Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen
ihrer Argumentation direkt von der actio (Klage) aus.[17] Das materielle Recht erscheint in ihren Schriften als Anhängsel der actio. Solches „aktionenrechtliches Denken“ gibt es aber manchmal auch im modernen Recht, z. B. in den Art. 16 Abs. 2 WechselG, 21 ScheckG. Dort tritt das materielle Recht am Wechsel bzw. Scheck hinter dem Herausgabeanspruch zurück. Oder: Vom Herausgabeanspruch hat man auf das zugrunde liegende materielle Recht zu schließen. Auch im Verfassungs- und Verwaltungsrecht denkt man heute zunächst an die Klage und fragt in diesem Rahmen nach den Rechten.
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Angesichts der sozialen Stellung der großen römischen Juristen überrascht es nicht, wenn das römische Recht als ein Recht aus der Sicht der gehobenen Klassen erscheint („Honoratiorenrecht“). Nicht zuletzt das Klientenwesen und die Möglichkeit der Berufung haben den Juristen aber auch gelegentlich den Blick auf die Rechtsfragen der kleinen Leute eröffnet. So erörtert z. B. Ulpian (Dig. 9, 2, 5) den Fall, dass ein ungehaltener Schuhmacher seinen Lehrling mit dem Leisten schlägt und der Lehrling dabei ein Auge einbüßt, oder Paulus (Dig. 18, 16, 13) den Sachverhalt, dass ein Ädil, um Ordnung zu schaffen, verkaufte, auf öffentlicher Straße gelagerte Bettgestelle zerschlagen lässt.
Ein besonderer, ebenfalls schon hervorgehobener Zug des klassischen Privatrechts ist die Abgehobenheit, die „Isolierung“ von der sozialen Wirklichkeit seiner Zeit (Rn. 148), die durch kaiserlich-staatliche Reglementierung determiniert war. So erscheint der Eigentümer des klassischen Privatrechts frei, während er in Wirklichkeit durch viele Vorschriften der Polizeiverwaltung eingeengt war, beispielsweise auch umweltrechtliche.[18] Dieser Zug zeigt sich noch Ende des 19. Jahrhunderts, bei der Entstehung des BGB (Rn. 734)
2. Weitere Institutionen des klassischen Privatrechts
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Einige grundlegende Institutionen sollen noch beschrieben werden, die in den bisher erwähnten Zusammenhängen nicht erschienen.
Im Personenrecht gab es weiterhin die Sklaverei. Immerhin verleugneten die römischen Juristen nicht ganz ihr schlechtes Gewissen gegenüber dieser Erscheinung, akzeptierten sie jedoch als unabänderliche Gegebenheit ihrer Zeit.
Nach dem Naturrecht gibt es keine Sklaverei, sie ist also gegen die Natur des Menschen. Wie schon die griechischen Philosophen, insbesondere Aristoteles, hatten die römischen Juristen jedoch nur geringe Probleme damit, sie zu rechtfertigen.[19]
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Feste Altersgrenzen für die Geschäftsfähigkeit gehen wohl auf die Prokulianer (Rn. 163) zurück. Die infantes (von fari = sprechen, also die, welche noch nicht – vernünftig – sprechen können), Kinder bis zum 7. Lebensjahr, sind geschäftsunfähig (heute § 104 Nr. 1 BGB). Die pupilli (Knaben vom 7. bis 14., Mädchen vom 7. bis zum 12. Jahr) konnten ihnen vorteilhafte Geschäfte abschließen (vgl. § 107 BGB). Sonst bedurften ihre Geschäfte – wenn die pupilli nicht unter väterlicher Gewalt standen – der Zustimmung (auctoritas) ihres Vormundes (tutor).
Infantes und pupilli waren impuberes (Unmündige). Junge Leute zwischen 12 bzw. 14 und 25 Jahren hießen minores (Minderjährige). Aufgrund der lex (P)laetoria (etwa 200 v. Chr, Rn. 109) gewährte der Prätor den minores eine exceptio oder die restitutio in integrum (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) gegenüber Geschäften, durch die der minor übervorteilt worden war. In diesen Fällen blieb die Verpflichtung des Kontrahenten des Minderjährigen wirksam („hinkende Geschäfte“). War dem minor vom Prätor ein Pfleger (curator) bestellt, so waren die mit Zustimmung (consensus) dieses Pflegers geschlossenen Geschäfte des Minderjährigen auf jeden Fall wirksam.
