Handbuch des Strafrechts. Jan C. Joerden
rel="nofollow" href="#u7c2a1d82-ce20-4804-919c-5c4fc2be8007">Rn. 86 ff.).[183]
78
Der durch ein bestimmtes Verhalten ausgelöste Kausalverlauf als solcher bildet keinen Anknüpfungspunkt für die nationale Staatsgewalt. Deshalb bieten sog. Transitdelikte, bei denen Tatobjekt oder Tatmittel auf ihrem Weg vom ausländischen Handlungs- zum ausländischen Erfolgsort das Inland durchqueren (z.B. bei einem in Österreich aufgegebenen, über Deutschland an den niederländischen Empfänger übermittelten Brief beleidigenden Inhalts), dem sog. Durchgangsstaat keinen Anknüpfungspunkt für seine hoheitliche Strafgewalt.[184] Etwas anderes gilt nur, wenn der Transport durch das Inland selbst eine Tathandlung nach deutschem Recht darstellt (wie z.B. bei der nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 2 BtMG strafbaren Durchfuhr von Betäubungsmitteln).[185]
2. Täter und Teilnehmer im Strafanwendungsrecht
79
„Tat“ im Sinne der §§ 3 ff. StGB erfasst nach herrschender Meinung sowohl die Beteiligung als Täter als auch als Teilnehmer.[186] Schließlich sind die gängigen Kriterien für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme für die maßgeblichen Anknüpfungspunkte von Territorialitätsprinzip, Personalitätsprinzipien, Real- und Weltrechtsprinzip nicht von Bedeutung.[187] Dass in § 9 StGB zwischen dem Ort der „Tat“ im Sinne der Täterschaft (Abs. 1) und dem Ort der Teilnahme (Abs. 2) unterschieden wird, steht dem nicht entgegen. Hiermit wird nur der Begehungsort der Teilnahme geregelt, nicht aber die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bestimmt, die allein § 3 StGB normiert.[188] Ebenso wenig schließt Art. 103 Abs. 2 GG die vorstehende Deutung aus.[189]
80
Dass bei der Auslegung der §§ 3 ff. StGB jedenfalls nicht uneingeschränkt an die deutsche Beteiligungsdogmatik angeknüpft werden darf, zeigt sich auch in mehreren Nummern des § 5 StGB sowie in § 7 Abs. 2 StGB, in denen das Gesetz jeweils vom „Täter“ spricht. Würde dieser Begriff naheliegend im Sinne des § 25 StGB verstanden werden und Teilnehmer im Sinne der §§ 26, 27 StGB ausschließen, zöge dies nicht verständliche Folgen nach sich. Exemplarisch lässt sich dies an der Vorschrift des § 5 Nr. 9 lit. b StGB aufzeigen, nach der auf einen im Ausland durchgeführten Schwangerschaftsabbruch § 218 StGB anwendbar ist, „wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher ist und seine Lebensgrundlage im Inland hat“. Sollte ein deutscher Arzt mit Lebensmittelpunkt in Aachen in den Niederlanden eine Abtreibung vornehmen, könnte er demzufolge in Deutschland nach § 218 StGB verurteilt werden.[190] Gleiches müsste aber für den niederländischen Arzthelfer gelten, der ihm bei dem Eingriff assistiert und in seiner Person nicht die besonderen Voraussetzungen des § 5 Nr. 9 lit. b StGB erfüllt, wenn „Täter“ im Sinne dieser Norm tatsächlich als „Täter“ im Sinne der Beteiligungslehre verstanden würde. Diese Abhängigkeit der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf den Teilnehmer von der Staatsangehörigkeit und/oder dem Lebensmittelpunkt des Täters erscheint jedoch nicht nachvollziehbar, da sich die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf den Täter gerade auf das aktive Personalitätsprinzip zu stützen vermag.[191] Ohnehin bleibt zu bedenken, dass die Unterscheidung der (deutschen) Beteiligungslehre zwischen Täter und Teilnehmer für den Inlandsbezug nicht relevant ist, den § 5 StGB mit seiner Anknüpfung an verschiedene völkerrechtliche Prinzipien voraussetzt.[192] Daher wird hier zu Recht ein eigener strafanwendungsrechtlicher Täterbegriff vertreten, der sowohl Täter als auch Teilnehmer im Sinne der Beteiligungslehre erfasst.[193] Bei § 5 Nr. 9 lit. b StGB muss daher nicht nur der Täter, sondern auch der Teilnehmer Deutscher sein und seine Lebensgrundlage im Inland haben.[194]
81
