Handbuch des Strafrechts. Jan C. Joerden
Forscher im Inland, sondern auch Projektbeteiligte, die allein im Ausland tätig werden. Einen etwaigen Erfolgsort ebenfalls einmal nur im Ausland unterstellt, wäre auf ihre Forschungsbeiträge wegen ihres eigenen lediglich ausländischen Tätigkeitsortes das deutsche Strafrecht in der Regel an sich nicht anwendbar. Etwas anderes ergibt sich allerdings wegen der nach herrschender Meinung weitgehenden Zurechnung von Begehungsorten zwischen den einzelnen Beteiligten (Rn. 81 ff.). Sollte an einem vollständig im Ausland stattfindenden und dort rechtlich zulässigen Projekt jemand aus Deutschland als (Mit-)Täter mitwirken und hierzulande das Vorhaben strafrechtlich untersagt sein, würde den Beteiligten im Ausland der Tätigkeitsort ihres (Mit-)Täters zugerechnet werden. Für die im Ausland tätigen Forscher läge somit gleichfalls eine Inlandstat vor und wäre deutsches Strafrecht anwendbar, und zwar unabhängig davon, ob das Gesamtvorhaben im Ausland straflos ist. Ebenso würde im Ausland tätigen Teilnehmern der Tätigkeitsort des hierzulande aktiven (Mit-)Täters über § 9 Abs. 2 S. 1 Var. 1 StGB zugerechnet werden.[233] Ein solches Ergebnis erscheint durchaus fragwürdig. Schließlich besteht der einzige Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf die im Ausland tätigen Wissenschaftler in der Mitwirkung einer Person von Deutschland aus. Unberücksichtigt bleibt hingegen völlig, dass sie sich regelkonform mit den Vorschriften ihres Aufenthaltsstaates verhalten, in dem das Projekt maßgeblich betrieben wird.
3. „Straftatentourismus“
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Angesichts der mittlerweile alltäglichen grenzüberschreitenden Kommunikation und der gestiegenen Mobilität erscheint eine an staatliche Grenzen gebundene Hoheitsgewalt schon fast als Anachronismus. Der einzelne Staat ist nahezu machtlos und vermag selbst mit Strafvorschriften das Verhalten seiner Bevölkerung nicht zu steuern, wenn es jedem ohne Weiteres möglich ist, sich in einen insoweit liberaleren Staat zu begeben und dort die hierzulande strafbare Tat im Einklang mit der dortigen Rechtsordnung zu begehen. Beispiele für ein solches Verhalten werden bereits praktiziert und sind nicht nur rein theoretischer Natur. So werden Spätabtreibungen in den Niederlanden vorgenommen, die einen Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen noch bis zur 22. Schwangerschaftswoche und nicht „nur“ bis zur 12. Schwangerschaftswoche wie in Deutschland zulassen.[234] Die Rede ist diesbezüglich von einem „Abtreibungstourismus“.[235] Eine ähnliche Situation ist im Bereich der Sterbehilfe im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Tätigkeit von Sterbehilfegesellschaften vorzufinden. Der hier praktizierte „Sterbetourismus“ dürfte nach der Einführung des zum 10. Dezember 2015 in Kraft getretenen § 217 StGB durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015[236] voraussichtlich weiter zunehmen.
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Unterschiedliche (straf)rechtliche Regelungen in den einzelnen Staaten lassen sich auch bei dem Umgang mit Äußerungen nicht zuletzt in den Kommunikationsdiensten des Internets bemerken. Das Spektrum der zu bekämpfenden Inhalte reicht insoweit von ehrverletzenden Kundgaben oder sonstige Persönlichkeitsrechte des Betroffenen beeinträchtigenden Veröffentlichungen (z.B. die unbefugte Publikation von Nacktbildern) bis hin zu links- wie rechtsextremistischer Propaganda und kinderpornographischen Dateien. Aufgezeigt am Beispiel des Umgangs mit rechtsextremistischen Äußerungen sind insoweit in Deutschland anlässlich seiner leidvollen Geschichte restriktive Regelungen zu verzeichnen, welche die Auseinandersetzung mit volksverhetzenden und ähnlichen Erklärungen dem Strafrecht überlassen und nicht nur der gesellschaftlichen Diskussion überantworten wollen. Wer sich hiesigen rechtlichen Konsequenzen entziehen will, begibt sich ggf. in einen ausländischen Staat, der z.B. die Leugnung des Holocaust oder die Verbreitung von Symbolen des NS-Regimes nicht unter Strafe stellt, um von dort aus – etwa über die Kommunikationsdienste des Internets – entsprechende Inhalte auch nach Deutschland zu verbreiten.[237]
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Fraglich ist, wie ein Staat auf solche Formen des „Straftatentourismus“ mit seinen beschränkten, grundsätzlich auf das eigene Territorium bezogenen Möglichkeiten reagieren soll. Auf rein nationaler Ebene stehen dem Gesetzgeber im Wesentlichen grundsätzlich zwei gangbare Wege zur Verfügung. Zum einen ist denkbar und wird in letzter Zeit auch zunehmend praktiziert (Rn. 53), die Staatsgewalt auf bestimmte Auslandstaten auszudehnen, indem die entsprechenden Strafvorschriften in den Katalog des § 5 StGB aufgenommen werden.
