa Auskünfte der „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“ (unten Rn. 57 ff.)[22] sowie „Bankauskünfte“ anderer Kreditinstitute (unten Rn. 59 ff.).[23]
1. Auskünfte der Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung
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Die „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“ (SCHUFA) ist eine Gemeinschaftseinrichtung der kreditgebenden Wirtschaft.[24] Die Gesellschaft sammelt und speichert personenbezogen Informationen, die die Bonität potentieller Waren- oder Geldkreditnehmer betreffen. Bei Bedarf werden diese Daten angeschlossenen Kreditinstituten übermittelt.[25] Das SCHUFA-Verfahren beruht auf dem Gegenseitigkeitsprinzip. Auskünfte werden nur Vertragspartnern erteilt, die ihrerseits Informationen übermitteln.[26] Kreditinstitute sind in der Regel durch sog. A-Verträge[27] angeschlossen.[28] Hieraus folgt, dass nicht nur „Negativmerkmale“, sondern ebenfalls positive und neutrale Daten mitgeteilt werden. Gegenstand des Informationsaustausches sind etwa Abschluss und Durchführung einzelner Rechtsgeschäfte (beispielsweise die Eröffnung eines Girokontos, die Einräumung eines Kredits inklusive geleisteter Sicherheiten, der Abschluss von Bürgschafts- oder Schuldbeitrittsverträgen, etc.).[29] Kreditinstitute teilen insbesondere vertragswidriges Verhalten des Bankkunden (Negativmerkmale) mit, etwa die Kündigung eines Kreditvertrags wegen Zahlungsverzugs,[30] die Kündigung des Girokontos wegen missbräuchlicher Nutzung oder eine Scheckrückgabe mangels Deckung.[31] Ziel ist, Vertragspartner vor Verlusten aus Kreditgeschäften zu schützen.[32]
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Der Datenbestand („Datenpool“) enthält ausschließlich Tatsachen im Sinne objektivierbarer Informationen. Wertende Beurteilungen, etwa Bonitätsbeurteilungen eines Bankkunden, gehören dementsprechend nicht zum Datenbestand;[33] ebenso wenig Informationen, die Einzelheiten der Vermögensverhältnisse des Bankkunden betreffen.[34] Sobald und soweit sich Änderungsbedarf ergibt, besteht die Verpflichtung, den Datenbestand unverzüglich durch eine „Nachmeldung“ zu berichtigen.[35] Dementsprechend ist etwa mitzuteilen, wenn ein gekündigtes Kreditengagement später, entgegen der ursprünglichen Intention, fortgesetzt wird.[36] Bei Auskünften im Vorfeld von Kreditgeschäften hat sich zur näheren Einordnung des Kreditrisikos das sog. „score-Verfahren“[37] etabliert. Der „sore-Wert“ wird empirisch ermittelt und beinhaltet Erfahrungswerte, die den Verlauf vergleichbarer Geschäftsverhältnisse mit Kreditnehmern betreffen.[38] Diese Referenzwerte liefern die Basis für die Ermittlung eines Wahrscheinlichkeitswertes („score-Werts“), der abstrakt das spezifische Kreditrisiko vergleichbarer Kreditverträge umschreibt.[39] Eine konkrete Bonitäts- bzw. Kreditausfallbewertung mit Bezug zu individuellen Geschäftsverhältnissen eines Bankkunden beinhaltet diese Prognose dementsprechend nicht.[40] Der Auskunft suchende Vertragspartner hat für die jeweils begehrte Anfrage ein berechtigtes Interesse glaubhaft darzulegen.[41] Informationen dürfen nur mitgeteilt werden, wenn sie für die vom Anfragenden mitgeteilten Zwecke erforderlich sind.[42] Wegen der spezifischen Risiken, die mit der Vergabe eines Kredits verbunden sind, sind Banken berechtigt, bereits vor Abschluss derartiger Rechtsgeschäfte Auskünfte über den potentiellen Vertragspartner einzuholen. Bankmitarbeiter können im Wege der SCHUFA-Auskunft auch Informationen erlangen, die gewerbliche Kreditnehmer betreffen. Das Informationsspektrum wurde zuletzt ebenfalls in den gewerblichen Bereich hinein erweitert.[43] Seit 2006 bietet die SCHUFA im Rahmen der „SCHUFA BusinessLine“ Daten an, die gewerbliche Kreditnehmer betreffen.[44]
2. Bankauskunftsverfahren
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Banken erteilen auf Anfrage gegenüber Dritten, auch anderen Kreditinstituten,[45] Auskünfte über die Bonität ihrer Kunden. „Bankauskünfte“ zählen zu den Dienstleistungen von Kreditinstituten im Geschäftskundenbereich.[46] Die Übermittlung von Bonitätsbeurteilungen über „Kaufleute“ entspricht einem langjährigen, international geübten Handelsbrauch.[47] Geschäftskunden holen nicht selten Informationen über die wirtschaftlichen Verhältnisse (potentieller) Geschäftspartner ein. Umgekehrt muss diese Bankklientel damit rechnen, dass sich Dritte, zu denen