Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen
über deren Verfassung wir nichts Näheres wissen. Als Vorstand wurde das jeweils angesehenste Mitglied auf Lebenszeit berufen.
Ursache der Entstehung verschiedener Schulen soll nach der Überlieferung die Rivalität zwischen dem kaisertreuen Capito und dem kritischen Labeo (Rn. 165) gewesen sein. Vermutlich entstanden die Schulen aber erst eine Generation später, wofür die Benennung nach ihren frühklassischen Häuptern spricht: nach Sabinus (auch Cassianer nach Cassius) und Proculus.
Man hat versucht, die beiden Schulen nach generellen Merkmalen zu charakterisieren. Es ist jedoch schwer zu sagen, ob wirklich grundlegende Unterschiede bestanden.[12] Die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Schule zeigt sich in unterschiedlichen Ansichten der Juristen zu Streitfragen. Die Proculianer stellten dabei eher auf Begriffe und systematische Zusammenhänge ab, wohingegen die Sabinianer eher auf sachlogische Lösungen bedacht waren und daher Treu und Glauben (bona fides) eine besondere Bedeutung zumaßen.
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Beispielsweise beim dauerhaften Austausch von Sachen nahmen die Sabinianer einen Kaufvertrag an, die Proculianer hingegen wegen der fehlenden Gegenleistung in Geld einen Tausch (permutatio). Letztere sahen in der vorleistenden Hingabe zu Tauschzwecken lediglich einen gültigen Übereignungsgrund (causa traditionis), keinen verbindlichen, gegenseitigen Vertrag (vgl. aber Rn. 188). Allerdings hatte der gegenseitige Vollzug der Leistungen auch nach dieser Ansicht die gleichen Wirkungen wie ein Kauf, nur dass mit einer actio in factum geklagt werden musste, nicht mit der Kaufklage. Hintergrund des Streits war also letztlich die Frage, mit welcher Klage man vorgehen musste. Entsprechend unserer heute rein materiell-rechtlichen Sichtweise verweist § 480 BGB ganz unproblematisch auf die Vorschriften über den Kauf.
In der Frage, ob eine durch Verarbeitung (specificatio) entstandene neue Sache dem Eigentümer des Materials gehören sollte oder dem Verarbeitenden, entschieden sich die Sabinianer für den Eigentümer des Materials, die Prokulianer für den Verarbeitenden. Damit folgten die Juristen einem philosophischen Streit darüber, ob das Wesen einer Sache in ihrer äußeren Gestalt (forma = Proculianer im Anschluss an Aristoteles) oder ihrem Material (materia = Sabinianer im Anschluss an die Stoa) liege. Justinian wählte eine im Ansatz wohl schon in der Spätklassik (durch Paulus) aufgekommene Zwischenlösung: die Sache wurde Eigentum des Stoffeigentümers, wenn die Verarbeitung rückgängig gemacht werden konnte. Wirtschaftlich betrachtet geht es darum, ob bei einer vom Eigentümer nicht gewollten Verarbeitung das Material oder die Arbeit wertvoller ist, weshalb heute nur darauf abgestellt wird (vgl. § 950 BGB).
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Die wichtigsten klassischen Juristen sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. Unter Augustus wirkte M. Antistius Labeo. Er gehörte zur senatorischen Opposition gegen das Prinzipat des Augustus. Politisch gelangte er bis zur Prätur; das Angebot des Augustus, consul suffectus zu werden, lehnte er ab. Trotz seiner politisch konservativen Ansichten, regte er für das Privatrecht zahlreiche Neuerungen an. Labeos Werk ist allerdings fast nur durch Zitate seiner Ansichten in den Schriften späterer Autoren bekannt. Möglicherweise hat er die prokulianische Schule begründet. Sein Schüler Proculus war jedenfalls als Schulenoberhaupt Namensgeber.
Von Masurius Sabinus war ebenfalls schon die Rede. Sein berühmtes, aber verloren gegangenes Hauptwerk waren drei Bücher zum Zivilrecht (libri tres iuris civilis). Deren System, an welchem sich spätere Juristen orientierten (Rn. 163), sah vielleicht so aus: Erbrecht – Personenrecht – Obligationenrecht – Sachenrecht. Gegenüber dem „republikanischen“ System des Quintus Mucius Scaevola (Rn. 113) waren demnach Sachen- und Schuldrecht vertauscht.
