Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen

Rechtsgeschichte - Susanne Hähnchen


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Nacht (Tagesgrenze um Mitternacht!) ein neues Jahr beginne.

      Servius Sulpicius Rufus (Konsul 51 v. Chr.) war ein Freund Ciceros und absolvierte wie dieser zunächst eine Ausbildung zum Rhetor, war aber nicht so erfolgreich. Sein Lehrer Quintus Mucius soll ihn wegen seiner für einen Patrizier schlechten Rechtskenntnisse getadelt und ausgebildet haben. Von Cicero wurde Servius später sehr gelobt, er habe als erster wissenschaftliche Methode in die Jurisprudenz gebracht. Der kurze Kommentar zum prätorischen Edikt von Servius begründete eine neue, in klassischer Zeit sehr stark verbreitete Literaturgattung (ad edictum).

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      Eine ihrer Aufgaben sahen die veteres in der Herausarbeitung von rechtlichen Regeln (regulae iuris). Die regula Catoniana aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. bezog sich auf Legate, also Vermächtnisse, mit denen der Erblasser einem Dritten nach seinem Tode etwas zukommen lassen wollte, ohne dass derjenige Erbe werden sollte. Diese Anordnung konnte aber aus verschiedenen Gründen unwirksam sein. Nach der regula Catoniana konnte ein bei Errichtung des Testaments unwirksames Vermächtnis nicht nachträglich wirksam werden; es kam also für die Beurteilung der Wirksamkeit ausschließlich auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung an. Anders geregelt ist das heute in § 2171 BGB, und auch schon die klassischen Juristen machten viele Ausnahmen von dieser regula.[12] Es ist typisch, dass die traditionsbewussten Klassiker im Prinzip an ihr festgehalten, sie aber praktisch durch die vielen Ausnahmen an die Bedürfnisse ihrer Zeit angepasst haben. Zu ihrer Zeit war die Regel nämlich noch richtig, denn das Vermächtnis wurde ursprünglich ausgesetzt im Rahmen einer Testamentserrichtung durch eine mancipatio (Rn. 68) unter Lebenden an einen Treuhänder (Rn. 169), der die Sache dem Vermächtnisnehmer nach dem Tode des Erblassers herausgeben sollte. Und über die Wirksamkeit einer solchen mancipatio entschieden natürlich die Umstände bei ihrer Vornahme und nicht die beim Erbfall.

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      Es gibt frühe Beispiele für die Ausfüllung von Lücken im Recht durch die auch uns bekannten (gegensätzlichen) Schlusstechniken Analogie und Umkehrschluss (argumentum e contrario). Im Gegenschluss zu XII tab. 4, 2 ließ man Enkel und Töchter schon nach einmaligem „Verkauf“ frei werden (Rn. 64). Eine Analogie wendete man an, wenn eine Klage nicht direkt auf einen Sachverhalt passte, aber Rechtsschutz doch geboten schien. Eine Version der legis actio sacramento (Rn. 56) hatte das Abholzen von Bäumen zum Gegenstand (actio de arboribus succisis). Die alten Juristen halfen mit ihr auch demjenigen, dem ein Übeltäter Weinreben (vites) abgeschnitten hatte, wobei der Wortlaut der Klage unverändert arbores (Bäume) nannte (Analogie).[13] Typisch für den frühen Formalismus ist es, dass man den Rechtsstreit verlor, falls man nicht das richtige Wort, also arbores, benutzte, obwohl es sich doch tatsächlich um Weinstöcke handelte. Später gab man dann aber analoge Klagen.