Fraglich erscheint angesichts dieser von der Beteiligungslehre unabhängigen Überlegungen ebenso die von der herrschenden Meinung befürwortete Zurechnung von Begehungsorten bei Mittätern und mittelbaren Tätern. Demnach sollen Mittätern ebenso sämtliche Begehungsorte untereinander gemäß § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden[195] wie mittelbaren Tätern gemäß § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB die Begehungsorte ihres menschlichen Werkzeugs.[196] Hierfür scheint bei Mittätern etwa der Grundsatz der wechselseitigen Zurechnung zu sprechen. Denn wenn sich Mittäter untereinander die Tatbeiträge ihrer Komplizen zurechnen lassen müssen, könne schließlich nichts anderes für ihre Begehungsorte gelten.[197] Nach der Rechtsprechung soll sogar an dem Ort, an dem ein Mittäter Vorbereitungshandlungen erbringt, auf deren Vornahme sich sein Tatbeitrag beschränkt, ein Handlungsort für sämtliche Mittäter begründet werden.[198]
82
Allerdings bleibt hierbei außer Betracht, dass die Zurechnung von Tatbestandsmerkmalen gerade bei arbeitsteiligem Verhalten dem Umstand geschuldet ist, ansonsten keinem der Mittäter die vollständige Verwirklichung des jeweiligen Straftatbestandes vorwerfen zu können. Dagegen weist die Tat eines Mittäters auch ohne Zurechnung der Begehungsorte eines anderen Mittäters bereits einen eigenen Erfolgsort sowie – jedenfalls bei Beteiligung im Ausführungsstadium der Tat – einen eigenen Tätigkeitsort auf. Einer Zurechnung bedarf es demzufolge nicht, um Anknüpfungspunkte für die Anwendbarkeit der nationalen Strafrechtsordnungen zu begründen.[199] Ebenso wenig erscheint es bei dem mittelbaren Täter notwendig, ihm den Begehungsort des Vordermannes zuzurechnen. Schließlich weist der mittelbare Täter bereits einen eigenen Tätigkeitsort an dem Ort seiner erfolgsursächlichen Einwirkung auf den Tatmittler auf.[200] Nach anderer Auffassung wird daher der Begehungsort eines Mittäters ebenso wenig den anderen Mittätern zugerechnet[201] wie der Begehungsort eines Tatmittlers dem mittelbaren Täter.[202]
83
Problematisch erscheint gleichfalls die in § 9 Abs. 2 S. 1 StGB angeordnete Zurechnung von Begehungsorten des Täters gegenüber dem Teilnehmer. Nach § 9 Abs. 2 S. 1 Var. 1 StGB ist die Teilnahme unter anderem „an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist“. Über diese Regelung werden dem Teilnehmer sämtliche Begehungsorte sämtlicher (insbesondere Mit-)Täter als eigene zugerechnet. Dies führt – was unter anderem bei grenzüberschreitenden (ethisch wie) rechtlich umstrittenen Forschungsprojekten Strafbarkeitsrisiken hervorruft (Rn. 93 ff.) – zu einer nicht unbedenklichen Vervielfältigung von Teilnahmeorten.[203] Dass diese gesetzliche Regelung nicht zu überzeugen vermag, verdeutlicht ein Vergleich mit der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei der Einheitstäterschaft im Fahrlässigkeitsbereich. Sollte im Grenzgebiet zwischen Deutschland und der Schweiz ein Täter von Deutschland aus vorsätzlich einen Grenzbeamten in der Schweiz mit einer Waffe verletzen, die ihm in Kenntnis des Tatplans in Österreich ausgeliehen wurde, würde sowohl auf Täter (§ 9 Abs. 1 Var. 1 StGB) als auch auf Teilnehmer (§ 9 Abs. 2 Var. 1 StGB) das deutsche Strafrecht anwendbar sein. Fehlt hingegen sowohl Täter als auch Teilnehmer der Vorsatz im Hinblick auf eine Verletzung des Grenzbeamten, weil sie ihn durch den Schuss etwa nur erschrecken, nicht aber etwa treffen wollen, wäre zwar für den Schützen gemäß § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB nach wie vor deutsches Strafrecht anwendbar. Für die fahrlässige Körperverletzung durch denjenigen, der dem Schützen die Waffe in Kenntnis des nicht ungefährlichen Tatplans verleiht, könnte hingegen für den Tätigkeitsort wegen seiner täterschaftlichen Haftung im Fahrlässigkeitsbereich nur auf dessen eigenen sorgfaltspflichtwidrigen Beitrag abgestellt werden, der indessen in Österreich erbracht wurde. Ob dieses unterschiedliche Ergebnis nur mit dem lediglich fahrlässigen statt vorsätzlichen Verhalten begründet werden kann, dürfte zu bezweifeln sein. Es spricht daher viel dafür, generell bei Tätern und Teilnehmern nur auf den eigenen Tätigkeitsort (sowie den in der Regel gemeinsamen Erfolgsort) abzustellen und von einer Zurechnung der Tätigkeitsorte abzusehen.
3. Irrtümer über das Strafanwendungsrecht
84
Welche Rechtsfolgen Fehlvorstellungen über den räumlichen Geltungsbereich nach sich ziehen, hängt maßgeblich von der Natur der Regelungen der §§ 3 bis 7, 9 StGB ab. Die herrschende Meinung ordnet die strafanwendungsrechtlichen Voraussetzungen als objektive Bedingungen der Strafbarkeit ein.[204] Schließlich sei es eine völkerrechtliche