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Zur Hochklassik leitet Iavolenus Priscus über. Von ihm stammt die Warnung omnis definitio in iure civili periculosa est (Dig. 50, 17, 202 – jede Definition im Zivilrecht ist gefährlich). Er war Haupt der Sabinianer und Lehrer des Publius Salvius Iulianus – eines besonders herausragenden Juristen seiner Zeit. Julian stammte aus der Provinz, aus Hadrumentum in Afrika, machte eine große politische Karriere und wurde u. a. Statthalter in Untergermanien, dessen Hauptstadt das heutige Köln war und wo sich auch heute noch eine Statue Julians befindet. Um 130 redigierte er im Auftrag Hadrians das prätorische Edikt (Rn. 154). Seine quaestiones (Gutachten) sind durch seinen Schüler und Nachfolger im Vorsitz der sabinianischen Schule African(us) überliefert.
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Als besonders origineller Kopf unter den römischen Juristen gilt der Prokulianer Publius Iuventius Celsus (Celsus filius). Von ihm stammt die Wendung scire leges non haec est verba eorum tenere, sed vim ac potestatem (Dig. 1, 3, 17 – die Gesetze kennen bedeutet nicht, dass man ihren Wortlaut behält, sondern ihre Kraft und Macht, d.h. ihre Bedeutung). Überhaupt gilt Celsus als der Meister griffiger Formulierungen, wie etwa der Grundsatz impossibilium nulla obligatio est (Unmögliches kann nicht Gegenstand einer Verbindlichkeit sein, d.h. muss nicht geleistet werden) zeigt.[13]
Auf Celsus geht die Zerlegung von Zuwendungen in sog. Dreiecksverhältnissen in zwei Leistungen zurück, heute feste Grundlage des Anweisungs- und Bereicherungsrechts mit Ausstrahlungen bis in das Sachenrecht (Durchgangserwerb beim sog. Streckengeschäft). Ein einfaches modernes Beispiel zur Illustration: Wenn ich meine Bank anweise, meinem Gläubiger Geld zu überweisen, und die Bank tut dies, so bewirkt die Zahlung der Bank an den Gläubiger zugleich eine Leistung der Bank an ihren Kunden (mich) sowie eine Leistung des Kunden an den Gläubiger. Celsus hat diesen Vorgang soweit ersichtlich als erster dahin erklärt, man müsse ihn so auffassen, als sei das Geld vom Angewiesenen (Bank) „durch“ den Anweisenden (Kunden) an den Empfänger (Gläubiger) gelangt (Celsinische Durchgangstheorie; vgl. etwa Dig. 24, 1, 3, 12).
Persönlich war Celsus für seine ungehaltenen Antworten bekannt („Celsinische Grobheiten“):
Dig. 28, 1, 27:
Celsus libro quinto decimo digestorum: Domitius Labeo Celso suo salutem. Quaero, an testium numero habendus sit is, qui, cum rogatus est ad testamentum scribendum, idem quoque cum tabulas scripsisset, signaverit. Iuventius Celsus Labeoni suo salutem. Non intellego quid sit, de quo me consulueris, aut valide stulta est consultatio tua: plus enim quam ridiculum est dubitare, an aliquis iure testis adhibitus sit, quoniam idem et tabulas testamenti scripserit.
Übersetzung:
Celsus im 15. Buch seiner Digesten: Domitius Labeo grüßt seinen Celsus. Ich frage, ob unter die Zahl der Zeugen derjenige zu rechnen ist, der, wenn er aufgefordert wird, das Testament zu schreiben, dann auch, als er das Testament geschrieben hatte, unterzeichnete. Iuventius Celsus grüßt seinen Labeo. Ich verstehe nicht, was es sein soll, worüber du mich um Rat fragst, oder deine Anfrage ist sehr töricht. Es ist nämlich mehr als lächerlich zu zweifeln, ob jemand zu Recht als Zeuge zugegen war, weil er selbst das Testament geschrieben hatte.
Wir haben in diesem Fragment Anfrage und (unfreundliche) Antwort überliefert. Die Anfrage des Domitius Labeo war gar nicht so dumm. Sieben Zeugen sollten die Testamentserrichtung bekunden, und da kann man durchaus zweifeln, ob jemand als neutraler Zeuge geeignet ist, der an der Errichtung selbst mitgewirkt hat. Historisch gesehen hatte Celsus allerdings recht. Das alte Libraltestament war nämlich eine mancipatio, mit der der Erblasser sein Vermögen (familia pecuniave) an einen Treuhänder übereignete, damit dieser es nach dem Tode des Erblassers nach dessen Anordnungen verteilte (Rn. 66, 114). Für die mancipatio