Handbuch des Strafrechts. Jan C. Joerden
oder von dessen Vorstellungen abhängen, sondern sei nach objektiven Kriterien zu bestimmen.[205] Fehlvorstellungen über die Voraussetzungen der §§ 3 bis 7, 9 StGB, z.B. über den Begehungsort der Tat (§ 9 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB) oder über die Staatsangehörigkeit des Opfers (§ 7 Abs. 1 StGB), sollen demnach zumindest keinen Tatumstandsirrtum begründen.[206]
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Selbst auf dem Boden der herrschenden Ansicht bleiben Irrtümer über den räumlichen Geltungsbereich indessen nicht stets völlig unbeachtlich. Denn die Einordnung der Voraussetzungen des Strafanwendungsrechts als objektive Bedingungen der Strafbarkeit bedeutet nicht, dass ihnen kein Unrechtsgehalt zuteilwird.[207] Vielmehr bleibt zu berücksichtigen, dass sich die Beurteilung eines Verhaltens als Unrecht erst auf der Grundlage einer spezifischen Rechtsordnung ergibt. Auch die konkrete verletzte Rechtsordnung stellt somit einen eigenen Bezugspunkt für einen Irrtum dar.[208] In eine ähnliche Richtung argumentiert der BGH, wonach – aufgezeigt an dem Schutz der inländischen Strafrechtspflege durch den Tatbestand der Strafvereitelung gemäß § 258 StGB – einem Verbotsirrtum unterliege, wer die vom verwirklichten Straftatbestand umfasste spezifische Rechtsgutsverletzung nicht als Unrecht erkenne.[209] Fehlvorstellungen über die Anwendbarkeit einer Strafrechtsordnung können demzufolge einen Verbotsirrtum nach sich ziehen.[210]
1. Reichweite des nationalen Strafrechts im Internet
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Ein ungeklärtes Problem bildet nach wie vor die Anwendbarkeit des nationalen Strafrechts auf Straftaten im Internet. Für Straftaten, die mittels des Internets begangen werden, d.h. Rechner und Computernetzwerke als Tatmittel einsetzen, sind zunächst die allgemeinen Grundsätze heranzuziehen. Der Tätigkeitsort gemäß § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB liegt demzufolge am Ort der auf die Tatbestandsverwirklichung gerichteten Handlung (Rn. 71), d.h. dort, wo der Täter an seinem netzwerkfähigen Gerät sitzt und Befehle etc. über das Internet sendet. Der Erfolgsort im Sinne des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB bleibt dort zu verorten, wo die von der jeweiligen Strafvorschrift erfassten Auswirkungen eintreten (Rn. 72), häufig somit an dem Ort, an dem sich der Zielrechner befindet, der im Rahmen der Tat angesprochen wird. Wer sich also beispielsweise von Kanada aus unbefugten Zugriff auf einen Zielrechner in Portugal verschafft, begeht eine entsprechende Straftat sowohl in Kanada als auch in Portugal. Wer von den Niederlanden aus Lebenserhaltungssysteme in einem Krankenhaus in Japan manipuliert und dadurch den Tod eines Patienten hervorruft, begeht die Tat sowohl in den Niederlanden als auch in Japan. Es versteht sich von selbst, dass die zur Illustration genannten Staaten beliebig gewählt und ohne Verlust einer inhaltlichen Aussage auch durch allgemeine Platzhalter A, B, C etc. ersetzt werden können.
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Denkbar erscheint, ebenso das Strafrecht derjenigen Staaten anzuwenden, über deren Territorium die via Internet verbreiteten Befehle, Daten etc. befördert werden. Einer solchen Lösung steht aber bereits das praktische Element entgegen, dass der Nachweis des konkreten Datenweges mit enormen Schwierigkeiten verbunden wäre, vor allem die dezentrale Struktur des Internets mit seinen Routern zur Folge hat, dass selbst Teile ein und derselben transferierten Datei über verschiedene Wege vom Ausgangs- zum Zielrechner gesendet werden können. Insbesondere lassen sich hier jedoch die Überlegungen zum Transitdelikt übertragen, wonach allein die Beförderung von Tatobjekten oder Tatmitteln grundsätzlich noch nicht die Ausübung der nationalen Strafgewalt legitimiert (Rn. 78). Demzufolge begründet allein die Versendung von Daten über das Territorium eines Staates noch nicht die Anwendbarkeit dessen Strafrechtsordnung.
