Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen

Rechtsgeschichte - Susanne Hähnchen


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und Zensur besetzte man nicht mehr, da der Kaiser deren Kompetenzen ausübte.

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      Die Volksversammlungen (Rn. 88 ff) wurden noch für die Einsetzung der Magistrate benutzt. An die Stelle einer echten Wahl trat jedoch der Vollzug der Kandidatenempfehlung des princeps. Die Komitialgerichtsbarkeit war schon in der letzten Zeit der Republik durch Einrichtung von Strafgerichtshöfen (quaestiones) verdrängt worden, besonders unter Sulla (Rn. 98).

      Augustus ließ noch Volksgesetze verabschieden: Ehegesetze (Rn. 149), Gesetze zur Einschränkung von Sklavenfreilassungen (Rn. 150) und zur Abschaffung des in der Praxis bereits vom Formularverfahren verdrängten Legisaktionenprozesses (Rn. 56 ff, 117).

      Die Gesetzgebung verlagerte sich aber zunehmend von den Volksversammlungen auf den Senat: es gab nun vermehrt senatus consulta, Senatsbeschlüsse, auch auf dem Gebiet des Privatrechts. In den ersten Jahrzehnten fungierte der Senat auch als Kriminalgericht in politisch heiklen Fällen.

      Der Senat (Rn. 87) wurde mit Rücksicht auf das Recht des princeps, die Senatoren zu berufen, zu einem kaiserlichen Akklamationsorgan, d.h. die ehemaligen Herren im Staate durften nun dem Einzelherrscher zustimmend applaudieren. Wenn auch unter der Oberhoheit des princeps, so verblieb dem Senat immerhin die Verwaltung der Senatsprovinzen und der Senatskasse (aerarium populi Romani). In die den Kaisern besonders nahe stehende Provinz Ägypten durften Senatoren nur mit kaiserlicher Genehmigung reisen.

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      Senatoren- und Ritterstand (Rn. 75) blieben im Prinzipat erhalten. Die Position des princeps gegenüber dem Senatorenstand war durch den Gesichtspunkt der Aussöhnung, gegenüber der Ritterschaft durch die Einräumung von Vertrauenspositionen bestimmt. Für die adlectio in den Senat (durch den Kaiser) war ein Vermögen im Werte von 1 oder 1,2 Millionen Sesterzen Voraussetzung, für die Erhebung in den Ritterstand von 400 000 Sesterzen. Senatoren waren Provinzstatthalter, sogar in den kaiserlichen Provinzen. Auch der praefectus urbi für Rom war Senator. Rittern (equites) stand die Provinzstatthalterschaft in kleineren Provinzen zu sowie die in Ägypten. Sie bekleideten die Ämter des praefectus annonae (Getreideversorgung Roms), des praefectus praetorio (zunächst Kommandant der kaiserlichen Schutztruppe, der Prätorianer, gegen Ende des Prinzipats der höchste Minister), des praefectus vigilum (städtische Feuerwehr) und der principales officiorum (Leiter der kaiserlichen Kanzleien).

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      Wie sich schon aus der vorstehenden Aufzählung ergibt, entstand im Prinzipat ein kompliziertes System der kaiserlichen Verwaltung für Rom und das Reich. Zu erwähnen sind auf diesem Gebiet cohortes urbani (Stadtpolizei), der cursus publicus (Staatspost, nicht für das allgemeine Publikum), die curatores für Wasserleitungen, öffentliche Bauten und anderes. Das vom Senat verwaltete aerarium wurde vor allem von der Grundsteuer aus den Senatsprovinzen und von der Bürger-Kopfsteuer gespeist. In den fiscus Caesaris (kaiserliches Staatsvermögen) gelangten u. a. die Grundsteuern aus den kaiserlichen Provinzen. Das aerarium militare diente der Versorgung der ehemaligen Soldaten (Veteranen) mittels Erbschafts- und Auktionssteuer. Das Privatvermögen des Kaisers (Krongut im Gegensatz zum Staatsgut) hieß patrimonium Caesaris. Kaiserliche Kanzleien waren die officia a memoria (Personalwesen), ab epistulis (Berichte und Anfragen von Beamten) sowie a libellis (private Eingaben, praktisch oft in Rechtsangelegenheiten). Seit Augustus gab es ein stehendes Heer aus Legionen (in den Grenzprovinzen), provinzialen Hilfstruppen (der Dienst bei ihnen führte oft zum Erwerb des römischen Bürgerrechts) und der Prätorianergarde (in Rom).