Feste Altersgrenzen für die Deliktsfähigkeit gab es im römischen Recht nicht (vgl. heute § 828 BGB).
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Im Familienrecht wurden manus-Ehen (Rn. 65) in klassischer Zeit nur noch ausnahmsweise, etwa von (heidnischen) Priestern, geschlossen. Sonst war die freie Ehe üblich. Sie beruhte nicht auf Vertrag, sondern wurde als faktischer sozialer Zustand angesehen und konnte von jedem Partner grundsätzlich jederzeit aufgekündigt werden. Allerdings büßte der Mann, der sich ohne triftigen Grund von seiner Frau schied, dabei die dos (Mitgift) ein.
Die dos hatte die Funktion, die Frau nach Ende der Ehe zu versorgen. Das Dotalrecht nimmt in den Digesten breiten Raum ein, da es für vermögende Römer von großer Bedeutung war. Starb der Ehemann, so konnte die Frau die dos (von seinen Erben) herausverlangen. Starb die Frau, verblieb die dos oft dem Mann, jedoch war diese Regelung nicht einheitlich.
Eine Unterhaltspflicht gegenüber Ehegatten war nur sittlich, aber nicht rechtlich anerkannt. Verwandte auf- und absteigender Linie hielt man kraft kaiserlicher Entscheidungen für einander zum Unterhalt verpflichtet.
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Frauen, die nicht unter väterlicher Gewalt oder manus standen, hatten einen Vormund (tutor; in erster Linie ein Verwandter), und zu bestimmten wichtigen Geschäften bedurften sie seiner Zustimmung (auctoritas). Wie alle Vormundschaften im römischen Recht diente sie ursprünglich nicht dem Schutz des Mündels, sondern dem des Familienvermögens. Nach den augusteischen Ehegesetzen (Rn. 150) waren freigeborene Frauen mit drei, freigelassene mit vier Kindern von der Vormundschaft befreit.
Der Prätor gestattete den Frauen unter Umständen, sich ihren Vormund selbst auszusuchen. Praktisch verlor die Vormundschaft über Frauen im Prinzipat immer mehr an Bedeutung, verschwand aus dem römischen Recht am Ende des 3. Jahrhunderts ganz, erhielt sich aber im Osten des Reiches in Form der sog. Geschlechtsvormundschaft.
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Durch die Prätoren wurde auch das gesetzliche Erbrecht (Rn. 66) verändert. Dieses galt wenn ein Erblasser ohne gültiges Testament verstorben war. Die prätorischen Erben wurden in Klassen zusammengefasst[20], die hintereinander berufen wurden (sukzessive Delation). Angehörige einer nachrangigen Klasse erbten erst, wenn Angehörige einer vorhergehenden nicht vorhanden waren.
Zur ersten Klasse (unde liberi) gehörten neben den sui heredes (blutsverwandte und Adoptivkinder) auch die Abkömmlinge, die durch emancipatio (Rn. 64) aus der Gewalt des Erblassers ausgeschieden waren, sofern sie nicht in eine andere Familie adoptiert worden waren. Danach kam die Klasse unde legitimi. Dies waren die gesetzlichen Erben des alten ius civile, also nochmals die sui heredes, diesmal jedoch ohne die aus der Hausgewalt ausgeschiedenen Abkömmlinge und ansonsten der gradnächste Agnat.
Weibliche Agnaten, also die weiblichen Seitenverwandten, wurden nur dann als Erben zugelassen, wenn keine männlichen Agnaten mehr vorhanden waren. Die Klasse unde cognati umfasste alle Blutsverwandten des Erblassers bis zum sechsten oder siebten Grade. Unde vir et uxor, an letzter Stelle, berief das prätorische Edikt den Ehegatten, der mit dem Erblasser bis zu dessen Tode in gültiger Ehe (iustum matrimonium) gelebt hatte. Insbesondere die Ehefrau wurde also durch alle Verwandten von der Intestaterbfolge ausgeschlossen.
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Im Recht des Testaments entwickelte sich anknüpfend an die lex Falcidia (40 v. Chr., Rn. 109) ein dem heutigen