Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen
sind der frühere Käufer (Treuhänder) sowie der einstige Waagehalter. Und wenn davon einer schreibt, schadet es wohl nichts.
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Sextus Pomponius, der in der Mitte des 2. Jahrhunderts lebte, war ein fleißiger, etwas lehrhafter Sammler, von dem die einzige erhaltene, rechtshistorische Darstellung aus klassischer Zeit stammt (Dig. 1, 2, 2).
Von Gaius, gestorben nicht vor 178 n. Chr., kennen wir nicht einmal den vollen Namen. Auch sonst gibt seine Person viele Rätsel auf.[14] Die juristischen Kollegen ignorierten ihn, d.h. sie zitierten ihn in ihren Werken nicht, was sie sonst ausgiebig untereinander taten. Er gehörte, seinen Ansichten nach Sabinianer, offenbar nicht zu den vornehmen Juristen. Aufgrund seiner Werke wird vermutet, er habe nicht in Rom, sondern im Osten des Reiches gelebt. Von ihm haben wir die einzige fast vollständig überlieferte klassische Schrift, die institutiones.[15] Dabei handelt es sich um ein eingängig geschriebenes Anfängerlehrbuch. Der Historiker Barthold Georg Niebuhr entdeckte es 1816 in Verona auf einem sog. Palimpsest (Rn. 15) unter einem Text des Hl. Hieronymus. Der Gaius-Text enthält zuweilen Ungereimtheiten, und man hat daher bezweifelt, dass uns ein klassisches Original vorliegt. Die Handschrift stammt jedenfalls erst aus dem 5. Jahrhundert. Man hat vermutet, es handele sich um einen unfertigen Entwurf oder die Nachschrift eines Studenten, ein Kollegheft. Spätere Urkundenfunde bestätigen indessen, dass die Veronenser Handschrift jedenfalls einen in der Spätantike verbreiteten Standardtext wiedergibt. Die in den Digesten Justinians zitierten res cottidianae oder aureae (tägliche oder goldene Angelegenheiten) des Gaius weisen nachklassische Einflüsse auf, sodass wir hier offenbar eine spätere Überarbeitung vor uns haben.
Gaius stellte in seinem Lehrbuch den zivilrechtlichen Stoff nach dem sog. Institutionensystem in 4 Büchern dar. Dieses didaktische System hat griechische Wurzeln. Für das römische Recht ist es uns vor allem eben durch Gaius überliefert. Die Grobeinteilung bilden die wichtigsten rechtlichen Kategorien. Der Stoff wird dann (ungleichgewichtig) zugeordnet bzw. eingebaut. Konkret handelt es sich um folgende Gliederung: 1. Buch: Über das Recht im Allgemeinen und persona (Personen, mit Familienrecht); 2. Buch: res (Sachen, incl. Erbrecht); 3. Buch: obligationes (Schuldverhältnisse); 4. Buch: actiones (Klagen). Noch im Naturrecht wurde dieses System für Kodifikationen verwendet (Rn. 523, 542), aber auch weiterentwickelt – ebenso in der Pandektistik (Rn. 743), wobei jedoch die actio (Klage) in das zunehmend getrennt behandelte Prozessrecht wanderte.
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Die Spätklassiker versuchten, die vorhandene große Stoffmenge in den Griff zu bekommen. Das eigenständige Argumentieren ging zu Gunsten des Sammelns, Zitierens und Systematisierens zurück.
Aemilius Papinian(us) war Freund und Schwager des Kaisers Septimius Severus, adsessor (Beisitzer) des praefectus praetorio, Vorsteher der Kanzlei a libellis (Rn. 158) und ab 203 n. Chr. selbst praefectus praetorio. In der Nachklassik hatte er den Ruhm, der größte aller römischen Juristen gewesen zu sein. Das Zitiergesetz von 426 n. Chr. (Rn. 211) legte fest, dass bei Stimmengleichheit die Meinung Papinians ausschlaggebend sein sollte. Als Ruhmesblatt Papinians (so Ernst Rabel) wird die actio ad exemplum institutoriae actionis bezeichnet, die gegen einen freien Procurator gewährt und damit wegweisend für die Entwicklung der unmittelbaren (direkten) Stellvertretung wurde (vgl. Rn. 133 f und Rn. 210).