      In der näheren und weiteren Umgebung Roms sollten von Augustus eingerichtete Polizeistationen mit Strafgewalt die innere Sicherheit vor allem auf den Straßen gewährleisten. Die legati Augusti pro praetore in den Provinzen hatten vornehmlich militärische Aufgaben. Mit der Einführung der Besoldung für die Provinzstatthalter (eine Million Sesterzen jährlich für Prokonsulare) verminderte sich die Ausbeutung der Provinzialen. Persönliches „Gehalt“ und Mittel für die Amtsaufgaben waren aber noch nicht getrennt. Provinziallandtage (concilia), beschickt von Vertretern der Gemeinden, befassten sich vor allem mit dem Kaiserkult, seltener mit Verwaltungsangelegenheiten.

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      Von den Einwohnern des Reiches hatte weiterhin zunächst nur eine Minderheit das Bürgerrecht (Rn. 42, 75 f). Durch die Gründung von Kolonien und die Erhebung von Gemeinden zu Titularkolonien erhielten jedoch viele Provinzbewohner das latinische Recht (Bürgerrecht ohne Wahlrecht), Ratsherren der Städte auch das volle Bürgerrecht. Die Provinzen wurden so zunehmend romanisiert, aber im Gegenzug gelangten ehemals „Fremde“ in höchste Positionen des Reiches. So waren die flavischen Kaiser noch Italiener, Trajan (98-117) und Hadrian (117-138) waren Spanier, Antoninus Pius (138-161) stammte aus Südfrankreich, Alexander Severus (222-235) aus Syrien. Die Soldatenkaiser des 3. Jahrhunderts kamen vom Balkan, aus Syrien oder Nordafrika.

      212 n. Chr. verlieh der Kaiser Antoninus Caracalla grundsätzlich allen freien Einwohnern des Reiches das Bürgerrecht (constitutio Antoniniana). Ausgenommen waren nur die dediticii. Wer damit gemeint war, ist nicht genau zu sagen. Es waren wohl nicht die peregrini dediticii (Rn. 76), sondern gewisse zu schweren Kriminalstrafen verurteilte Personen. Caracalla handelte nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern um die Bürger-(Kopf-)Steuer von mehr Steuerpflichtigen einziehen zu können. Mit dieser constitutio Antoniniana entstand das später unter den Schlagworten Reichsrecht und Volksrecht diskutierte Problem. Denn natürlich gebrauchten die Neubürger nun nicht auf einmal das ihnen oft fremde römische Recht, sondern blieben mehr oder weniger bei ihrem vertrauten Heimatrecht. Das gilt vor allem für den kulturell eigenständig (hellenistisch) gebliebenen Osten des Reiches, insbesondere für Ägypten mit seiner ausgeprägten Rechts- und Verwaltungstradition.

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      Die wirtschaftliche Entwicklung verlief zunächst günstig, wobei natürlich nicht übersehen werden darf, dass die Masse der Menschen nach heutigen Maßstäben recht kümmerlich lebte, oft nur am Rande des Existenzminimums. Der Zustrom neuer Sklaven verringerte sich. Deshalb ging man in der Landwirtschaft zunehmend zum Pachtsystem über. Den Pächtern (coloni) wurde teilweise schon im späten Prinzipat verboten, ihre Pachtstelle zu verlassen. So bereitete sich die im Dominat und germanischen Recht übliche Bindung an die Scholle vor.

      Die damaligen Produktionsmöglichkeiten konnten die Bedürfnisse des Militär- und Beamtenapparates auf die Dauer nicht voll befriedigen. Das republikanische System der Steuerverpachtung wurde zunehmend durch staatliche Eintreibung ersetzt. Zwangsmaßnahmen sollten die Erträge sichern, beschleunigten aber im Ergebnis nur den Niedergang der Wirtschaft. So wurden die zunächst freiwilligen Zusammenschlüsse (collegia) der Gewerbetreibenden (Kaufleute, Handwerker) gegen Ende des Prinzipats zunehmend zu Zwangskorporationen, in denen die Mitgliedschaft sogar vererblich war. Söhne waren also gezwungen, den Beruf des Vaters fortzuführen. Die Korporation haftete kollektiv für die von ihr zu erbringenden Leistungen. Die Ratsherren der Gemeinden wurden mit ihren Privatvermögen für das von der Gemeinde geschuldete Steueraufkommen verantwortlich gemacht. Auf diese Weise


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