Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen
von Ersitzung (usucapio) die folgenden Voraussetzungen heraus: res habilis (ersitzbare, d.h. nicht „gestohlene“ Sache), titulus (Rechtsgrund für den Erwerb, z. B. ein Kaufvertrag), fides (guter Glaube), possessio (Besitz). Mit Ablauf des tempus (der Ersitzungszeit) wurde der Erwerber, wenn des commercium teilhaftig, zivilrechtlicher Eigentümer (Eigentümer nach quiritischem Recht).
Ein weiterer Fall der Anwendung der actio Publiciana war der, dass dem Erwerber eine res mancipi (Rn. 67 f) nicht manzipiert, sondern nur formlos übergeben worden war. Auch hier wurde der Erwerber zivilrechtlicher Eigentümer nach Ablauf der Ersitzungszeit. Vorher war er durch die actio Publiciana gegenüber allen Dritten, die ihm die Sache wegnahmen, geschützt. Man spricht hier von prätorischem Eigentum, d.h. nach ius civile war man zwar noch nicht Eigentümer, erhielt aber dennoch Rechtsschutz nach dem Recht der Prätoren.
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Verlangte der Verkäufer selbst nach formloser Übergabe (traditio) einer res mancipi an den Erwerber die Sache heraus, so gewährte der Prätor dem Erwerber-Käufer eine exceptio rei venditae et traditae (Einrede der verkauften und übergebenen Sache). Mit ihrer Hilfe konnte der Käufer die Klage des Veräußerers, also die rei vindicatio, abwehren, obwohl der Verkäufer nach Zivilrecht noch Eigentümer war und ihm diese Klage theoretisch zustand. Zu einer solchen Konstellation konnte es etwa kommen, wenn der Käufer den Kaufpreis nicht bezahlt hatte und der Verkäufer „seine“ Sache zurück haben wollte. Die Einrede wurde folgendermaßen in die rei vindicatio des Verkäufers eingefügt:
Titius iudex esto. Si paret equum, qua de re agitur, Auli Agerii esse ex iure Quiritium, si non eum equum Aulus Agerius Numerio Negidio vendidit et tradidit, neque ea res Aulo Agerio arbitrio iudicis restituetur, quanti ea res erit, tantam pecuniam iudex Numerium Negidium Aulo Agerio condemnato, si non paret, absolvito.
Übersetzung:
Titius soll Richter sein. Wenn es sich herausstellt, dass das Pferd, worum es sich handelt, dem A.A. nach quiritischem Recht gehört, wenn nicht A.A. dieses Pferd dem N.N. verkauft und übergeben hat, und wenn diese Sache nicht dem A.A. nach dem Schiedsspruch des Richters zurückerstattet wird, wieviel diese Angelegenheit wert sein wird, zu soviel Geld soll der Richter den N.N. an A.A. verurteilen. Wenn es sich nicht herausstellt, soll er freisprechen.
Die exceptio war eine Anweisung an den iudex, den Beklagten unter bestimmten Voraussetzungen nicht zu verurteilen (Ausnahme vom Kondemnationsbefehl).
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Aufgrund formloser traditio war der Erwerber einer res mancipi nach prätorischem Recht praktisch wie ein ziviler Eigentümer geschützt. Damit wurde die aufwendige, förmliche mancipatio (Rn. 68) bereits in der klassichen Zeit an sich überflüssig, verlor in der Praxis jedenfalls stark an Bedeutung. Trotzdem blieb sie als Rechtsgeschäft noch bis in die spätklassische Zeit hinein üblich, allerdings nur beurkundet, nicht mehr wirklich vollzogen. In dogmatischer Hinsicht wandelte sich mit dem Aufkommen des Konsensualkaufs (Rn. 120) ihre Funktion von der eines formellen Barkaufs, der Grund- und Erfüllungsgeschäft in sich vereinigte, zu der eines abstrakten Übereignungsgeschäfts, das der Erfüllung aller möglicher Grundgeschäfte dienen konnte. Hier liegt eine der Wurzeln unseres sog. Abstraktionsprinzips.