Severus hatte vor seinem Tode Papinian seine Söhne Caracalla und Geta anvertraut. Doch die Versuche Papinians, Frieden zwischen den Brüdern zu stiften, scheiterten. Im Jahre 212 n. Chr. ließ schließlich Caracalla Papinian hinrichten, weil dieser den Mord Caracallas an seinem Bruder und Mitkaiser Geta vor dem Volk und dem Senat nicht juristisch rechtfertigen wollte. Auch heute noch gilt er, nicht zuletzt wegen seines Märtyrertodes, als ein außergewöhnlich genialer und talentierter Jurist, den die Quellen asylum et doctrinae legalis thesaurus (den Hort des Rechts und die Schatzkammer der Gesetzeswissenschaft) nennen[16] und dem im 17. und 18. Jahrhundert jeweils eine Tragödie gewidmet wurde.
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Schüler Papinians und sein adsessor im Amt des praefectus praetorio sowie zusammen mit ihm Mitglied im kaiserlichen Consilium war Iulius Paulus. Schon der äußere Umfang seines Werkes imponiert: 16 Bücher (libri) ad Sabinum, 80 Bücher ad edictum, dazu quaestiones, responsa und Monographien. Ein Sechstel der justinianischen Digesten stammt von Paulus. Seine Werke zeigen Aufgeschlossenheit und noch viel Originalität, aber auch Ungenauigkeiten. Von ihm stammt die „Regel aller Regeln“, Dig. 50, 17, 1: non ex regula ius sumatur, sed ex iure quod est regula fiat – nicht der Regel wird das Recht entnommen, sondern aus dem Recht, wie es ist, entsteht die Regel.
Ebenfalls Schüler und Beisitzer Papinians war Domitius Ulpian(us) aus Tyros in Phönizien. Er hat noch mehr geschrieben als Paulus, war aber weniger originell. Etwa ein Drittel der Digesten Justinians besteht aus Zitaten seiner Werke. Von Kaiser Elagabal verbannt, holte ihn dessen Nachfolger, der noch minderjährige Severus Alexander in das nach dem Kaiser höchste Staatsamt des praefectus praetorio zurück. Ulpian übte auf den jungen Kaiser erheblichen Einfluss aus, was immer wieder zu Machtkämpfen führte, als deren Folge er vermutlich 223 n. Chr. bei einer Revolte seiner Prätorianer getötet wurde.
Als letzter Klassiker gilt Herennius Modestin(us), wohl ein Schüler Ulpians. Er bekleidete zwischen 224 und 244 n. Chr. das Amt des praefectus vigilum (Rn. 141), erteilte dem Sohn des Kaisers Maximinus Thrax (235-238) Rechtsunterricht und 239 n. Chr. folgte Kaiser Gordian III. in einem Reskript (Rn. 158) einem Gutachten des Modestin.
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Zur allgemeinen Charakterisierung der Schriften der Klassiker ist hervorzuheben, dass sie sich streng an die Erörterung konkreter Fälle halten. Ihre Entscheidungen sind knapp, oft gar nicht begründet. Sie sollen aus sich selbst heraus überzeugen. Gegenüber Verallgemeinerungen, Regeln, Definitionen waren die Klassiker skeptisch.
Das klassische Recht ist weit entfernt davon geblieben, ein geschlossenes System zu bilden. Allgemeine Regeln etwa über Willenserklärungen, Verträge und Leistungsstörungen wurden nicht aufgestellt. Insofern könnten manche moderne Lehrbücher des römischen Privatrechts einen falschen, auf den Systematisierungen der Pandektistik insbesondere im 19. Jahrhundert (Rn. 738) beruhenden, Eindruck vermitteln. Einschlägige Probleme wurden nur im Hinblick auf konkrete Vertragstypen erörtert. Der Irrtum etwa wurde nicht allgemein (wie in § 119 BGB) behandelt, sondern im Hinblick auf die Kaufsache (Rn. 184).
In manchen Fragen bildeten sich „herrschende Meinungen“, bezeichnet mit placuit oder placebat (von placere = gefallen, zusagen, billigen); placet deutet daraufhin, dass es sich um die Ansicht eines Juristen handelt. Maßgebende Entscheidungsgesichtspunkte waren die berechtigten Interessen der Beteiligten und das Beherrschungsvermögen, aber auch die Billigkeit (aequitas) im Sinne gerechter Güterzuteilung. Gelegentlich wurden philosophische Erwägungen herangezogen. Das gilt nicht nur für die Definition des Rechts überhaupt, sondern auch für Einzelfragen, etwa die Abgrenzung relevanter Irrtümer von irrelevanten oder das Eigentum an einer durch Verarbeitung entstandenen Sache (Rn. 164). Hier überzeugen die Ergebnisse oft weniger.
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Während wir es gewohnt sind, zunächst die materielle Rechtslage zu klären – z. B. das Bestehen eines Vertrages oder den Verbleib des Eigentums – und erst dann die sich daraus ergebenden