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      Um den Gegensatz von verba (objektive Form, reine Wortbedeutung) und voluntas (dahinterstehender, subjektiver Wille) ging es in der causa Curiana, dem berühmten Rechtsstreit des Curius.[14] Ein gewisser M. Coponius verfasste in dem Glauben, dass seine Frau schwanger sei, sein Testament: Wenn mein Kind unmündig stirbt, ist Erbe der M. Curius. Dabei handelte es sich um eine heute gem. § 2064 BGB nicht mehr zulässige sog. Pupillarsubstitution (Einsetzung eines Erben für ein Kind durch den Vater). Coponius starb, und es stellte sich heraus, dass seine Frau gar nicht schwanger war. Der Wortlaut des Testaments berücksichtigte diesen Fall nicht, aber sein Sinn war doch der, dass Curius den Nachlass erben sollte, wenn Coponius keinen eigenen Nachkommen hatte, nicht die gesetzlichen Erben. Im Prozess vertrat Quintus Mucius Scaevola (Rn. 113) die gesetzlichen Erben und verlor mit der von ihm vertretenen Bindung an den Wortlaut gegen den durch den Rhetor L. Licinius Crassus vertretenen Curius. Wir würden heute das Testament ebenfalls nach seinem Sinn zu Gunsten des Curius interpretieren. Der alten Formenstrenge entsprach hingegen die höhere Bedeutung der Form, die Rechtssicherheit gewährleistete. Mit der allgemeinen Entwicklung formfreier Geschäfte, auch unter dem Einfluss der griechischen Philosophie, vermittelt durch die Rhetorik, gewann hingegen der (als innere Tatsache schwieriger zu beweisende) Wille zunehmend an Bedeutung.

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      Der weitaus wichtigste Teil der Rechtsfortbildung in der Zeit der Republik wurde durch die Prätoren (Rn. 80) kraft ihrer Amtsgewalt (iurisdictio) bewirkt. Da sie immer nur für ein Jahr in ihr Amt gewählt waren, ließen sie sich sicher auch von rechtskundigen Männern beraten.

      Anfangs geschah die Rechtsfortbildung offenbar in der Weise, dass die Prätoren den Richtern Prozesse zur Entscheidung überwiesen, obwohl der Sachverhalt von den in iure vor dem Prätor durch die Parteien aufgesagten Klagformeln (legis actiones) gar nicht gedeckt war, so im Falle der abgeschnittenen Weinreben (Rn. 115).

      Dann aber erteilten die Prätoren – wohl zuerst in Verfahren mit Nichtrömern – den Parteien auf Grund des freien Sachvortrags schriftliche Klageformeln (formulae), ohne dass es des Aufsagens einer legis actio bedurfte. Im Rahmen dieser Anweisungen hatte dann der Richter (iudex) den Prozess zu entscheiden. Die lex Aebutia erkannte dieses Formularverfahren Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. dann auch unter römischen Bürgern als ziviles Verfahren an, was die allmähliche Zurückdrängung der Legisaktionen bewirkte. Abgeschafft wurde das ältere Verfahren aber erst unter Augustus (Rn. 140).

      Ähnlich wie die Prätoren wirkten die kurulischen Ädile (und in den Provinzen die Statthalter) in ihrem Amtsbereich, also auf dem Markt, wo es um das Kaufrecht ging.

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      Die von den einzelnen Prätoren (oder ihren Mitarbeitern) erfundenen Formeln wurden am Beginn des jeweiligen Amtsjahres als edictum auf weißen Holztafeln (album) publiziert. Dadurch konnte man sich informieren, welche Klagen und Einreden der Prätor anerkannte. Eine lex Cornelia de iurisdictione (67 v. Chr.) stellte klar, dass der Prätor den in seinem Edikt verheißenen Rechtsschutz im Einzelfall nicht verweigern durfte. Weitere Neubildungen waren aber möglich.

      Die Nachfolger im Amt übernahmen die bewährten Formeln ihrer Vorgänger in ihr eigenes Edikt (edictum tralaticium, überliefertes Edikt). Auf diese Weise entstand allmählich eine eigene Rechtsmasse, das ius praetorium, also das prätorische oder auch Amtsrecht (ius honorarium):

       Papinian Dig. 1, 1, 7, 1:

      Ius praetorium est, quod praetores introduxerunt adiuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia propter utilitatem publicam.

       Übersetzung:

      Prätorisches Recht ist das, was die Prätoren eingeführt haben, um das Zivilrecht zu unterstützen, zu ergänzen oder zu korrigieren im Interesse des öffentlichen Wohls.


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