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Während somit auf Straftaten mittels des Internets die allgemeinen Grundsätze zum Strafanwendungsrecht ohne weiteres übertragen werden können, bereiten Straftaten im Internet, d.h. rechtswidrige Veröffentlichungen in dessen mannigfaltigen Kommunikationsdiensten, nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Aufgrund der dezentralen Struktur und zugleich fehlenden Abhängigkeit des Internets von staatlichen Grenzen können Inhalte, die jemand von seinem Rechner in einem bestimmten Staat aus im Internet (z.B. auf Webseiten, in Meinungsforen oder auf Plattformen sog. sozialer Netzwerke) ohne Zugangsbeschränkung veröffentlicht, grundsätzlich weltweit abgerufen werden. Äußerungen im Internet ist folglich gemein, die Hoheitsgewalt und das Territorium zahlreicher, in der Regel sogar sämtlicher Staaten der Welt zu betreffen; insoweit kann von einem sog. multiterritorialen Delikt (Rn. 77) gesprochen werden. Bereits den Abruf oder sogar die bloße Abrufbarkeit solcher Daten in einem Staat ausreichen zu lassen, damit dessen Strafrecht Anwendung findet, führte jedoch dazu, dass sich jegliche frei im Internet veröffentlichte Äußerung an den Strafrechtsordnungen sämtlicher Staaten der Welt messen lassen müsste. Es würden letztlich somit die jeweils restriktivsten nationalen Strafgesetze über die Strafbarkeit von Inhalten im Internet entscheiden.[211]
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Es gibt verschiedene Ansätze, mit den geschilderten Besonderheiten des Internets zu verfahren.[212] So wurden insbesondere in den Anfängen der Diskussion Vorschläge unterbreitet, die an die technischen Eigenschaften des Internets anknüpfen wollten, um die Reichweite der nationalen Strafgewalt bei Äußerungen im Internet zu bestimmen. Beispielsweise plädierte Sieber für die Anerkennung eines sog. Tathandlungserfolgs als Erfolg im Sinne des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB.[213] Darunter sei „jede vom Täter verursachte, ihm zurechenbare und im einschlägigen Tatbestand genannte Folge seiner Handlung“ zu verstehen.[214] Bei der Tathandlung des Zugänglichmachens, die viele Äußerungsdelikte enthalten, würde daher an jedem Ort ein Erfolgsort begründet werden, an dem der Täter die Möglichkeit zur Kenntnisnahme eröffne. Dies setze bei der Verbreitung von Inhalten im Internet voraus, dass der Täter Daten aktiv (mittels sog. Push-Technologie) auf einen Rechner weiterleite, während bei Veranlassung eines Datentransfers durch einen Dritten (mittels sog. Pull-Technologie) ein Tathandlungserfolg abzulehnen bleibe.[215] Im Ergebnis zumindest ähnlich, wenngleich bei § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB verortet, schlug vornehmlich Cornils vor, bei Äußerungsdelikten im Internet einen Handlungsort nicht nur am Aufenthaltsort des Täters, sondern auch an dem Standort desjenigen Rechners anzunehmen, auf welchem der Täter gezielt und kontrolliert eine Datei speichert.[216] Diese differenzierten Vorschläge vermögen indes nicht zu überzeugen, weil sie zu sehr an die technischen Besonderheiten des Internets und somit zu sehr an den Zufall (z.B. der Belegenheit des vom Täter adressierten Servers) anknüpfen.[217] Sofern eine Ausweitung des Handlungsortes erwogen wird,[218] bleibt außerdem einzuwenden, dass die geschilderten Ansätze den Handlungsbegriff zu überspannen drohen und vor allem nicht mehr hinreichend zwischen der Handlung und ihren Folgen differenzieren.[219] Demzufolge befindet sich der Handlungsort (auch und gerade bei Straftaten im Internet) allein an dem Ort der körperlichen Präsenz des Täters.[220]
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Mittlerweile wird erfreulicherweise wieder versucht, bei allen tatsächlichen Besonderheiten des Internets eine Lösung aus den rechtlichen Grundsätzen des Strafanwendungsrechts zu erarbeiten. Hierbei bleibt vorab zu bemerken, dass die meisten Äußerungsdelikte wie z.B. die Verbreitung pornographischer Schriften gemäß §§ 184 ff. StGB oder die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a StGB abstrakte Gefährdungsdelikte darstellen, eine Verletzung oder auch nur konkrete Gefährdung des jeweils geschützten Rechtsguts als tatbestandlichen Erfolg deshalb gerade nicht voraussetzen. Die Diskussion konzentriert sich demzufolge darauf, ob abstrakte Gefährdungsdelikte einen „zum Tatbestand gehörende(n) Erfolg“ im Sinne des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB aufweisen. Die herrschende Meinung verneint dies aus den geschilderten Gründen (Rn. 74), so dass bei abstrakten