Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen
paret, absolvito.
Übersetzung:
Titius soll Richter sein. Wenn es sich herausstellt, dass N.N. dem A.A. 10 000 Sesterzen geben muss, wenn in dieser Angelegenheit nichts auf Grund böser List des A.A. geschehen ist oder geschieht, soll der Richter N.N. zur Zahlung von 10000 Sesterzen an A.A. verurteilen. Wenn es sich nicht herausstellt, soll er freisprechen.
Eine Einrede – deren Voraussetzungen nicht vorliegen dürfen, damit die Klage erfolgreich ist – wurde vom Prätor im konkreten Einzelfall zum Schutz des Beklagten (vor einer ungerechten Verurteilung) in die Formel eingefügt. Hatte also beispielsweise der klagende Agerius den beklagten Negidius durch Täuschung zur Abgabe einer Stipulation veranlasst oder klagte er, obwohl der Stipulation ein Rechtsgrund fehlt, so wies der iudex (Richter im zweiten Verfahrensabschnitt, Rn. 55) die Klage ab.
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Eine andere häufige Einrede war die exceptio pacti (Einrede wegen einer Nebenabrede), hier wiederum in die abstrakte Klage auf eine bestimmte Geldsumme eingefügt:
Titius iudex esto. Si paret Numerium Negidium Aulo Agerio sestertium decem milia dare oportere, si inter Aulum Agerium et Numerium Negidium non convenit, ne ea pecunia intra quinquennium peteretur, iudex Numerium Negidium Aulo Agerio sestertium decem milia condemnato, si non paret, absolvito.
Übersetzung:
Titius soll Richter sein. Wenn es sich herausstellt, dass N.N. dem A.A. 10 000 Sesterzen geben muss, wenn zwischen A.A. und N.N. nicht vereinbart worden ist, dass dieses Geld nicht innerhalb von fünf Jahren eingeklagt werden darf, soll der Richter den N.N. an A.A. zu 10 000 Sesterzen verurteilen. Wenn es sich nicht herausstellt, soll er freisprechen.
Beide hier aufgeführte Einreden sind in Klagen aus sog. strengrechtlichen Rechtsgeschäften (iudicia stricti iuris) eingefügt. Der Beklagte selbst musste in iure darauf achten, dass der Prätor die exceptio gewährte. Ohne exceptio konnte der iudex die Arglist oder das pactum nicht mehr berücksichtigen.
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Keiner solchen Einfügung einer exceptio doli oder pacti bedurfte es, wenn die Klagformel bereits von sich aus gebot, nach Treu und Glauben zu entscheiden. Man spricht dann von einem bonae fidei iudicium. Das bedeutete ursprünglich, dass die bloße bona fides[19] verbindlich machte und dass sich auch der genaue Inhalt der Verpflichtung daraus bestimmte. Daraus folgte, dass der Richter mehr Ermessen bei der Beurteilung des Rechtsverhältnisses hatte als bei den älteren Klagen strengen Rechts.[20] Die Klagen aus Treu und Glauben entstanden im Amtsrecht (ius honorarium) der Prätoren (Rn. 117 ff). Zu diesen iudicia gehörten vor allem die Klagen aus den Konsensualkontrakten (Rn. 120). Als Beispiel wird hier die actio empti (Kaufklage) angeführt:
Titius iudex esto. Quod Aulus Agerius de Numerio Negidio hominem Stichum emit, qua de re agitur, quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio dare facere oportet ex fide bona, eius iudex Numerium Negidum Aulo Agerio condemnato, si non paret, absolvito.
Übersetzung:
Titius soll Richter sein. Im Hinblick darauf, dass A.A. von N.N. den Sklaven Stichus gekauft hat, um welche Angelegenheit es sich handelt, was wegen dieser Sache N.N. dem A.A. geben oder tun muss nach guter Treue, dazu soll der Richter N.N. an A.A. verurteilen. Wenn es sich nicht herausstellt, soll er freisprechen.
Primär ging die actio empti des Käufers auf Erfüllung des Kaufvertrages, also Übergabe des Sklaven und Gewähr für das Behaltendürfen. Aufgrund der bona-fides-Klausel in der Klageformel konnten nun auch Nebenabreden zur Erweiterung der Verpflichtung eingeklagt werden. Bei strengrechtlichen Verträgen hingegen, z. B. beim Darlehen (mutuum), konnten solche Zusatzverpflichtungen nur durch Stipulation begründet werden.
