Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen

Rechtsgeschichte - Susanne Hähnchen


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verlor faktisch an Boden. Ausdrücklich abgeschafft wurde er durch eine Kaiserkonstitution im Jahre 342 n. Chr.[8] In der Praxis der extraordinaria cognitio entstand auch der Instanzenzug an den Kaiser, genauer an das mit kaiserlichen Juristen besetzte consilium (Rat). Schließlich bildete sich der Grundsatz heraus, dass der Kaiser jedes Gerichtsverfahren an sich ziehen konnte und dass jedermann in jedem Verfahren an den Kaiser appellieren durfe.

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      Für die Rechtsfortbildung im Prinzipat erlangten kaiserliche Erlasse zunehmende Bedeutung. Diese Kaiserkonstitutionen (constitutiones principum) unterteilt man wie folgt: Edikte behandelten allgemeine Fragen verbindlich und waren auf dem Gebiet des Privatrechts eher selten. Die constitutio Antoniniana des Kaisers Caracalla (Rn. 143), durch welche die meisten Einwohner des Reiches das römische Bürgerrecht erhielten, zählt zu den edicta. Auch die endgültige Redaktion des prätorischen Edikts (Rn. 155) könnte auf einer solchen Verordnung beruhen. Mandate (mandata = Befehle, Weisungen) hingegen waren Dienstanweisungen an Beamte, oft mit genereller Bedeutung im Sinne einer Verwaltungsanordnung. Ein Beispiel dafür ist der Gnomon des Idios Logos, eine Dienstanweisung für den Verwalter gewisser Einkünfte des Kaisers aus Erbschaften und Domänen in Ägypten.

      Wichtiger für das Privatrecht waren die rescripta, schriftliche Antworten auf Anfragen von Beamten, Korporationen, Gemeinden und Landtagen. Sie erfolgten in Briefform (epistulae aus einer der kaiserlichen Kanzleien, dem officium ab epistulis) oder als Bescheid (rescriptum des officium a libellis), auch auf Anfragen Privater in Rechtsfragen. Decreta schließlich waren richterliche Entscheidungen des Kaisers, welche auf Anrufung durch die Parteien oder Gerichte ergingen.

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      Der Begriff ius hat die verschiedensten Bedeutungen, ebenso wie der Begriff lex (Rn. 18 ff, 50, 54). Das Begriffspaar iusleges meint den Gegensatz von traditionellem ius civile (XII Tafeln und deren Interpretation) und den Weiterentwicklungen des ius honorarium (praetorium) auf der einen Seite (ius) sowie dem neuen Kaiserrecht auf der anderen Seite (leges). Echte Gesetze mit ursprünglich allgemeiner Bedeutung sind unter den Kaiserkonstitutionen indessen selten. Die kaiserliche Befugnis zur Rechtsetzung ergab sich aus der faktischen Autorität der princeps. Die Herleitung dieser Befugnisse aus der vom Volk erteilten lex de imperio erscheint als nachträglich untergeschobene Rechtfertigung.

      Mandate galten anfänglich nur für die Regierungszeit des sie erlassenden princeps. Reskripte und Dekrete hatten an sich nur Wirkung für den Einzelfall, wurden aber bald als Präjudizien beachtet, und die spätklassische Rechtswissenschaft gestand ihnen gesetzesgleiche Wirkung zu. Sie galten vicem legis (stellvertretend für Gesetze).

      Die Kaiserkonstitutionen waren das Werk der Juristen, welche die Kaiser berieten, und so wirkt auch hier das wichtigste Element der Rechtsbildung klassischer Zeit, die Rechtswissenschaft.

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      Die Juristen des Prinzipat, von Augustus bis etwa 230 n. Chr., werden traditionell als besonders vorbildlich (klassisch) angesehen, weil ihre Schriften in den Digesten Justinians überliefert sind und lange das Bild vom römischen Recht prägten. Aber schon die republikanischen Juristen hatten viel Vorarbeit geleistet (Rn. 110 ff).

      Die klassische Jurisprudenz unterteilt man weiter in die Frühklassik (bis Ende des 1. Jh. n. Chr.), die Hochklassik (Blütezeit im 2. Jh.) und die Spätklassik (bis ca. 235, die Zeit der severischen Kaiser).