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Weite Bereiche des zivilen Schuldrechts deckte die actio certae creditae pecuniae (condictio certae creditae pecuniae) ab, die Kondiktion (Rn. 56) im Formularverfahren, wörtlich: Klage auf einen bestimmten „kreditierten“ Geldbetrag (creditum von credere = anvertrauen, glauben):
Titius iudex esto. Si paret Numerium Negidium Aulo Agerio sestertium decem milia dare oportere, iudex Numerium Negidium Aulo Agerio sestertium decem milia condemnato, si non paret, absolvito.
Übersetzung:
Titius soll Richter sein. Wenn es sich herausstellt, dass Numerius Negidius dem Aulus Agerius 10 000 Sesterzen (aufgrund des römischen Zivilrechts) geben muss, soll der Richter den N.N. an A.A. zu 10 000 Sesterzen verurteilen. Wenn es sich nicht herausstellt, soll er freisprechen.
Dare oportere als Verpflichtung des Beklagten ist ein technisch zu verstehender Ausdruck für das Schulden aus einem zivilrechtlichen Grunde, insbesondere aus Schuldversprechen (stipulatio, Rn. 72), Darlehen (mutuum) oder Übereignung (datio) ohne Rechtsgrund. Auch aus Verbrauch (consumptio) einer fremden Sache – die der ehemalige Eigentümer ja nun nicht mehr mit der rei vindicatio (Rn. 121) heraus verlangen konnte – stand ihm stattdessen die condictio zu (vgl. Rn. 379 f).
Die Anfänge einer Haftung wegen ungerechtfertigter Bereicherung gehen weit in die Zeit der uneingeschränkten Herrschaft des Legisaktionenprozesses (Rn. 56 ff) zurück. Allerdings ging diese Klage nicht wie heute, § 818 III BGB – auf die Herausgabe der noch vorhandenen Bereicherung, sondern grundsätzlich auf das Erlangte.[16] Einzelheiten sind nicht überliefert, aber der Ausgangstatbestand war wohl der, dass jemand quiritisches Eigentum ohne einen rechtfertigenden Grund erlangte. Durch datio erfolgte also eine wirksame, aber hinsichtlich des Behaltendürfens rechtsgrundlose Übereignung. Der Erwerber war dann auf Grund der legis actio per condictionem – kurz condictio – zur Rückerstattung gehalten.
Der Darlehensnehmer hingegen hatte nur einen zeitlich begrenzten Grund, das ihm übereignete Geld zu behalten, und war nach Ablauf der Darlehensfrist ebenfalls mit der condictio in Anspruch zu nehmen. Das mutuum ist im Übrigen ein sog. Realkontrakt, also ein Vertrag, für dessen wirksame Bindung die Hingabe einer Sache (res) nötig war. Als weitere Realverträge nennen die nachklassischen Quellen[17] commodatum (Leihe), depositum (Verwahrung) und pignus (Verpfändung). Die ebenfalls mit condictio klagbare Stipulation (vgl. auch Rn. 72) eines bestimmten Leistungsgegenstandes (certum) hingegen war ein Verbalvertrag, weil sie durch Worte (verba) zustande kam.
Das Besondere an der condictio ist nun ihre Abstraktheit, d.h. sie nennt – anders als alle anderen zivilrechtlichen Klagen – den ihr zugrunde liegenden konkreten Grund nicht. Der Richter musste die möglichen zivilrechtlichen Schuldgründe kennen, um über den Vortrag bzw. Beweis der Parteien entscheiden zu können. Die Klage enthielt auch – anders als beispielsweise die Klage aus Kauf (Rn. 131) – keinen Hinweis darauf, dass der Richter bei seiner Entscheidung das Prinzip von Treu und Glauben (heute § 242 BGB) beachten sollte. In das ursprünglich so strenge, formale, römische Recht ist dieses generelle Prinzip erst verhältnismäßig spät aufgenommen worden.
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Cicero berichtet anschaulich anhand eines praktischen Falles, sein Kollege C. Aquilius Gallus (wohl als Prätor im Gerichtshof gegen Wahlbestechungen) habe die doli formulae (Formeln wegen Arglist) aufgebracht.[18] Dazu ist die exceptio doli (Einrede der Arglist) zu zählen, hier eingefügt in eine actio certae creditae pecuniae:
Titius iudex esto. Si paret N.N. A.A. sestertium decem milia dare oportere, si in ea res nihil dolo