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Ein anderer Weg, die nationale Strafgewalt auszudehnen, um auch im Ausland vorgenommene Handlungen zu sanktionieren, die nach der eigenen Rechtsordnung als kriminell eingestuft werden, ist die Anknüpfung an Vorbereitungshandlungen im Inland. In jüngerer Zeit wurde dieses Verfahren etwa bei der Einführung der eigenständigen Strafvorschrift der Zwangsheirat in § 237 StGB angewandt, als in dessen Abs. 2 die sog. Heiratsverschleppung unter Strafe gestellt wurde, die der an sich zu bekämpfenden erzwungenen Eheschließung vorangeht. Die Zwangsheirat als solche findet aber nicht selten im Ausland statt, so dass hierauf die nationale Strafgewalt nicht ohne weiteres erstreckt werden kann (zur Heiratsverschleppung → AT Bd. 1: Brian Valerius, Strafrecht und Interkulturalität, § 25 Rn. 64).
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Solche Entwicklungen sind nicht völlig unkritisch zu begleiten. Es gilt, die Grenzen der eigenen Staatsgewalt anzuerkennen und zu begreifen, dass der nationale Gesetzgeber allein ohnmächtig ist, um gegen die Formen des Straftatentourismus oder auch gegen Verhaltensweisen im Generellen wirkungsvoll vorzugehen, die nach hiesiger Werteordnung strafwürdig erscheinen. Hier die grundsätzlich zur Verfügung stehenden Wege wie nicht zuletzt eine Erweiterung des Katalogs des § 5 StGB überzustrapazieren, zeugt weniger von einer Lenkungsgewalt des Gesetzgebers, sondern beinhaltet eher eine Missachtung anderer staatlicher Souveräne und droht den völkerrechtlichen Nichteinmischungsgrundsatz zu verletzen. Im Ausland dürfte ein derartig einseitiges Vorgehen des Gesetzgebers auch zu Recht einen befremdlichen Eindruck ob des demonstrierten Selbstbewusstseins des Gesetzgebers hinterlassen, seine Werteordnung auch außerhalb des eigenen Territoriums mit Mitteln des Strafrechts schützen und verbreiten zu wollen.[238] Nationale Alleingänge sind somit grundsätzlich nicht empfehlenswert, wenn entsprechende Verhaltensweisen wirklich bekämpft werden sollen und nicht nur die eigene Bevölkerung durch ein vermeintlich entschlossenes Auftreten beruhigt werden soll. Vielfach werden hierfür nur diplomatische Mittel verbleiben, um für das eigene Verständnis zu werben und entsprechende völkerrechtliche bi- und multilaterale Vereinbarungen zu schließen. Dieser Weg ist zwar lang und beschwerlich und führt nicht einmal sicher zum Ziel, ist aber nationalen Alleingängen vorzuziehen.[239]
4. Strafanwendungsrecht als Kollisionsrecht?
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In anderen Rechtsgebieten ist ein weitaus größeres Bemühen zu verzeichnen, internationale Sachverhalte nach einer einzigen Rechtsordnung zu regeln. So dient vor allem das Internationale Privatrecht dem Zweck, bei privatrechtlichen Sachverhalten mit Auslandsbezug aus mehreren denkbaren einschlägigen Rechtsordnungen diejenige auszuwählen, die allein anzuwenden bleibt.[240] Bei den entsprechenden Regelungen, die in Deutschland etwa in den Art. 3 ff. EGBGB zu finden sind, handelt es sich somit um echtes Kollisionsrecht.[241] Insoweit ist allerdings zu beachten, dass im Privatrecht bereits zahlreiche unionsrechtliche und staatsvertragliche Kollisionsnormen existieren, die – wie Art. 3 EGBGB ausdrücklich festhält – vorrangig heranzuziehen sind.[242]
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Ebenso sind dem Öffentlichen Recht Regelungen nicht fremd, die Kollisionen der einzelnen Hoheitsgewalten auflösen wollen, indem bei grenzüberschreitenden Sachverhalten das Verhältnis der eigenen zu anderen staatlichen Rechtsordnungen bestimmt wird.[243] Jedoch scheint eine intensivere Diskussion über ein „internationales öffentliches Recht“ – freilich nicht verstanden