      Außer in den Kaiserkonstitutionen bildeten diese Juristen das Privatrecht durch ihre Bücher weiter. In der klassischen Literatur entwickelte neue Rechtssätze wurden als Gewohnheitsrecht (consuetudo) wegen der ihnen eigenen gedanklichen Überzeugungskraft anerkannt. Sie galten also imperio rationis, kraft der in ihnen zum Ausdruck kommenden Vernunft.

      Erst die nachklassischen Zitiergesetze (Rn. 211) legten den Werken gewisser, als besonders bedeutend angesehener Klassiker Gesetzeskraft bei. Hintergrund war der Versuch, Lösungen für Streitigkeiten oder Widersprüche in ihren Schriften zu finden. Zu Kodifikationen unter Einbeziehung von Juristenschriften kam es in den westgotischen Königreichen (Rn. 214). Der byzantinische Kaiser Justinian erhob schließlich eine umfangreiche Sammlung von Zitaten aus der klassischen Rechtsliteratur (Digesten) zum Gesetz (Rn. 218).

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      Am Anfang des Prinzipats waren Juristen auch als Rechtsberater Privater tätig. Dies erfolgte nach wie vor aufgrund eines unentgeltlichen Mandats (Rn. 131, 156). Einigen dieser Juristen verlieh der Kaiser das ius respondendi ex auctoritate principis, kurz ius respondendi, also das Recht, mit kaiserlicher Autorität Anfragen zu beantworten. Hinter den Gutachten stand damit die besondere Autorität des Kaisers.

      Die sog. Respondierjuristen stammten anfangs durchweg aus dem Senatsadel, der also bevorzugt wurde. Als erstem Ritter wurde das ius respondendi dem Masurius Sabinus von Tiberius, der Nachfolger des Augustus, verliehen. Im Laufe der klassischen Zeit finden sich dann zunehmend Ritter und aus den Provinzen Stammende unter den bedeutenden Juristen.[9]

      Von der Hochklassik an wirkten diese Männer zunehmend in den Beratungsgremien (consilia) der Kaiser. Fast alle gehörten sie der politisch führenden Schicht an und bekleideten hohe politische Ämter, so in der Spätklassik das Amt des praefectus praetorio, des höchsten Ministers und damit das des „zweiten Mannes“ nach dem Kaiser.

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      Die klassische juristische Literatur[10] umfasste vor allem drei Gattungen. Viele Autoren schrieben libri ad Sabinum (Bücher zu Sabinus). Das waren systematische Darstellungen des ius civile, des Zivilrechts im engeren Sinne (im Gegensatz zum prätorischen Recht). Die Bezeichnung geht zurück auf das (nicht erhaltene) Zivilrechtssystem des Masurius Sabinus.

      Daneben gab es seit Servius (Rn. 113) Kommentare zum prätorischen (und ädilizischen) Edikt. Diese Gattung nannte man ad edictum.

      Außerdem sammelten die meisten Klassiker ihre Stellungnahmen zu praktischen Fällen als quaestiones (Anfragen), responsa (Antworten) oder digesta (von digerere, aneinander reihen, vgl. das englische Wort digest). Außerdem schrieben sie zu Einzelfragen (Monographien).

      Diese libri (Bücher) waren Buchrollen auf Papyrus. Folianten aus gebundenen Einzelseiten (Pergament) kamen erst in nachklassischer Zeit auf.[11] Von den Originalwerken der Klassiker ist so gut wie nichts auf uns überkommen. Mit Ausnahme der Institutionen des Gaius (Rn. 168), einem Anfängerlehrbuch, stehen fast nur die Zitate zur Verfügung, die Justinian in seinen Digesten (Rn. 218) zusammenstellen ließ.

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      Früh- und Hochklassik sind gekennzeichnet durch zwei Juristenschulen, die Sabinianer und die Proculianer. Diese waren keine Schulen im heutigen Sinne, also keine organisierten Unterrichtsanstalten. Sie pflegten jedoch die Traditionen bestimmter Lehrmeinungen, weshalb man vom Schulengegensatz


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