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Bemerkenswert ist ein weiterer, neben dem Kauf sehr häufig verwendeter Vertrag. Die locatio conductio umfasste im römischen Recht diejenigen Vereinbarungen, die wir heute als Dienst-, Arbeits-, Werk-, Miet- und Pachtverträge differenzieren. Der gemeinsame Gedanke war, dass ein locator etwas „hinstellte“ (von lat. locare – legen, stellen) und die faktische Verfügungsmacht darüber einräumte. Konkret war es derjenige, der eigene oder fremde Dienste anbot, die Anfertigung eines Werkes nachfragte indem er Stoff zur Verfügung stellte, oder einen Miet- oder Pachtgegenstand gab. Der conductor war hingegen derjenige, der das Hingestellte mit sich nahm (lat. conducere – mitführen), also der Dienstherr, der Werkunternehmer, der Mieter oder Pächter. Auch die beiden Klagen aus locatio conductio, also die actio locati auf (Miet-/Pacht-)Zinszahlung bzw. Leistung des Werkes oder der Dienste und die actio conducti auf Überlassung der Sache bzw. Bezahlung der Leistung sind bonae fidei iudicia.
Die locatio conductio war schon in der Antike ein Vertrag mit faktisch besonders häufig vorkommenden sozialen Problemen.[21] Diese Tatsache kann man durch die Überlegung erklären, dass wer ein Grundstück pachten oder eine Wohnung mieten muss, regelmäßig kein oder zu wenig Eigentum hat und wer sich selbst gegen Geld „verkauft“, dies in der Regel aus wirtschaftlichen Erfordernissen tut. In Rom wurde es als Zeichen von Armut und eines freien Bürgers unwürdig angesehen, wenn man seine Dienste gegen Geld anbot.[22] Ehrenhaft waren nur höhere Dienste (operae liberales), die besondere Kenntnisse erfordern oder dem öffentlichen Wohl dienen, wie Medizin, Architektur oder Unterricht.
Juristische Beratung war bei den Römern zunächst reiner Freundschaftsdienst, allenfalls unentgeltliches mandatum.[23] Das honorarium als Anerkennung (ursprünglich kein Lohn!) ist erst mit der Niederlassung griechischer, nicht vermögender Gelehrter als Gegenleistung üblich und später in der außerordentlichen, kaiserlichen Gerichtsbarkeit (extraordinaria cognitio) klagbar geworden (Rn. 157). Erst das Christentum brachte die allgemeine Wertschätzung von Arbeit (labor) in dem Sinne, dass es keine Schande ist arbeiten zu müssen.
Die mittelalterlichen Juristen (Rn. 379 ff mit Fn. 46) entwickelten die Dogmatik der locatio conductio weiter. Als Ende des 19. Jahrhunderts das BGB entstand, wurde insbesondere die – liberale oder soziale – Ausgestaltung der hier erwähnten Vertragstypen diskutiert. Auf sie bezog sich der Vorwurf Otto v. Gierkes, es fehle ein „Tropfen sozialistischen Öles“ (Rn. 734).
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Wir haben bisher drei Elemente des römischen Vertragssystems kennen gelernt: Verbalkontrakte (Rn. 72), Realkontrakte (Rn. 127), Konsensualkontrakte (Rn. 120). Das vierte Element waren die Litteralkontrakte, keine schriftlichen Verträge, sondern Schuldbegründungsakte, die sich aus der römischen Buchführung ergaben. Durch bestimmte Eintragungen in den Geschäftsbüchern entstanden offenbar „abstrakte“ Obligationen. Der spätrömische Kaiser Justinian (insb. Rn. 216 ff), der für die Überlieferung des römischen Rechts eine große Rolle gespielt hat, nahm den Litteralkontrakt nicht in seine Zusammenstellung der römischen Quellen auf, und so sind wir über ihn nur unzulänglich unterrichtet. Jedenfalls gab es im römischen Schuldrecht keine Vertragsfreiheit wie heute nach § 311 BGB. Klagbar waren grundsätzlich Verpflichtungen aus bestimmten